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Acht Wochen Verhaltenstherapie und 200 Dollar verändern das Leben gewalttätiger Männer in Liberia nachhaltig

Summary:
Erstmals haben Forscher gezeigt, dass Verhaltenstherapie bei Erwachsenen mit krimineller Vergangenheit auch 10 Jahre später noch wirkt: Im Durchschnitt konnten so 338 Straftaten verhindert werden – pro Person. Strassenverkäufer in Liberia, Juni 2021. Zohra Bensemra / ReutersWer in einem Umfeld von Gewalt aufgewachsen ist, ändert sein eigenes kriminelles Verhalten selten. So lautet die gängige Meinung. Auch Forscher sagen, antisozialem Verhalten sei im Erwachsenenalter schwer beizukommen. Doch seit kurzem gibt es ein beeindruckendes Gegenbeispiel aus Monrovia, der Hauptstadt von Liberia an der Westküste Afrikas. Dieses Gegenbeispiel wurde von Forschern der Harvard Medical School und des Massachusetts Institute of Technology (MIT) geliefert. Das am MIT angesiedelte Poverty Action

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Erstmals haben Forscher gezeigt, dass Verhaltenstherapie bei Erwachsenen mit krimineller Vergangenheit auch 10 Jahre später noch wirkt: Im Durchschnitt konnten so 338 Straftaten verhindert werden – pro Person.

Acht Wochen Verhaltenstherapie und 200 Dollar verändern das Leben gewalttätiger Männer in Liberia nachhaltig

Strassenverkäufer in Liberia, Juni 2021.

Zohra Bensemra / Reuters

Wer in einem Umfeld von Gewalt aufgewachsen ist, ändert sein eigenes kriminelles Verhalten selten. So lautet die gängige Meinung. Auch Forscher sagen, antisozialem Verhalten sei im Erwachsenenalter schwer beizukommen. Doch seit kurzem gibt es ein beeindruckendes Gegenbeispiel aus Monrovia, der Hauptstadt von Liberia an der Westküste Afrikas.

Dieses Gegenbeispiel wurde von Forschern der Harvard Medical School und des Massachusetts Institute of Technology (MIT) geliefert. Das am MIT angesiedelte Poverty Action Lab ist bekannt für seinen Ansatz in der Entwicklungshilfe: In ihren Studien vergleichen Forscher die Ergebnisse unterschiedlicher Interventionen. Für diesen einst bahnbrechenden Ansatz erhielten die Gründer des Instituts, Esther Duflo und Abhijit Banerjee, zusammen mit ihrem Kollegen Michael Kremer im Jahre 2019 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften.

Vor 10 Jahren zufällig einer Gruppe zugeordnet

Eine solche Studie führten die Wissenschafter zwischen 2010 und 2011 in der Hauptstadt von Liberia durch. Nun – 10 Jahre später – zeigt sich, wie nachhaltig die Gewaltprävention damals war. In einem aufwendigen Suchprozess haben die Forscher 833 Männer ausfindig gemacht, die damals an der Studie teilgenommen hatten. Die Ergebnisse wurden im Mai publiziert.

Die Männer waren damals zwischen 18 und 35 Jahre alt und hatten entweder 200 Dollar bekommen, um ein kleines Geschäft aufzubauen, oder erlernten während 8 Wochen – mithilfe einer Verhaltenstherapie –, wie sie ihr Denken und ihre Emotionen steuern und verändern können. Eine dritte Gruppe nahm an der Verhaltenstherapie teil und erhielt anschliessend auch 200 Dollar. Wer bei der zufälligen Gruppenzuordnung Pech hatte, war Teil der Kontrollgruppe und nahm weder an der Verhaltenstherapie teil, noch erhielt er Geld.

Was mit dem Geld geschah, wissen die Forscher nicht. Aber es könnte laut den Autoren der Studie nachhaltig verwendet worden sein – wenn die Männer gleichzeitig an der Verhaltenstherapie teilgenommen hatten. Denn diese Männer waren auch 10 Jahre später sehr viel weniger kriminell; sie berichteten seltener von Diebstahl, häuslicher Gewalt, Raubüberfällen und Schlägereien. Wer nur Geld oder nur Verhaltenstherapie erhalten hatte, der war zwar kurzfristig weniger kriminell, 10 Jahre später war der Effekt jedoch verpufft. Bei der kombinierten Intervention war dies nicht der Fall. So konnten in dieser Gruppe durchschnittlich – pro Teilnehmer und Jahr – 34 Straftaten verhindert werden.

Einüben der neuen Verhaltensweisen

Für die Forscher ist klar, dass die Männer alle daran interessiert waren, einen weniger kriminellen Lebensstil zu entwickeln, sonst hätten sie nicht an der Studie teilgenommen – langfristig gelungen ist es nur einer Gruppe von Teilnehmern: Für einen langfristigen Effekt war sowohl die verhaltenspsychologische als auch die finanzielle Hilfe notwendig.

Die Autoren der Studie interpretieren dies folgendermassen: Dank den erhaltenen 200 Dollar waren die Männer in der Lage, das neu erworbene Denken und Handeln 4 bis 5 Monate lang zu üben und zu festigen. Diese kurze Pause im Kampf um das tägliche Brot erlaubte es ihnen, ihr Verhalten langfristig zu verändern.

Margret Sheridan, Professorin für klinische Psychologie an der Universität of North Carolina, geht davon aus, dass auch die Art und Weise, wie die Verhaltenstherapie erfolgte, das Ergebnis beeinflusst hat: Die Mentoren hatten selber zuvor an diesem Program teilgenommen. Sie kannten also die Lebensumstände ihrer Klienten aus eigener Erfahrung.

Was ein Geschenk von 200 Dollar bedeutet, wenn jemand am Existenzminimum lebt und nur über ein unregelmässiges Einkommen von durchschnittlich 38 Dollar im Monat verfügt – der Leser kann es sich allenfalls ausmalen. Liberia gehört laut dem Human-Development-Index (HDI) zu den 15 ärmsten Ländern der Welt, noch hinter Äthiopien oder dem Sudan. Doch was bedeutet Verhaltenstherapie in diesem Zusammenhang?

Irrationale Verhaltensweisen bewusstmachen

Das Prinzip der Verhaltenstherapie ist folgendes: Mithilfe eines Therapeuten macht sich der Patient oder Klient die eigenen automatischen Verhaltensweisen bewusst. Sind diese Verhaltensweisen irrational oder nicht effektiv, so versucht man, diese zu verändern.

Für diese Studie stand der Umgang mit Wut im Zentrum der Therapie. Die Männer lernten, wie sie Emotionen bei sich erkennen und die eingeübten Reaktionen darauf verändern können. Dies geschieht vor allem durch eines: Übung. Mit einer wöchentlichen Sitzung war es also nicht getan. Wer an der Verhaltenstherapie teilnahm, bekam Hausaufgaben.

Die Therapeuten gaben den Männern auch Strategien an die Hand, wie sie ihre Zukunft zielgerichteter gestalten können. Etwa, indem sie durch kleine Schritte ihre langfristigen Ziele erreichen können. Mit der Familie in Kontakt zu treten, etwas Geld auf die Seite zu legen und dann Gemüse zu pflanzen, waren beispielsweise die Schritte, um zur Ernährung der Familie beizutragen.

Wer sich nicht länger als Aussenseiter der Gesellschaft fühlen wollte, sollte sich übungshalber einmal so verhalten, wie er in Zukunft sein wollte: Eine Aufgabe konnte sein, sich zu waschen, anders anzuziehen oder seine Familie zu besuchen.

Christopher Blattman, Professor an der University of Chicago, der an der Studie beteiligt war, betont, es sei in dieser Studie nicht um eine Intervention gegen Armut gegangen, sondern darum, extreme Gewalt und Kriminalität zu verhindern. Die positiven Ergebnisse nach so langer Zeit haben selbst ihn überrascht.

Herr Blattman, warum haben diese Ergebnisse Sie überrascht?

Es handelt sich um eine der ersten Studien, die so langfristige Effekte untersucht haben. Derartige Studien sind aufwendig und teuer. Wir wussten also nicht, was wir erwarten konnten. Zwar ist seit Jahrzehnten bekannt, dass Verhaltenstherapie bei psychischen Beschwerden effektiv sein kann. Doch die Zielgruppe dieser Intervention lebt in ausserordentlich schwierigen Verhältnissen und steht unter enormem Druck. Daher hat uns dieses Ergebnis positiv überrascht.

Wie muss man sich das Leben dieser Menschen vorstellen?

Diese Männer lebten am Rande der Gesellschaft. Wie viele Arme halten sie sich mit vielen verschiedenen Tätigkeiten über Wasser. Pro Woche sind sie mit vier oder fünf unterschiedlichen Dingen beschäftigt: Sie verkaufen vielleicht eine Kleinigkeit oder haben andere Gelegenheitsarbeiten. Doch die Männer in dieser Studie ergänzten diese Tätigkeiten durch Stehlen und bisweilen durch Raubüberfälle und andere Gewalttaten.

Sie arbeiten auch in der Gewaltprävention in Chicago. Ist Kriminalität in Entwicklungsländern anders?

Ich denke, es gibt mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede. Man muss hier zwischen Kriminalität und Gewalt unterscheiden. Gerade bei Gewalttaten auf der Strasse – Raubüberfällen beispielsweise – macht es wenig Unterschied, ob diese in Liberia oder in Chicago stattfinden. Diese Gewalttaten sind meisten reaktiv und impulsiv. Diese Art von Gewalt ist es auch, die wir mit verhaltenstherapeutischen Interventionen in dieser Studie angegangen sind.

Ist Verhaltenstherapie die effektivste Intervention gegen Gewalt?

Das kommt auf die Ursache der Gewalt an. Bei Jahrzehnte dauernden Konflikten zwischen Gangs ist Verhaltenstherapie nicht die richtige Intervention. Gewalt hat verschiedene Ursachen. In meinem Buch «Why We Fight» fasse ich die Ursache von Gewalt in verschiedene Kategorien zusammen: Dazu gehört die genannte reaktive Gewalt, Gewalt aufgrund einer ideologischen Überzeugung oder beispielsweise auch, um sich eine Reputation zu verschaffen. Letztgenanntes ist oft eine Strategie, um sich in einer unvorhersehbaren Welt zu behaupten.

Was wollen Sie mit diesem Buch bewirken?

Der Umgang mit Gewalt ist eine der ältesten Herausforderungen der Menschheit. Ich fasse die Forschung dazu zusammen und habe eine Hauptbotschaft: Gewalt wird meist vermieden – sie ist zu ruinös. Nur wenn die Kosten aus einem der oben genannten Gründe ignoriert werden, greifen wir zu Gewalt.

Acht Wochen Verhaltenstherapie und 200 Dollar verändern das Leben gewalttätiger Männer in Liberia nachhaltig

PD

evg.  ·  Christopher Blattman arbeitet am Poverty Action Lab am Massachusetts Institute of Technology und ist seit 2016 Professor an der University of Chicago. Sein Buch «Why We Fight» erscheint 2023 auf Deutsch im Aufbau-Verlag.

Chris Blattman
Political economist studying conflict, crime, and poverty, and @UChicago Professor @HarrisPolicy and @PearsonInst. I blog at http://chrisblattman.com

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