Als griechischer Finanzminister löste Yanis Varoufakis 2015 eine der spektakulärsten und kontroversesten Auseinandersetzungen der jüngsten politischen Geschichte aus, als er versuchte, die Beziehung seines Landes mit der EU neu zu verhandeln. Trotz massiver Unterstützung, nicht nur in der griechischen Bevölkerung, sondern auch in der Obama-Administration, bei konservativen britischen Ökonomen, bei Emmanuel Macron, der damals noch französischer Finanzminister war und sogar bei Christine Lagarde, der Chefin des IWF, hat sich Varoufakis mit seinen Analysen und Konzepten nicht durchsetzen können. Dabei sind sie, bei aller Komplexität, bestechend logisch und einfach. Um das Video anzusehen, klicken Sie hier
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Yanis Varoufakis considers the following as important: Adults in the Room, DiEM25 Deutschland, English, Interviews, TV
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Als griechischer Finanzminister löste Yanis Varoufakis 2015 eine der spektakulärsten und kontroversesten Auseinandersetzungen der jüngsten politischen Geschichte aus, als er versuchte, die Beziehung seines Landes mit der EU neu zu verhandeln. Trotz massiver Unterstützung, nicht nur in der griechischen Bevölkerung, sondern auch in der Obama-Administration, bei konservativen britischen Ökonomen, bei Emmanuel Macron, der damals noch französischer Finanzminister war und sogar bei Christine Lagarde, der Chefin des IWF, hat sich Varoufakis mit seinen Analysen und Konzepten nicht durchsetzen können. Dabei sind sie, bei aller Komplexität, bestechend logisch und einfach.
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Stattdessen blieb das Image eines Rock’n’Rollers, der sich auf der politischen Bühne verirrt hatte. Er, der Wirtschaftsmathematiker und Spieltheoretiker, wurde als Zocker hingestellt, der vom politischen Geschäft keine Ahnung habe – ein Linker, der mit seinen schönen theoretischen Ideen spätestens an Wolfgang Schäuble scheitert und sein Land nur tiefer in die Schuldenkrise gerissen habe. Nun legt Yanis Varoufakis einen spannend geschriebenen 500-Seiten Bericht über diese Zeit vor, ein Protokoll der EU-Krisenpolitik aus intimster Nähe, wörtlich aufgezeichnet mittendrin im Zentrum der politischen Macht.
Zig Milliarden für ein bankrottes Land
Was passiert mit unserem Kontinent? Was wird aus Europa? Wir besuchen den größten Anhänger der Europäischen Union. Und den schärfsten Kritiker ihrer fehlerhaften Konstruktion. Yanis Varoufakis hat einen Politthriller geschrieben, ein einzigartiges Zeitdokument aus dem innersten Zentrum der europäischen Macht. “Ich kann Ihnen versichern, wenn ich unterschrieben hätte auf der gepunkteten Linie und mehr genommen hätte von Euren Milliarden, dann wäre ich sofort wahrgenommen worden als verantwortungsvoller Finanzminister, der es hinkriegt, seine theoretischen Vorlieben zu überwinden und wäre mit Respekt behandelt worden”, sagt er.
Er fand es wahnsinnig, zig Milliarden neue Schulden zu machen, die sein Land nie würde zurückzahlen können. Sein Land sei bankrott, hatte er gesagt, und das sollte die EU anerkennen.
“Ein Spiel, das nur Verlierer produziert”
Gerade ist sein Buch in Griechenland erschienen. Zur Präsentation kommt der bedeutendste Filmregisseur des Landes, die Kinolegende Costa Gavras. Er will Varoufakis Whistleblower-Bericht verfilmen. In dem alle nur das Beste wollten, am Ende aber eine Tragödie herauskam.
“Wenn man ein Spiel entwickelt, das nur Verlierer produziert, dann können die Personen, die in dem Spiel gefangen sind, nur in eine Tragödie laufen. Man sollte nicht die beteiligten Personen beschuldigen, schuld sind die Regeln des Spiels, dieses grausamen Spiels, das gespielt wurde. Die griechischen Rettungspakete, das war eine Monstrosität – diese unglaubliche Idee, den größten Kredit in der Menschheitsgeschichte zu geben an den bankrottesten Staat. Unter der Bedingung, dass die Einnahmen sinken und die Bevölkerung verarmt. Das soll Probleme lösen? Sinnlos! Und jeder, der an dieser Täuschung beteiligt war, an dieser Farce, wo sie von Effektivität reden, der Einhaltung von Regeln usw., wird am Ende mit einem sehr armen historischen Zeugnis dastehen, so Varoufakis.
Sie wollten radikale Reformen, neue Steuergesetze, aufräumen mit der schrecklichen Misere, die ihre oligarchischen Vorgängerregierungen hinterlassen hatten. Raus aus dem Schuldgefängnis, in dem die Kredite immer gigantischer und unbezahlbarer würden. Eine Umschuldung und einen Masterplan, um wieder wachsen und Schulden zurückzahlen zu können.
“Rettungspaket für Deutsche Bank und Paris Bas etwa”
Yanis Varoufakis hatte mit seinen Konzepten viele Unterstützer, konservative britische Ökonomen, die Obama-Administration und manchmal sogar Christine Lagarde, die IWF-Chefin. Aber er hatte auch mächtige Feinde. Den heimlichen Chef der Eurogruppe, Wolfgang Schäuble, Mario Draghi, den Chef der EZB und vor allem Jeroen Djisselbloem. Sie wollten einen Milliarden schweren Kredit an Griechenland vergeben, der – so Varoufakis – gar nicht für Griechenland bestimmt war: “Also gab es ein zweites Rettungspaket für die Deutsche Bank und die französischen Banken, wie Paris Bas, das getarnt wurde als ein Akt der Solidarität mit Griechenland. Sie sehen, das ist wie bei Macbeth, das ist wie Shakespeare. Wenn du einmal ein Verbrechen gegen die Logik begehst, dann begehst du ein zweites, um das erste zu vertuschen, und dann ein drittes.”
Varoufakis sagt, dass die Bundesregierung, nachdem sie während des Finanzmarktzusammenbruchs der Wall Street bereits 500 Milliarden Euro an Steuergeldern für die Bankenrettung vom Bundestag bewilligt bekommen hätte, nicht ein zweites Mal nach Bankenrettungsgeldern hätte fragen können.
“Das hätte für Angela Merkel und Wolfgang Schäuble bedeutet, dass sie vor dem Bundestag und ihren CDU Mitgliedern des Parlaments hätten gestehen müssen, dass sie gelogen haben”, so Varoufakis. “Dass es kein Rettungspaket für Griechenland gab, sondern dass es ein Rettungspaket für die deutschen und französischen Banken war. Und kein Politiker will so was tun, wenn er es vermeiden kann. Ich beschuldige Angela Merkel und Wolfgang Schäuble nicht. Von der europäischen Perspektive wäre es gut gewesen, wenn sie Führungsstärke bewiesen hätten. Ich mache ihnen keine Vorwürfe. Ich werfe unserer Regierung vor, dass sie es unterschrieben hat. Weil, wären wir standhafter gewesen, hätten wir den deutschen Bürgern in die Augen gesehen und gesagt: Sie zwingen uns, mehr von eurem Geld zu nehmen um vorzutäuschen, dass wir nicht bankrott sind. Bei sinkenden Einkommen und schwindender Fähigkeit, etwas zurückzuzahlen. Helft uns.”
“Was wir haben, ist eine Systemkrise”
Immer wieder beschreibt Varoufakis in seinem Buch, das die Hoffnungen seiner Regierung sich auf Angela Merkel richten, darauf, dass sie Wolfgang Schäuble doch noch zu einer vernünftigen Lösung überredet. Aber es kommt anders. Angela Merkel baut ein vertrauliches Verhältnis zu Alexis Tsipras auf und landet am Ende den entscheidenden Coup. Sie verspricht dem griechischen Regierungschef, dass sie Schäuble zurückzieht, wenn er Varoufakis entlässt. Damit hatte Varoufakis verloren.
Aber ihm ging es nicht nur um Griechenland: “Was wir haben, ist eine Systemkrise – so wie der Klimawandel. Klimawandel ist eine Krise für unseren Planeten, eine singuläre Krise. Aber sie hat viele Erscheinungsformen. Wir haben Waldbrände in Sibirien und Überschwemmungen in Australien. Aber wenn du es behandelst wie ein Problem von Überschwemmungen in Australien oder Feuer in Sibirien, dann hast du das Problem nicht verstanden. Und unser politisches Establishment in Europa legt Wert darauf, das Problem nicht zu verstehen. Konsequent und schon seit fast zehn Jahren. Und alle, Frau Merkel, die französische Regierung, die griechische Regierung hören nicht auf, vorzutäuschen, dass sie mit einer Krise des Systems fertig werden auf unsystematische Weise. Europa wird zerstört von zentrifugalen Kräften, die es zerreißen. Wir haben wachsende Fremdenfeindlichkeit, Rassismus in all unseren Ländern. Und die Europäer verlieren den Glauben in die europäische Union. Das ist der größte Verlust für uns alle.”
“Emigration unserer Jüngsten und Klügsten”
Für die Griechen besteht in der Zwischenzeit nur noch wenig Hoffnung, jemals aus der Schuldenspirale wieder raus zu kommen: “Die größte Gefahr für die Hoffnung ist ein Phänomen, das einzigartig ist”, so Varoufakis. Und das ist die Emigration unserer jüngsten und klügsten Jungen und Mädchen, Frauen und Männer. Das Establishment in Europa nennt das eine Erfolgsgeschichte. Wenn die Hälfte der Bevölkerung geht, dann nimmt die Arbeitslosigkeit natürlich ab. Bei uns bleiben die Alten und die lokale Mafia, die das hier ausbeutet. Das halte ich nicht für ein gutes europäisches Entwicklungsmodell.”
“Fehlerhafte Architektur der Euro-Zone”
Aber wohin steuert Europa? Es kann als Insel der Demokratie in der Welt nicht funktionieren, solange wir zwar eine gemeinsame Währung haben, aber keine gemeinsame Regierung, die sie steuert. Alle Hoffnungen liegen derzeit, auch für Yanis Varoufakis, beim französischen Präsidenten Macron: “Macron hat exzellente Ideen zur Europäisierung Europas, die identisch sind mit denen meiner paneuropäischen Bewegung DIEM 25. Aber: Das Herz der Probleme in Europa ist die Euro-Zone, unsere gemeinsame Währung. Bis wir das nicht geregelt haben, werden alle diese brillanten Ideen, dass wir unseren Kinder viele Sprachen beibringen und 20 paneuropäische Universitäten haben, alle diese Ideen werden scheitern. Wenn wir die wirtschaftlichen Probleme nicht überwinden, die durch die fehlerhafte Architektur der Euro-Zone verursacht werden und durch die Weigerung der Europäischen Union, anzuerkennen, dass es eine falsche Architektur ist.”
Varoufakis hofft darauf, dass wir die europäische Demokratie erneuern, bevor es zu spät ist.
Bericht: Edith Lange
Yanis Varoufakis “Die ganze Geschichte: Meine Auseinandersetzung mit Europas Establishment”
650 Seiten, € 30,00
Verlag Antje Kunstmann, September 2017
http://www.daserste.de/information/wissen-kultur/ttt/sendung-vom-12112017-110.html