143 Milliarden Franken Leistungsbilanzüberschuss hat die Schweiz in den letzten zwei Jahren angehäuft. Und was ist davon geblieben? Weniger als Nichts. Sorry, liebe Deutsche, aber der wahre Exportweltmeister sind wir, die Schweizer. 88,2 Milliarden Franken Exportüberschuss bei den Gütern und Dienstleistungen, meldet das Datenportal der EU-Kommission für das Jahr 2019. Unter „Germany“ steht da zwar die Zahl von 207,7 Milliarden, aber gemessen am BIP ist das nur etwa halb so viel. Nein, die wahren Weltmeister sind wir. Fragt sich bloß, was wir davon haben, bzw. was uns davon bleibt. Ein Nettoüberschuss in der Leistungsbilanz besagt, dass wir mehr exportiert als importiert haben, und dass uns das Ausland als Gegenleistung die Differenz gutschreibt. Das wiederum macht
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Werner Vontobel considers the following as important: Exportüberschüsse, Leistungsbilanzüberschüsse
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143 Milliarden Franken Leistungsbilanzüberschuss hat die Schweiz in den letzten zwei Jahren angehäuft. Und was ist davon geblieben? Weniger als Nichts.
Sorry, liebe Deutsche, aber der wahre Exportweltmeister sind wir, die Schweizer. 88,2 Milliarden Franken Exportüberschuss bei den Gütern und Dienstleistungen, meldet das Datenportal der EU-Kommission für das Jahr 2019. Unter „Germany“ steht da zwar die Zahl von 207,7 Milliarden, aber gemessen am BIP ist das nur etwa halb so viel. Nein, die wahren Weltmeister sind wir. Fragt sich bloß, was wir davon haben, bzw. was uns davon bleibt.
Ein Nettoüberschuss in der Leistungsbilanz besagt, dass wir mehr exportiert als importiert haben, und dass uns das Ausland als Gegenleistung die Differenz gutschreibt. Das wiederum macht aus schweizerischer Sicht nur Sinn, wenn wir dieses Guthaben – etwa in Zeiten der Not – gegen Waren eintauschen und damit mehr importieren als exportieren können. Konkret geht das so, dass der schweizerische Exporteur eine Gutschrift auf der Bank des Importeurs erhält, die er dann je nach Liquiditätsbedarf gegen andere Finanztitel wie Aktien oder Obligationen eintauschen kann. Wie aus der Statistik der Nationalbank hervorgeht, sind je gut ein Drittel dieser Guthaben in Dollar und in Euro angelegt worden und etwa 20% in übrige Währungen.
Ein großzügiges Geschenk
Da die Schweiz laufend Leistungsbilanzüberschüsse erzielt, müssten auch die Netto-Guthaben gegenüber dem Ausland stetig steigen. In den vergangenen acht Quartalen bis und mit dem ersten Quartal 2020 hat die Schweiz einen kumulierten Leistungsbilanzüberschuss von 143 Milliarden Franken erzielt. Folglich hätte man naiverweise erwarten können, dass das Netto-Auslandvermögen von damals 863 auf 1006 Milliarden Franken ansteigen würde. Stattdessen meldete die Schweizerische Nationalbank zum 31. März, dass diese Nettoguthaben auf 745 Milliarden gesunken sind. Das ist ein Verlust von 261 Milliarden, oder gut sechs Mal so viel, wie die Corona-Krise den Staat voraussichtlich kosten wird.
Und das ist kein einmaliger Ausrutscher, auch über die letzten zehn Jahre sieht es nicht viel besser aus. In dieser Zeitspanne hat die Schweiz einen kumulierten Leistungsbilanzüberschuss von 646 Milliarden Franken erzielt, und dennoch ist das Netto-Auslandvermögen um 47 Milliarden geschrumpft. Das macht einen jährlichen Verlust von fast 70 Milliarden Franken oder gut 12% des Bruttosozialprodukts. Mit anderen Worten: Der ganze Leistungsbilanzüberschuss ist für die Katz. Wir liefern dem Ausland zwar ständig mehr Waren und Dienstleistungen als wir zurückerhalten und dennoch steigt unser Guthaben gegenüber dem Ausland nicht an. Per Saldo gesehen, haben wird dem Ausland ein großzügiges Geschenk gemacht.
Warum regt sich niemand darüber auf? Warum ist das in den Medien kein Thema? Die Zahlen liegen auf dem Tisch, und sie sind mindestens so zuverlässig, wie die Corona-Statistiken über die Infizierten und die mit oder an Covid-19 Verstorbenen. Doch wenden wir uns zunächst der Frage zu, wie es kommt, dass sich die mühsam ersparten und erarbeiteten Winter-Vorräte des Eichhörnchens Schweiz einfach mir-nichts-dir-nichts in Luft auflösen.
Wo ein Gläubiger ist, ist immer auch ein Schuldner
Es sind im Wesentlichen zwei Gründe: Der erste und wichtigste liegt darin, dass Sparwelt- und Vizeweltmeister, wie die Schweiz oder Deutschland, ihre Guthaben logischerweise per Saldo immer nur gegen Länder erwerben, die mehr ausgeben als sie einnehmen. Also gegen Defizit-Sünder. Wo ein Gläubiger ist, ist immer auch ein Schuldner. Und wo chronische Überschussländer wachsen, blühen auch chronische Schuldner. Und Guthaben gegenüber solchen dubiosen Debitoren haben nun mal die Tendenz, sich nach und nach zu entwerten. Das zeigt sich etwa am handelsgewichteten Index des nominalen Wechselkurses des Frankens. Danach haben sich die ausländischen Währungen gegenüber dem Franken innerhalb von zehn Jahren um 27% entwertet.
Dazu kommt nun als zweiter Grund der Hebeleffekt. Die Schweiz hat zwar aktuell ein Netto-Auslandvermögen von 745 Milliarden Franken, doch dieses ist die Differenz von – umgerechnet – 5155 Milliarden Franken Guthaben und – umgerechnet – 4410 Milliarden Franken Schulden. Von diesen Schulden sind 2928 Milliarden in Franken und nur 1482 in Fremdwährungen geschuldet. Von den Guthaben hingegen entfällt der Löwenanteil von – umgerechnet – 4711 Milliarden Franken auf Fremdwährungen. Das heißt, dass die Schweiz eine Netto-Auslandposition in Fremdwährungen von 3229 Milliarden Franken hat. Das ist das 4,3fache des Netto-Auslandguthabens insgesamt. Oder anders gesagt: Mit jedem Prozent, um das sich der Franken aufwertet, wertet sich unser Netto-Auslandvermögen um 4,3% ab.
„Klammerbemerkung: Weil Deutschland Teil des Euro-Raumes ist, sind die Auslandguthaben weniger anfällig gegen Abwertungen. Doch diese „Stabilität“ hat seinen Preis in Form des Target-Saldos von aktuell (März 2020) 935 Milliarden Euro. Dieses Guthaben der Bundesbank gegenüber der EZB ist praktisch wertlos, bzw. wird faktisch erst dann werthaltig, wenn die Defizitländer wieder Leistungsbilanzüberschüsse erzielen und so ihre Schulden abbauen können.)
Aus der Sicht eines Portfolio-Managers müsste man die Schweiz für ihre „Asset-Allocation“ streng tadeln. Es ist schlicht dumm, sich in einer harten Währung – dem Franken – zu verschulden, die Guthaben jedoch in Weichwährungen anzulegen. Damit setzt man sich einem hohen Währungsrisiko aus. Doch die Zusammensetzung der Auslandschulden- und Guthaben ist nun mal nicht – oder nur in geringem Maß – das Ergebnis eines ausgeklügelten Asset-Managements. Vielmehr widerspiegelt sie realwirtschaftliche Vorgänge. Wer exportiert, wird nun mal – letztlich – in der Währung des Importlandes bezahlt. Stehen den Exporten keine entsprechenden Importe aus diesem Währungsraum gegenüber, bleibt ein Guthaben in Fremdwährungen zurück.
Bis vor bald zehn Jahren haben die Schweizer Exporteure ihre Devisen-Überschüsse zu einem großen Teil im Ausland investiert, sei es durch die Direktbeteiligungen oder durch Aktien und Obligationen. Inzwischen ist ihnen dies zu riskant geworden und sie versuchen, ihre Fremdwährungsguthaben gegen Franken eintauschen. Mit der Folge, dass dadurch die Nachfrage nach Franken steigt, was dessen Wechselkurs nach oben drückt und die Wettbewerbsfähigkeit der Exportindustrie schwächt.
Um dies zu verhindern, ist die SNB selbst im großen Stil als Anbieterin von Franken aufgetreten. Sie kauft via Geschäftsbanken ausländische Wertpapiere und schreibt diesen dafür auf einem Girokonto Schweizer Franken gut. Seit zehn Jahren hat sie auf diese Weise für rund 700 Milliarden Franken zusätzliche Devisenreserven aufgekauft. Für diese Dienstleistung lässt sie sich einen Negativzins von jährlich 0,75% gutschreiben.
Volkswirtschaftliche Verschwendung
Diese Zahlen und Überlegungen zeigen, dass die chronischen Exportüberschüsse der Schweiz volkswirtschaftliche Verschwendung sind. Statt rund 10% unseres BIP als Exportüberschüsse letztlich zu verschenken und zu verschleudern, könnten wir selbst 10% mehr konsumieren, ohne uns deshalb im Ausland verschulden zu müssen.
Die Zahlen deuten aber auch an, warum dieser Missstand bisher nicht ernsthaft diskutiert und hinterfragt wird. Ohne die Devisenkäufe der SNB käme unsere mächtige Exportindustrie ganz schön ins Schwitzen. Uns Schweizern wird praktisch von Kindsbeinen eingetrichtert, dass wir unseren Wohlstand letztlich der Exportindustrie verdanken. Konkret: Dass „wir jeden zweiten Franken im Export verdienen“, dass wir ohne „die stetige Steigerung unserer Wettbewerbsfähigkeit“ verarmen“, und dass ein Rückgang der Exporte Jobs gefährdet. Das ist nicht ganz falsch: Wir haben uns von den chronischen Exportüberschüssen abhängig gemacht – und der Entzug tut weh.
Gar nichts dran ist aber an dem auch in Deutschland immer wieder vorgebrachten Argument, wonach wir als überaltertes Land mit unseren Exportüberschüssen Reserven anlegen müssen, mit denen wir dereinst unsere Senioren durchfüttern können. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Wenn wir unsere Rentner nicht nur durchfüttern, sondern ihnen mit deutliche höheren Renten ein gutes Auskommen und eine solide medizinische Versorgung ermöglichen, schaffen wir die einheimische Nachfrage, die uns von den Exportüberschüssen unabhängig macht. Das wäre eine Win-Win-Win- Situation – mehr Jobs, mehr Wohlstand und weniger Abhängigkeit von der Exportindustrie.