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Wir haben uns verpasst

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Wir haben uns verpasst So stand ich also an seinem Grab und musste jenen Menschen, die gekommen waren, um von ihm Abschied zu nehmen, von seinem Leben erzählen. Aber sie kannten ihn doch viel besser als ich. Mein Sohn las ein Gedicht vor, meine Schwester erzählte, wie sie ein paar Tage zuvor vor der Wohnung meines Vaters zufällig eine Frau traf, die ihn gekannt hatte und die meine Schwester fragte, wissen Sie eigentlich, wie lebenshungrig ihr Vater gewesen ist? Und mir blieb nichts anderes übrig, als seinen Freunden zu sagen, ihnen zu versprechen, dass ich ihn in guter Erinnerung behalten würde. Mein Vater war ein ungewöhnlicher Mensch, rast- und ruhelos, mit vielen Emotionen, guten und schlechten. Mit einem wachen Blick für die Verhältnisse und

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Wir haben uns verpasst

So stand ich also an seinem Grab und musste jenen Menschen, die gekommen waren, um von ihm Abschied zu nehmen, von seinem Leben erzählen. Aber sie kannten ihn doch viel besser als ich. Mein Sohn las ein Gedicht vor, meine Schwester erzählte, wie sie ein paar Tage zuvor vor der Wohnung meines Vaters zufällig eine Frau traf, die ihn gekannt hatte und die meine Schwester fragte, wissen Sie eigentlich, wie lebenshungrig ihr Vater gewesen ist? Und mir blieb nichts anderes übrig, als seinen Freunden zu sagen, ihnen zu versprechen, dass ich ihn in guter Erinnerung behalten würde.

Wir haben uns verpasstMein Vater war ein ungewöhnlicher Mensch, rast- und ruhelos, mit vielen Emotionen, guten und schlechten. Mit einem wachen Blick für die Verhältnisse und Strukturen, mit einem nicht versiegen wollenden Interesse an dem großen und kleinen Gang der Geschichte, in dem er selbst verloren ging. Deshalb sein manisches Zeitungslesen, deshalb all die Dinge in seiner Wohnung, mit der sich die Zeiten wenigstens greifen ließen, wenn man sie in die Hand nahm.

Ich glaube, ich habe viel von ihm. In jener kurzen Zeit, in der wir zusammen gelebt haben, hat er öfter zu mir gesagt: Du kannst reden, rede für die anderen. Du kannst denken, denk für die anderen. Du kannst schreiben, schreib für die anderen. Ich habe es gehasst, wenn er so mit mir sprach, als sei er mein Chef und ich einer seiner Arbeiter. Und nun tue ich doch genau das, was er von mir wollte. Jetzt habe ich zum ersten Mal die Wahrheit auch über ihn geschrieben, ich habe sie für ihn geschrieben. Es ist in seinem Sinne, da bin ich mir sicher. Und wenn es dort, wo er jetzt ist, Zeitungen gibt, wird er es lesen.

Jana Hensel/Die Zeit

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Lars Pålsson Syll
Professor at Malmö University. Primary research interest - the philosophy, history and methodology of economics.

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