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Was ist ein V?

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Manch ein V erweist sich bei genauem Hinsehen als ein L. Die Interpretation von Daten ist momentan in vielerlei Hinsicht schwieriger als sonst. Wer aus den Zahlen bereits eine rasche Erholung abliest, könnte von den Fakten überrascht sein und von der kommenden Entwicklung eines Besseren belehrt werden. Dieser Tage ist viel von der Erholung der deutschen Wirtschaft die Rede. Kaum ein Medium, in dem nicht eine rasche Rückkehr zur Normalität beschworen wird. Und im Mittelpunkt dessen steht das V. Das V ist das von den Konjunkturauguren vielbeschworene Zeichen der Hoffnung. Man erwartet, dass die deutsche Wirtschaft nach dem Ende der durch Corona bedingten Restriktionen wie Phoenix aus der Asche nach oben schießt und in den Statistiken ein klares V hinterlässt. Die

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Heiner Flassbeck considers the following as important:

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Manch ein V erweist sich bei genauem Hinsehen als ein L. Die Interpretation von Daten ist momentan in vielerlei Hinsicht schwieriger als sonst. Wer aus den Zahlen bereits eine rasche Erholung abliest, könnte von den Fakten überrascht sein und von der kommenden Entwicklung eines Besseren belehrt werden.

Dieser Tage ist viel von der Erholung der deutschen Wirtschaft die Rede. Kaum ein Medium, in dem nicht eine rasche Rückkehr zur Normalität beschworen wird. Und im Mittelpunkt dessen steht das V. Das V ist das von den Konjunkturauguren vielbeschworene Zeichen der Hoffnung. Man erwartet, dass die deutsche Wirtschaft nach dem Ende der durch Corona bedingten Restriktionen wie Phoenix aus der Asche nach oben schießt und in den Statistiken ein klares V hinterlässt. Die Botschaft: Die deutsche Wirtschaft war und ist stark und wird besser als andere Europäer durch die Krise kommen.

Doch gemach. Was zunächst wie ein V aussieht, erweist sich leicht als ein ganz anderer Buchstabe, nämlich als L. Und das ist die konjunkturelle Horrorvorstellung überhaupt: ein Dahinschleppen auf niedrigem Niveau. Weil die Dinge in extremen Zeiten die in konjunkturellen Normalsituationen üblichen Maßstäbe sprengen können, hat sich etwa das Statistische Bundesamt entschieden, seiner jüngsten Pressemitteilung zu den deutschen Exporten unter Methodische Hinweise folgende Erklärung hinzuzufügen:

››In allen Meldungen zu Konjunkturindikatoren sind die unterschiedlichen Vergleichszeiträume zu beachten. Im Fokus der Konjunkturbeobachtung steht für gewöhnlich der Vergleich zum Vormonat/Vorquartal. Hieraus lässt sich der kurzfristige Trend der konjunkturellen Entwicklung ablesen. Ein Vormonats-/Vorquartalsvergleich ist nur mit saisonbereinigten Daten sinnvoll interpretierbar. Der Vorjahresvergleich dient einem längerfristigen Niveauvergleich und ist von saisonalen Schwankungen unabhängig. In der aktuellen Corona-Krise kann es durch die starken Rückgänge insbesondere im März/April 2020 und die sich seitdem langsam wieder einstellende Erholung zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen im Vormonats-/Vorquartalsvergleich und Vorjahresvergleich kommen. Wichtig sind beide Betrachtungsweisen: Wie ist der konjunkturelle Trend gemessen am Vormonats-/Vorquartalsvergleich, und wie weit ist der Aufholprozess im Vergleich zum Vorjahresniveau?‹‹

Das ist vollkommen richtig. Bei einem tiefen Einbruch gaukeln einem die Verlaufsraten schnell ein V vor, das mit einer echten Erholung nichts zu tun hat.

Deutsche Exporte auf Erholungskurs?

Extrem wichtig ist für die deutsche Wirtschaft die Entwicklung der Exporte. Nach dem Absturz im April ging es im Mai anscheinend mit den deutschen Exporten schon wieder kräftig aufwärts. Jedenfalls schnellten die Zuwachsraten gegenüber dem sehr tiefen Vormonat in die Höhe. Um sage und schreibe 9 Prozent legten die Exporte im Mai gegenüber April zu und bestätigten – in dieser Betrachtungsweise – das V. Doch das ist eine mehr als fragwürdige Aussage, wie der Vergleich der Abbildungen 1 und 2 zeigt.

Abbildung 1
Was ist ein V?

Zwar sind die Exporte gegenüber April 2020 deutlich gestiegen (vgl. die rote Linie in Abbildung 1), gegenüber April 2019 liegen sie aber weiterhin bei minus 30 Prozent (vgl. die blaue Linie in Abbildung 1). Das rote V wird von einem blauen Häkchen in Frage gestellt. Betrachtet man die absoluten Warenexporte in Milliarden Euro (vgl. die grüne Kurve in Abbildung 2), sind die Ausfuhren weiter auf einem kläglich niedrigen Niveau verglichen mit dem, was vor Corona jahrelang normal war. Lag die deutsche Ausfuhr vor Corona bei gut 110 Milliarden Euro pro Monat, waren es im April knapp unter 80 Milliarden und im Mai knapp über 80 Milliarden Euro. Das ist zwar kein L, aber auch längst kein V.

Abbildung 2
Was ist ein V?

Bei den gesamten Exporten der EWU in den Rest der Welt, wie sie von EUROSTAT ermittelt werden, sieht die Entwicklung wie ein L aus, wenn man die Zuwachsraten gegenüber dem Vorjahr betrachtet (siehe die Pressemitteilung von EUROSTAT). Die Exporte bleiben auch im Mai um 30 Prozent unter dem Vorjahresniveau.

Betrachtet man den saisonbereinigten Verlauf von Exporten und Importen (vgl. Abbildung 3), wird noch viel deutlicher, wie riskant die deutsch-europäische Strategie ist. Die Differenz zwischen Exporten und Importen ist nämlich mit dem Corona-Schock verschwunden. Der Überschuss in der Handelsbilanz, der vor allem Deutschland im letzten Jahrzehnt so geholfen hat, sein Wachstumstempo zu erhöhen, ist im April und Mai fast nicht mehr existent.

Abbildung 3
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Daher muss man bei diesen Daten auch beachten, wie unterschiedlich Länder von zahlenmäßig gleich aussehenden Rückgängen betroffen sein können. Eurostat weist aus, dass Frankreich im Mai einen Rückgang der Exporte gegenüber 2019 von deutlich über 40 Prozent zu verkraften hatte (Abbildung 4, als Original auf Seite 4 der Pressemitteilung von EUROSTAT) und damit den höchsten prozentualen Rückgang in der gesamten EWU, Deutschland aber ››nur‹‹ einen von um die 30 Prozent.

Abbildung 4
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Das allein besagt aber nicht viel. Da Deutschland seit Jahren einen hohen Überschuss im Außenhandel aufweist und Frankreich ein leichtes Defizit, stellt sich in Hinblick auf den gesamtwirtschaftlichen Effekt die Frage, wie sehr der Saldo der Handelsbilanz betroffen ist. Hier ist die Lage so, dass Deutschland von Januar bis Mai in diesem Jahr noch einen Überschuss von 63 Milliarden Euro erzielte, im vergangenen Jahr aber einen weit höheren von fast 95 Milliarden Euro. In Frankreich bleib der negative Saldo mit 32 Milliarden nahezu unverändert. Deutschland hat also 30 Milliarden Überschuss im Vergleich zum Vorjahreszeitraum verloren, während Frankreich keine Verluste aufzuweisen hat. Folglich ist die deutsche Wirtschaft im Bereich des Außenhandels viel stärker negativ von der Pandemie betroffen als die französische.

Mehr als ein V in Frankreich am Bau?

Extrem erscheinen in Frankreich auch die Zahlen für die Bauproduktion. Um sage und schreibe 120 Prozent ist der Volumenindex der Bauproduktion im Mai gegenüber April gestiegen, während sich in Deutschland fast nichts getan hat (Abbildung 5). Das ist scheinbar weit besser als ein V.

Doch wieder trügt der Schein. Obwohl im April die Produktion ››nur‹‹ um 40 Prozent eingebrochen ist (Frankreich hatte auch die Bauindustrie in den Lockdown geschickt), reicht der Zuwachs von 120 Prozent im Mai bei weitem nicht aus, um das alte Index-Niveau von gut 100 wieder zu erreichen, wie das die Abbildung 6 belegt, in der der Index selbst dargestellt ist: Der Index ist gerade einmal auf knapp 80 zurückgeschnellt – liegt also noch 20 Punkte unter dem Vorkrisen-Niveau. Auch hier gilt: Je niedriger das Niveau, auf das der Absturz führte, desto vorsichtiger sind die Verlaufszuwachsraten zu interpretieren, die von dieser Basis aus gerechnet werden und über die normalerweise in der Presse berichtet wird.

Abbildung 5
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Abbildung 6
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Einzelhandel in Deutschland stark

Auch beim Einzelhandelsumsatz (ohne Kraftfahrzeughandel) sieht die Erholung in Frankreich oberflächlich betrachtet besser aus als in Deutschland, weil der Zuwachs im Mai wesentlich größer als in Deutschland ist (Abbildung 7). Doch nimmt man die Entwicklung in den Monaten davor mit in den Blick, ist klar, dass die Verlaufsraten wieder wenig besagen.

Abbildung 7
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Denn der französische Index war durch den viel tieferen Einbruch im April auf einem völlig anderen Niveau gelandet (vgl. Abbildung 8). Frankreichs Einzelhandel liegt im Mai noch knapp 50 Index-Punkte unter seinem Vor-Corona-Niveau, während in Deutschland der Wert vom Februar schon klar überschritten wurde.

Doch auch diese Betrachtung hat keine verlässliche Aussagekraft, weil es sich in Deutschland um einen einmaligen Aufholeffekt nach dem Ende des Lockdowns handeln könnte. Wie viel Kontinuität in der Umsatzentwicklung im Einzelhandel steckt, ist ungewiss. Möglicherweise erreicht der Einzelhandel in Frankreich im Juni das Vor-Corona-Niveau wieder oder übertrifft es sogar. Bei den Kaufentscheidungen der Privaten spielen derzeit so viele zusätzliche und vollkommen unberechenbare Faktoren eine Rolle, dass eine kurzfristige Vorhersage praktisch unmöglich ist.

Abbildung 8
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Umfragen mit Vorsicht zu genießen

Im Juni berichtete das Markit-Institut – das monatliche Umfragen bei Unternehmen für ganz Europa durchführt –, dass der französische Wert für Juni enorm gestiegen sei und schon über der Schwelle von 50 liege, ab der – entsprechend der Konstruktion des Index – eine wirkliche Expansion beginnen soll. Dagegen wurde für die deutsche Produktion trotz eines kräftigen Anstiegs noch ein Wert von unter 50 gemessen, was eigentlich bedeutet, dass sich der Rückgang der Produktion fortsetzt, wenn auch in einem geringeren Tempo als zuvor.

Allerdings ist es zweifelhaft, ob Unternehmen, die eine deutliche Verbesserung ihrer aktuellen Lage sehen, bei der Frage nach ihren Produktionsniveaus genau und in genau gleicher Weise unterscheiden zwischen einem jetzt im Vergleich zu Mai deutlich erhöhten Niveau und einem Niveau, das eine Expansion gegenüber der Vor-Corona-Zeit, also etwa Februar, anzeigt.

Insgesamt gesehen kann kein Zweifel daran bestehen, dass alle Jubelmeldungen über das V verfrüht sind. Man muss die vorhandenen Daten in allen Ländern mit größtmöglicher Vorsicht interpretieren, weil die Verhältnisse nichts mit einem normalen Konjunkturverlauf zu tun haben. Das gilt besonders hierzulande, weil Deutschland in viel größerem Maße als andere Länder in Europa von Exporten abhängt, die sich auf Automobile und Investitionsgüter konzentrieren. Deren Nachfrage dürfte weit fragiler sein als die Nachfrage nach Gütern des alltäglichen Bedarfs, die sich in der Tat relativ schnell erholt hat.

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