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Politik und Mechanik des Geldsystems

Summary:
„Es sieht so aus, als wären wir alle moderne Geldtheoretiker“, titelte das Wall Street Journal und belegt damit, dass die MMT nun als empirische Geldtheorie anerkannt ist. Wer an der Universität Volkswirtschaftslehre studiert, bekommt in Deutschland nicht sehr viel Nützliches zum Geldsystem erklärt. In fast allen Lehrbüchern steht, dass der Staat seine Ausgaben auf drei Arten finanzieren kann: Steuern Staatsanleihen Druckerpresse Wer sich allerdings die Realität durch die analytische Linse der MMT ansieht, der wird feststellen, dass in allen wichtigen modernen Geldsystemen die Zentralbank alle Überweisungen der Bundesregierung tätigt, indem sie den Kontostand der empfangenden Bank erhöht. Lediglich Option 3 ist somit eine korrekte Beschreibung der Realität.

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„Es sieht so aus, als wären wir alle moderne Geldtheoretiker“, titelte das Wall Street Journal und belegt damit, dass die MMT nun als empirische Geldtheorie anerkannt ist.

Wer an der Universität Volkswirtschaftslehre studiert, bekommt in Deutschland nicht sehr viel Nützliches zum Geldsystem erklärt. In fast allen Lehrbüchern steht, dass der Staat seine Ausgaben auf drei Arten finanzieren kann:

  1. Steuern
  2. Staatsanleihen
  3. Druckerpresse

Wer sich allerdings die Realität durch die analytische Linse der MMT ansieht, der wird feststellen, dass in allen wichtigen modernen Geldsystemen die Zentralbank alle Überweisungen der Bundesregierung tätigt, indem sie den Kontostand der empfangenden Bank erhöht. Lediglich Option 3 ist somit eine korrekte Beschreibung der Realität. Optionen 1 und 2 können zwar politische Bedingungen dafür sein, dass die Zentralbank Option 3 anwenden darf, aber mehr auch nicht.

Dabei muss das Kontosystem der Zentralbank als Tabelle gedacht werden, welche die Zentralbank auf Grundlage der jeweiligen politischen Regeln verändern darf. Eine der großen Erkenntnisse der MMT ist, politische Regeln von funktionalen Regeln zu trennen.

Funktionale Regeln im Geldsystem

Die erste Erkenntnis ist, dass die Zentralbank kostenlos und theoretisch (nicht politisch!) unbegrenzt Guthaben im Kontosystem der Zentralbank erzeugen kann. Dieses auch Zahlungssystem genannte juristische Konstrukt basiert auf dem Verändern von Kontoständen der teilnehmenden Nutzer. Dies sind im Wesentlichen private, aber auch öffentliche Banken sowie öffentliche Institutionen der Bundesregierung. Die Frage, woher das Geld technisch kommt, ist relativ einfach zu beantworten: mit der Tastatur wird in der Software des Zahlungssystems ein Kontostand verändert, analog zur Anzeige eines Spielstands bei einem Fußballspiel. Eine wesentliche Frage bei der Analyse des Geldsystems lautet also: Wer darf unter welchen Umständen wie viel Zentralbankgeld erzeugen?

Bevor diese politische Frage beantwortet werden kann, müssen wir jedoch festhalten, dass normalerweise nur die Zentralbank mit ihrem Währungsmonopol Zentralbankgeld erzeugen kann. Dies bedeutet, dass die staatliche Geldschöpfung mit dem Staat (und seinen zugehörigen Institutionen) beginnt. Über seine Zentralbank kann er Geld schöpfen und in Umlauf bringen. Staatliche Ausgaben führen Euro für Euro zu privaten Einkommen. Das Defizit des Staates muss auch einher gehen mit einem Überschuss des Rests der Welt (in einer geschlossenen Volkswirtschaft ist das der private Sektor).

Politische Regeln im Geldsystem

Politische Regeln im Geldsystem sind selbstgewählt, wie Bill Mitchell argumentiert. (Paul Steinhardt hatte in seinem Artikel „voluntary“ leider mit „freiwillig“ übersetzt statt mit „selbstgewählt“.) Wenn beispielsweise in den USA eine staatliche Schuldenobergrenze existiert, dann ist diese Beschränkung selbst gewählt. Wenn in der Eurozone die staatlichen Defizite auf 3% des BIP beschränkt werden, dann ist diese Beschränkung selbst gewählt. Wenn die Bank of England einfach das Konto der britischen Regierung um ein paar Dutzend Milliarden Pfund erhöht, dann ist diese Beschränkung (es hätten ja noch ein paar Milliarden mehr sein können) selbst gewählt. Ein Finanzministerium muss sich also nicht, bevor es seine Ausgaben bezahlen kann, bei einer Bank verschulden – es kommt halt auf die Regeln an. Diese werden von der MMT herausgearbeitet und sind Gegenstand zahlreicher Debatten.

In einem Interview mit dem Handelsblatt vom September 2019 unterhielten Norbert Häring und ich uns über MMT und den Euro. Ich erwähnte das kanadische Geldsystem und dass die kanadische Zentralbank direkt die Staatsausgaben tätigen würde. Norbert Häring antwortete, dass die EZB aber „unabhängig“ wäre und das Staatsfinanzierungsverbot fest verankert wäre, woraufhin ich sagte, dass eine Zentralbank das auch auf indirekt machen könnte durch ihre Ankäufe auf dem Sekundärmarkt. Daraufhin wies mich Norbert Häring darauf hin, dass Banken und Notenbank sich entscheiden könnten, keine Anleihen zu kaufen und dass ich mich „zu locker über die rechtliche Unabhängigkeit von Zentralbanken hinweg[setzen]“ würde. Inzwischen finanziert die Bank of England ihre Regierung direkt und die EZB hat die Solvenz der Euroländer über das PEPP gesichert. Diskussionen dieser Art über die politische Dimension der Zentralbanktätigkeit lassen sich besonders gut führen, wenn man über die funktionalen Bedingungen weiß. Die EZB kann aus funktionaler Sicht jederzeit die Solvenz der Euroländer garantieren. Die Frage ist nur, ob es politisch eine Mehrheit dafür gibt. 2010 gab es sie nicht und die Troika wurde auf die Krisenländer gehetzt. 2020 gab es eine Mehrheit und eine Troika ist zumindest bis heute nicht in Sicht.

Makroökonomie und moderne Geldtheorie

Die MMT macht deutlich, dass aus funktionaler Sicht jede Zentralbank kostenlos und theoretisch unbegrenzt Guthaben erzeugen kann. Die Frage ist dann, welche politischen Regeln am besten damit funktionieren, denn es muss ja festgelegt werden, wer wie an Geld kommt. Paul Steinhardt versteht die funktionalen Regeln wohl auch als politische Regeln. Dies ist zweifelslos möglich, allerdings halte ich die Trennung von funktionalen und politischen Regeln für sinnvoll, weil die funktionalen Regeln in eigentlich allen modernen Geldsystemen auf doppelter Buchführung basieren. Unter anderem Margaret Atwood und David Graeber haben dazu hochinteressante Bücher veröffentlicht. Wie jede andere sozialwissenschaftliche Theorie muss die MMT gewisse Dinge ausblenden, um den Fokus auf die zu erklärenden empirischen Phänomene richten zu können.

Auch im Bankensystem wird Geld erzeugt, welches von den Banken selbst geschaffen (geschöpft) wird. Hier werden wie bei der Zentralbank Bankeinlagen auf Grundlage von Rechtsgeschäften erzeugt. Während in der Zeit des Bretton-Woods-Systems die Banken stark reguliert waren, wurde dies immer weiter aufgeweicht. Banken haben dabei ein Privileg, denn sie können an staatliches Geld kommen. Daher müssen Banken staatlichen reguliert werden, denn ihre Aktivitäten sind für die volkswirtschaftliche Entwicklung sehr wichtig. Schöpfen Banken Kredit für realwirtschaftliche Investitionen in Technologie und Maschinen, erhöht sich das Produktionspotential der Volkswirtschaft und damit potentiell unser materieller Lebensstandard. Finanzieren Banken allerdings Spekulationen im Bereich der Immobilien, kommt es nur zu einer Vermögenspreisblase, die weitgehend unproduktiv bleibt.

MMT und die Reform des Banken- und Finanzsystems

In der Eurozone und anderswo haben wir gesehen, dass Reformen der politischen Regeln innerhalb kürzester Zeit stattfinden können. In meinem Buch zu Geld und Kredit in der Eurozone habe ich vorgeschlagen, die Stabilisierung der Beschäftigung in der Eurozone über zwei Mechanismen sicherzustellen, die alternativ gewählt werden können. Neben dem Einführen eines europäischen Finanzministerium, welches demokratische Reformen der EU voraussetzt, existiert eine weitere Möglichkeit darin, dass „die EZB erklärt, im Zweifelsfall alle Staatsanleihen der Länder der Eurozone aufzukaufen. Damit wären nationale Staatsanleihen risikolos. Danach muss geklärt werden, welche Defizitgrenzen in Zeiten von Aufschwung und Rezession vernünftig sind“ (Ehnts 2020, S. 243).

Diese Entmachtung der Märkte wurde Mitte März 2020 so von der EZB durch das Pandemic Emergency Purchase Programme (PEPP) beschlossen. Damit wird klar, dass die bisherigen Regelungen des Zugangs der Finanzministerien zum Geld der EZB politische und keine funktionalen Regeln waren. Übrigens müssen die Eurostaaten immer noch erst ihre Staatsanleihen an Banken verkaufen, bevor sie schnell deutlich mehr Geld ausgegeben können. Nur dass sich diesmal die EZB hinstellt und verspricht, den Banken Staatsanleihen im Umfang von 750 Milliarden Euro – oder noch mehr, wenn es nötig sein sollte – abzukaufen. Damit kommt auf politischer Ebene das zum Tragen, was auf funktionaler Ebene auch in der Eurozone immer schon möglich war: Geldschöpfung der EZB mit dem Ziel der Stabilisierung der Zinsen in den Euroländern ohne eine Begrenzung in Quantität oder Zeit des Programms.

Die Konsolidierung von Zentralbank und Finanzministerium

Die Grenzen zwischen Finanzministerium (Bundesstaat) und Zentralbank sind dabei gewissermaßen fließend. Wenn die Zentralbank Staatsanleihen hält, regelt sie Bestand und Zusammensetzung des nichtstaatlichen Netto-Geldvermögens. Je nach Ausgestaltung des Geldsystems kann es dabei Sinn machen, Finanzministerium und Zentralbank als Staat zu konsolidieren. In Japan beispielsweise hält die Zentralbank (Bank of Japan) Staatsanleihen im Werte von Hunderten Milliarden Yen. Die japanische Regierung zahlt deren Zins an die Zentralbank, welche den Zins als Gewinn verbucht und ans Finanzministerium verbucht. Wenn man hier konsolidiert und Finanzministerium und Zentralbank zusammen anschaut, wird sehr schnell klar, dass ein großer Teil der Staatsverschuldung zwischen zwei staatlichen Akteuren abgewickelt wird.

Auch Benoît Cœuré, damaliges Direktoriumsmitglied der EZB, sieht die Konsolidierung von Finanzministerium und Zentralbank als „effektiv vollständig“ an:

And in most advanced economies, as well as in most macroeconomic models, government debt is always perceived to be safe, too. There is (effectively) full consolidation between the balance sheet of the central bank and that of the fiscal authority, making government debt risk-free in nominal terms. The central bank can guarantee its payment in cash and at par in all states of the world.

Wenn Steinhardt schreibt, es gäbe „nun einmal Regeln, die nahelegen, zwischen einer Regierung und einer Zentralbank ebenso zu unterscheiden wie zwischen Zentralbankgeld und Staatsanleihen“, dann rennt er bei der MMT offene Türen ein. Die Konsolidierungshypothese ist eine Vereinfachung, um die staatliche Geldschöpfung besser darstellen zu können. MMT besagt keineswegs, dass man Zentralbank und Finanzministerium immer in einer Bilanz zusammenlegen sollte. In Ehnts (2020) sind beispielsweise Finanzministerium und (Europäische) Zentralbank nie konsolidiert dargestellt.

Steinhardt meint, „[d]ie Konsolidierungsthese verhindert zu prüfen, ob die Konzeptualisierung einer Geldwirtschaft mit Bankensektor nicht besser in der Lage ist, bestimmte makroökonomische Phänomene, wie etwa die Blasenbildung an Aktienmärkten, zu erklären“. Allerdings missversteht er die Konsolidierungshypothese. Es geht dabei keineswegs um die Konzeptualisierung von „Blasenbildung an Aktienmärkten“, sondern lediglich um die Frage des Verständnisses der Rolle des Staates in der Geldwirtschaft. Zum Thema der Blasenbildung auf Finanzmärkten hat Randall Wray als Mitherausgeber beispielsweise das Buch „The Elgar Companion to Hyman Minsky“ herausgegeben. Je nach Problem kommen halt andere Modelle zum Einsatz. Deswegen ist es auch verfehlt, wenn Hudson den Ansatz der sektoralen Salden dafür kritisiert, dass nicht ersichtlich ist, wofür die Staatsausgaben verwendet werden – darum geht es bei den sektoralen Salden nämlich gar nicht. Dort geht es um die Frage der Schuldentragfähigkeit in der Wirtschaft.

MMT und die Zukunft der Eurozone

Die MMT hat von Anfang an betont, dass eine Ausrichtung der staatlichen Ausgaben auf das Gemeinwohl zu erfolgen hätte, denn dies wäre was die Demokratie verlangt. Eine Ausrichtung an monetären Kennzahlen, wie staatlichen Defiziten oder Überschüssen („schwarze Null“) hingegen hat uns in die jetzige Krise (damit ist nicht die Coronakrise gemeint) hineingeführt. Wichtig ist die Erkenntnis, dass aus funktionaler Sicht durch die Ausgestaltung des Geldsystems ein Raum geschaffen wird, innerhalb dessen ein politisches Regelwerk realisiert werden kann. Politische Regeln basieren auf einem Verständnis der funktionalen Regeln. Zum Verständnis des Geldsystems sind beide Perspektiven wichtig.

In einem gesonderten Artikel hat Maurice Höfgen die Ideen von Warren Mosler von 2009 zur Reform des Finanzsystems vorgestellt. Auch hier ist eine Ausrichtung am Gemeinwohl erforderlich, damit die Geldflüsse dahin gehen, wo wir sie haben wollen. Eine Ausrichtung des Finanzsektors am Profit wird bestehende Fehlentwicklungen verstärken und zu einer Zunahme von Finanzmarktspekulation führen. Auch hier ist die Unterscheidung zwischen funktionalen Regeln (Geldschöpfung) und politischen Regeln (Bedingungen der Geldschöpfung) wichtig.

Was für die Zukunft der Erde und daher auch Europas wichtig wäre, ist eine öffentliche Debatte über die Frage, wer unter welchen Umständen und mit welcher Zielrichtung an Geld kommt. Vereinfacht kann unterschieden werden, dass staatliche Institutionen das Gemeinwohl in den Blick nehmen, während private Unternehmen profitorientiert arbeiten. Im Hinblick auf Ungleichheit und Klimawandel sowie weitere ökologische Probleme stellt sich die Frage, ob nicht Märkte diese Probleme erzeugt haben und deswegen eine Reregulierung mit einer Ausweitung der öffentlichen Ausgaben sinnvoll wäre. Auf der Basis von MMT existieren bereits viele Vorschläge zur Reform der Eurozone, zur Neugestaltung des Finanzsystems oder zu einem Green New Deal for Europe. Eine Debatte hat in allen diesen Bereichen bereits begonnen und lässt etwas Hoffnung aufkeimen.

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