Die Unabhängigkeit einer supranationalen Zentralbank von nationaler Kontrolle ist unabweisbar. Die Diskussion darüber passt in kein Pro und Contra bezüglich des Euro. In seinem Beitrag „Euro oder nationale Währungen?“ schreibt Paul Steinhardt eine Replik zu Heiner Flassbecks und meinem Beitrag „Demokratie und die internationalen Beziehungen“. Wie schon aus der Überschrift deutlich wird, geht es Paul Steinhardt um die Gretchenfrage „Wie hältst du‘s mit dem Euro?“. Heiner Flassbeck hätte seine Meinung zur gemeinsamen europäischen Währung grundlegend geändert und sei ausweislich des Beitrags und der Verteidigung der Europäischen Zentralbank (EZB) auf einmal für den Erhalt des Euro, entgegen früherer kritischer Äußerungen. Das ist ein Missverständnis. In unserem
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Die Unabhängigkeit einer supranationalen Zentralbank von nationaler Kontrolle ist unabweisbar. Die Diskussion darüber passt in kein Pro und Contra bezüglich des Euro.
In seinem Beitrag „Euro oder nationale Währungen?“ schreibt Paul Steinhardt eine Replik zu Heiner Flassbecks und meinem Beitrag „Demokratie und die internationalen Beziehungen“. Wie schon aus der Überschrift deutlich wird, geht es Paul Steinhardt um die Gretchenfrage „Wie hältst du‘s mit dem Euro?“. Heiner Flassbeck hätte seine Meinung zur gemeinsamen europäischen Währung grundlegend geändert und sei ausweislich des Beitrags und der Verteidigung der Europäischen Zentralbank (EZB) auf einmal für den Erhalt des Euro, entgegen früherer kritischer Äußerungen.
Das ist ein Missverständnis. In unserem Beitrag ging es nicht um Pro oder Contra Euro, sondern um die Frage, ob das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) – auch jenseits der formal-juristischen Dimension – sinnvollerweise berechtigt ist oder sein sollte, die Geldpolitik der EZB zu beurteilen. Der von anderen Autoren auf Makroskop hauptsächlich angeführte Grund, das zu bejahen, war, dass es der EZB als supranationaler Institution an einer ausreichenden demokratischen Legitimation ihrer Politik fehle und sie ihr Mandat durch die konkrete Geldpolitik seit der Eurokrise unzulässig ausgeweitet habe.
Ökonomisch-inhaltlich halten wir es für sehr gut begründet, dass die EZB als supranationale Institution keinem nationalen Gericht unterworfen ist und sein darf – und zwar unabhängig von der Politik, die sie macht. Dieses Argument, das haben wir versucht zu erklären, ist auch unabhängig davon, ob die EZB nach ihren Statuten politisch unabhängig ist oder nicht oder wie genau ihr Mandat aussieht. Betriebe die EZB eine sehr restriktive Geldpolitik (wie früher die Deutsche Bundesbank), müsste man sie dafür sachlich kritisieren. Die Kritik aber, ihr Handeln sei nicht von einem nationalen Parlament abgesegnet, geht von vorneherein ins Leere. Eine solche supranationale Institution muss immer eine gewisse Unabhängigkeit haben, nämlich die Unabhängigkeit von nationaler Politik und auch von nationalen Gerichten.
Deswegen sollte eine ausgesprochen wünschenswerte Revision der Verträge weniger auf die Beseitigung der Unabhängigkeit der Zentralbank zielen, als vielmehr auf eine Erweiterung des Mandats der EZB. Nämlich zusätzlich zum Inflationsziel auch die Berücksichtigung der Arbeitslosigkeit wie bei der amerikanischen Zentralbank FED. Andererseits müssten alle Mitgliedstaaten der Europäischen Währungsunion (EWU) sanktionsbewehrt verpflichtet werden, bei der Inflationsrate auf nationaler Ebene die Zielmarke von zwei Prozent einzuhalten, nämlich durch eine entsprechende Lohnpolitik. Das staatliche Instrumentarium dafür ist vorhanden und vielseitig. Es reicht von einer sinnvollen Dynamisierung des Mindestlohns über die Tarifabschlüsse der staatlich Beschäftigten bis hin zu Regelungen, die Flächentarifverträge bzw. die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen betreffen.
Die Schlagseite, die die EWU wegen der falsch konstruierten Verträge hat, lässt sich nicht dadurch heilen, dass man eine demokratische Legitimation der supranationalen Geldpolitik auf nationaler Ebene zu organisieren versucht. Dadurch vergrößert man die aktuellen Probleme statt sie zu lindern.
Die äußere Geldwertstabilität erfordert internationale Koordination
Die Geldpolitik kann ihr Ziel der Geldwertstabilität nie allein und ohne vernünftige Zusammenarbeit mit anderen Wirtschaftsakteuren erreichen, weil die innere Geldwertstabilität (das betrifft die Inflationsrate im Inland, die im Wesentlichen von der Lohnpolitik bestimmt wird) und die äußere Geldwertstabilität (das betrifft den Wechselkurs zu anderen Währungen) auch von Faktoren abhängt, die nicht der Kontrolle der Zentralbank unterliegen.
Die Zentralbank ist aber jederzeit auf das Vertrauen der Bevölkerung in die eigene Währung angewiesen, das nun mal wesentlich von der Geldwertstabilität abhängt. Mit anderen Worten: Die Zentralbank wird an einer Zielgröße gemessen, die sie nicht komplett allein kontrollieren kann. Befugnisse und Verantwortung fallen sozusagen nicht deckungsgleich zusammen. Die Kunst der Geldpolitik besteht also darin, sich mit den anderen Politikbereichen so zu koordinieren, dass sie ihr(e) Ziel(e) erreichen kann.
Vor diesem Problem steht die EZB, aber auch jede nationale Notenbank. Würde die EWU aufgelöst, müsste sich die nationale Zentralbank jedes ehemaligen EWU-Landes mit den Zentralbanken einer großen Anzahl anderer Staaten abstimmen, um die eigene Währung nicht zum Spielball der Kapitalmärkte werden zu lassen und um gegenseitige Abwertungswettläufe zu verhindern.
Da es in beiden Fällen – sowohl bei Währungsspekulationen als auch bei von Zentralbanken betriebenen Abwertungswettläufen – kurzfristig Gewinnergruppen und entsprechend Verlierergruppen gibt, ist es keine Selbstverständlichkeit, dass sich im Einzelfall auf allen betroffenen Seiten jederzeit demokratische Mehrheiten finden, die laufend das langfristig für alle Nationen Sinnvolle in der Geldpolitik beschließen. Also braucht man auch hier einen allgemeinen Mechanismus, der unabhängig vom Einzelfall zum Wohle aller dauerhaft Anwendung findet. Diesen Mechanismus kann es nur geben bzw. er kann nur verlässlich durchgesetzt werden, wenn er nicht permanent auf der nationalen Ebene demokratisch legitimiert werden muss.
Dann kann man sich aber die Abschaffung der EWU mit der Begründung, die Geldpolitik der EZB sei nicht hinreichend demokratisch legitimiert, sparen. Man müsste ja doch einen Ersatz für ihr unabhängiges Agieren finden, um die jeweiligen nationalen Interessen zum Ausgleich zu bringen, wo sie auf währungspolitischem Gebiet gegeneinander gerichtet sind. Und dieser Ersatz wird den gleichen „Webfehler“ mangelnder demokratischer Legitimation aufweisen müssen, wenn er funktionieren soll.
Vor dem Euro gab es das Europäische Währungssystem (EWS), das mehr schlecht als recht funktionierte, weshalb es ja auch abgeschafft wurde. Aber anstatt es ersatzlos zu streichen, entschloss man sich, gemeinsam Geldpolitik zu betreiben mit einer gemeinsamen Zentralbank. Dass das bislang nicht sehr gut funktioniert hat, ist leider wahr. Paul Steinhardt schreibt völlig zurecht: „Mit der gemeinsamen Währung wurde das deutsche Unterbewertungsregime, mit dem sich Deutschland Wettbewerbsvorteile im Außenhandel verschafft hat, keineswegs beendet. Ganz im Gegenteil: der Euro entpuppte sich als ein Schutzschild der merkantilistischen Strategie Deutschlands“.
Nur gibt es keine Garantie, dass sich dieses Problem mit der Abschaffung des Euro, wie Paul Steinhardt sie nahezulegen scheint, einfach erledigen lässt. Zwar gäbe es dann wieder Wechselkursventile. Aber wenn die Arbeit dieser Ventile von den Akteuren auf den Devisenmärkten permanent gestört wird (wofür es zahlreiche Beispiele in der jüngeren Vergangenheit gibt: Ungarn, Brasilien, Türkei oder Südafrika), statt dass sie kontinuierlich und vorausschauend von den sich eng miteinander abstimmenden nationalen Notenbanken gesteuert werden, ist nichts gewonnen. Das EWS, das keiner vorausschauenden Regel folgte, sondern in dem Änderungen nur aufgrund des Drucks der Devisenmärkte erfolgten, ist kein überzeugendes Modell, wie der äußere Geldwert einer Gruppe von nationalen Währungen stabil gehalten werden kann.
Wollte sich Deutschland nach Abschaffung des Euro und Wiedereinführung der D-Mark z.B. gegen eine überschießende Aufwertung wehren, müsste die Deutsche Bundesbank große Summen fremder Währungen – etwa in Form ausländischer Staatsanleihen – kaufen und ihre Bilanzsumme enorm erhöhen, ähnlich wie das heute die Schweizer Nationalbank tut. Das ähnelte dann fatal der derzeitigen angeblichen Überdehnung des Mandats der Zentralbank.
MMT hilft nicht gegen Merkantilismus
Vor allem aber gäbe es wieder eine deutsche Geldpolitik, nach der sich die übrigen Länder Europas zu richten bzw. unter der sie im Zweifel zu leiden hätten – und zwar ohne jede demokratische Zustimmung dieser Bürger Europas. Jedenfalls dann, wenn Deutschland einen tendenziell deflationären Takt bei der Lohnpolitik vorgäbe. Gegen den vorzugehen wäre dann keine supranationale Institution berechtigt und in der Lage – ganz ähnlich dem heutigen Regelungsmanko (der sog. makroökonomische Dialog in seiner bisherigen Form ist ja offensichtlich ein viel zu schwaches Instrument). Entweder müssten die europäischen Staaten, die keine merkantilistische Strategie verfolgen, eine auf ihre Konjunktur nicht abgestimmte Zinspolitik zum Schutz ihres Wechselkurses betreiben oder bei konjunkturell passender Zinspolitik im Zweifel Achterbahnfahrten ihrer Wechselkurse hinnehmen.
Die Idee, mit einer eigenen nationalen Währung die Geldpolitik jederzeit nationaler demokratischer Legitimation unterwerfen zu können, klingt verlockend. Aber es bleibt von ihr bei genauem Hinsehen nicht viel übrig. Die auf der Modern Monetary Theory (MMT) basierende Vorstellung, jedes Land könne mit seiner eigenen Währung souverän tun und lassen, was es wolle, greift zu kurz. Sie beantwortet nämlich die entscheidende Frage nicht befriedigend, wie die Stabilität der Währung in Zeit und Raum verlässlich gewährleistet werden kann.
Das Zeitfenster nutzen
Weiter moniert Paul Steinhardt richtigerweise, dass „man … seit zehn Jahren ganz offensichtlich nicht fähig war, diesen Notstand [gemeint sind die Anleihekaufprogrammen der EZB; Anm. d. Verf.] zu beseitigen und daher immer weitere Programme nach diesem Muster auflegen musste.“ Das ist in der Tat die Folge des deutschen Merkantilismus gewesen, der bis heute unter den politisch Verantwortlichen in Deutschland kaum offen diskutiert wird. Aber nicht nur hierzulande, sondern auch in anderen europäischen Staaten hat man es lange Zeit offenbar nicht für nötig gehalten, sich mit den makroökonomischen und insbesondere den monetären Zusammenhängen innerhalb und zwischen den Volkswirtschaften auf Basis logischer Zusammenhänge (wie den Finanzierungssalden) zu beschäftigen.
Daher ist es durchaus verständlich, an der Reformfähigkeit der EWU und der Reformwilligkeit der politisch für sie Verantwortlichen zu zweifeln, wie das Paul Steinhardt offenbar tut. Auch Heiner Flassbeck und ich schwanken seit Jahren zwischen Hoffen und Aufgeben und stöhnen über die Unfähigkeit der geschädigten Südeuropäer einschließlich Frankreichs, ihre berechtigte Kritik an Deutschland in wirksame Politik umzusetzen.
Aber ausgerechnet die aktuelle Krise hat ein Zeitfenster geöffnet, in dem es zu einer Revision der EWU-Verträge kommen könnte, weil allen das Wasser bis zum Hals steht – den Südeuropäern ganz sichtbar, aber auch Deutschland mit seiner immensen Exportüberschussabhängigkeit. Bei den einen wächst die Einsicht, was die Aufgabe eines Staates und seiner Zentralbank eigentlich sein sollte. Und zugleich haben die Unbelehrbaren derzeit schlechte Karten, ihre unhaltbaren Positionen durchzusetzen, weil sie sich in dieser massiven Krise als das entpuppen, was sie sind: unlogisch.
Und genau wegen dieser historischen Chance der Korrektur der europäischen Verträge hat das Urteil des BVerfG eine verheerende Wirkung, weil es der deutschen Öffentlichkeit weiter Sand in die Augen streut, sie in ihrer Provinzialität, Engstirnigkeit und gesamtwirtschaftlichen Unbildung bestärkt und es damit denjenigen deutschen Politikern, die die Logik gerade zu verstehen beginnen, extrem erschwert, eine Kehrtwende einzuleiten, um aus der selbst verschuldeten Sackgasse herauszufinden. Anders als in und nach der Finanzkrise sollten wir dieses Mal nicht das Zeitfenster verpassen, die EWU vom Kopf auf die Füße zu stellen.