Tuesday , April 30 2024
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Wer braucht schon eine internationale Feuerwehr?

Summary:
Eine internationale Feuerwehr wird überall da gebraucht, wo es entweder keine nationalen Lösungen gibt oder nationale Regierungen dazu tendieren, Trittbrettfahrer zu spielen. Das gilt für den Handel, die monetären Beziehungen und für den Klimawandel. Andreas Nölke hat auf die Kritik von Friederike Spiecker und mir an seinen Demokratievorstellungen ausführlich reagiert. Aber er hat leider auf unseren zentralen Punkt nicht geantwortet. Dieser Punkt war sehr einfach: Immer wieder, so unsere Behauptung, braucht man im Zusammenleben von Menschen und Nationen eine Feuerwehr, deren Zuständigkeit nicht an nationalen Grenzen halt macht. Nölke sagt implizit, so einen Fall könne er sich nicht vorstellen. Was sich daran zeigt, dass er den IWF erwähnt, sich aber offensichtlich

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Heiner Flassbeck considers the following as important:

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Eine internationale Feuerwehr wird überall da gebraucht, wo es entweder keine nationalen Lösungen gibt oder nationale Regierungen dazu tendieren, Trittbrettfahrer zu spielen. Das gilt für den Handel, die monetären Beziehungen und für den Klimawandel.

Andreas Nölke hat auf die Kritik von Friederike Spiecker und mir an seinen Demokratievorstellungen ausführlich reagiert. Aber er hat leider auf unseren zentralen Punkt nicht geantwortet. Dieser Punkt war sehr einfach: Immer wieder, so unsere Behauptung, braucht man im Zusammenleben von Menschen und Nationen eine Feuerwehr, deren Zuständigkeit nicht an nationalen Grenzen halt macht. Nölke sagt implizit, so einen Fall könne er sich nicht vorstellen. Was sich daran zeigt, dass er den IWF erwähnt, sich aber offensichtlich nicht im Klaren darüber ist, wofür man eine solche internationale Institution wirklich braucht.

Nölke sagt explizit: „Auf freiwilliger Basis wird diese Rolle (des IWF) nicht akzeptiert.“ Nur was bedeutet Freiwilligkeit, wenn man zur Kenntnis nimmt, dass der IWF von den betroffenen Ländern immer wieder gebeten wird, in ihrem Land aktiv zu werden? Auch gibt es viele Länder, die vollkommen freiwillig auf geldpolitische Souveränität verzichtet haben, Österreich ist der klassische Fall. Offensichtlich gibt es in diesem Bereich Zusammenhänge, die sich mit Freiwilligkeit oder Unfreiwilligkeit nicht angemessen erfassen lassen.

Sich selbst die Hände binden

Ich will das an einer einfachen Geschichte bebildern. Als ich zum ersten Mal von der Regierung in Ecuador gebeten wurde, in Quito mit Vertretern der Regierung über die Möglichkeiten einer monetären Zusammenarbeit in Lateinamerika zu diskutieren, konnte ich nicht fassen, was sich das Land selbst angetan hat. Es hat sich nämlich dollarisiert. Was heißt, dass es die eigene Währung abgeschafft und – ohne jede Unterstützung von Seiten der USA – den US-Dollar als Landeswährung eingeführt hat.

Man stelle sich einmal vor, wie abwegig das ist: Man ersetzt eine Währung, die man selbst herstellen kann, durch eine Währung, deren Geldscheine man mit Koffern in den USA abholen (als Bezahlung von Öl unter anderem) und im wahrsten Sinne des Wortes ins eigene Land tragen muss, und man begibt sich in sklavische Abhängigkeit von der Geldpolitik der USA. Im Lichte der Modern Monetary Theory (MMT), wo ja so ungefähr das Wichtigste für die Wirtschaftspolitik die Tatsache ist, dass man in der eigenen Währung nicht Pleite gehen kann, ist das nicht mehr abwegig, das ist komplett verrückt.

Dennoch tun sich Länder so etwas an. Warum gibt man so viel nationale Macht einfach auf? Weil das, was in unseren Breitengraden für normal und selbstverständlich gehalten wird, in vielen Ländern die mit Abstand schwerste (und manchmal einfach unlösbare) Aufgabe der Wirtschaftspolitik ist, nämlich den inneren und zugleich den äußeren Wert der Währung so zu stabilisieren, dass die Bevölkerung bereit ist, sich für ihre Arbeit in dieser Währung bezahlen zu lassen und nicht fünf Minuten nach der Auszahlung der Löhne alles (bis auf das, was man für die Steuern braucht) in Dollar umzutauschen. In Österreich, wo man niemals versucht hat, eine eigenständige Währungs- und Geldpolitik zu betreiben, wurde dieser Ansatz als „das Binden der eigenen Hände“ ausführlich und über viele Jahre mit dem Ergebnis diskutiert, dass genau das absolut vernünftig sein kann.

Warum ist eine stabile Geldwirtschaft so schwer zu erreichen?

Einfache Antwort: Weil eine valide makroökonomische Theorie, auf deren Basis kleine offene Volkswirtschaften verlässlich arbeiten könnten, den Verantwortlichen in den meisten dieser Volkswirtschaften unbekannt ist und sie, selbst wenn sie eine Ahnung davon hätten, nicht mit einer zuverlässigen Zusammenarbeit mit mindestens einer der großen Zentralbanken dieser Welt rechnen könnten. Wenn der Finanzminister und der Notenbankgouverneur eines kleinen Landes ihre ökonomische Ausbildung in Harvard, Chicago oder Stanford absolviert haben (was die Regel in Lateinamerika ist), ist das Land ohne jede eigene geldpolitische Chance. Denn dort wird zum Beispiel gelehrt, dass man am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland lernen könne, was notwendig ist, um den Geldwert zu stabilisieren, nämlich eine unabhängige und allein der Preisstabilität verpflichtete Notenbank.

Das ist falsch, weil in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg durchweg die Stabilität der Arbeitsbeziehungen und die Entwicklung der Löhne entscheidend für die Preisstabilität waren. Nur ab und an wurde die Notenbank gebraucht, um wieder für mehr Vernunft bei den Tarifpartnern zu sorgen. Versucht man in einem lateinamerikanischen Land vorwiegend mit Hilfe der Geldpolitik die Inflationsrate zu stabilisieren, ohne eine stabile Lohnentwicklung und die institutionellen Voraussetzungen dafür zu haben, scheitert man ungeheuer schnell. Man rennt in eine lohninduzierte Inflation und weiß nicht, was man dagegen tun soll, weil man ja nur die Wirtschaft abwürgen kann, was man aber politisch auf jeden Fall verhindern möchte.

Dann aber kommt das nächste Problem, weil die eigene Währung Achterbahn fährt. Zunächst wird sie von den „Märkten“ aufgewertet und dann, nachdem man hohe Leistungsbilanzdefizite bekommen hat, wird sie ohne Gnade abgewertet. Will man verhindern, dass aus einer sich beschleunigenden Abwertung wieder neue Inflation entsteht (und die Rohstoffe sowie andere wichtige Importe unbezahlbar werden), muss man intervenieren – oder den Kapitalverkehr einschränken, was aber meistens nicht funktioniert, weil auch dazu die institutionellen Voraussetzungen fehlen. Intervenieren kann man aber nicht lange und schon gar nicht überzeugend, weil man nicht über unbegrenzte, sondern nur über eng begrenzte Devisenreserven verfügt.

Die entscheidende Asymmetrie

Das ist der klassische Fall, wo die internationale Feuerwehr, die IWF heißt, unabdingbar ist, denn die allein verfügt über das Löschmittel in Form von US-Dollars. Das Zwang oder Unfreiwilligkeit von Seiten der betroffenen Länder zu nennen, ist sicher falsch. Die Sache ist einfach so, dass nur die internationale Aktion zum Erfolg führen kann. Der oben geschilderte Zusammenhang stellt eine bedeutsame Asymmetrie dar (Aufwertung kann man mit eigenen Mitteln verhindern, Abwertung nicht), die man niemals ausblenden darf, wenn man über nationale Selbstbestimmung und internationale Zusammenarbeit redet. Es kann in diesen Fällen nur eine internationale Feuerwehr geben, weil eine nationale Feuerwehr in den Ländern, in denen es zu brennen droht oder brennt, systematisch nicht über genügend Löschmittel verfügt. Die Asymmetrie ist natürlich eng verbunden mit dem Unmöglichkeitstheorem (nicht alle Länder können Leistungsbilanzüberschüsse aufweisen), auf das Friederike Spiecker und ich unsere Argumentation aufgebaut hatten. Wer Überschüsse erreicht, muss Abwertung kaum fürchten, wer Defizite hat, muss dauernd damit rechnen.

Diese Prinzipien haben nichts mit dem konkreten Verhalten der Institutionen zu tun, die  internationale Macht ausüben. Dass die Feuerwehr namens IWF in der Regel gleich die Regierung übernimmt und der betroffenen Nation – Demokratie hin, Demokratie her – sagt, wie man aus ihrer Sicht das nächste Feuer verhindert, kann man durchaus kritisieren. Auch kann man die konkreten Therapien des IWF und sein Auftreten in den letzten 30 Jahren für fundamental falsch halten. Kaum für falsch halten kann man jedoch, dass eine immer wieder angeforderte Feuerwehr auch demokratischen Ländern Ratschläge dazu gibt, wie man generell Feuer verhindert. Auch die Tatsache, dass die Feuerwehr viel zu oft ausrücken muss, weil die Theorien zur Erklärung der Feuerausbrüche falsch sind, kann man nicht der Feuerwehr zum Vorwurf machen.

Länder, die mehrfach durch solche Währungseruptionen gegangen sind, tendieren so wie Ecuador dazu, an ihrer Aufgabe zu verzweifeln und Irrsinnslösungen nicht auszuschließen. Das ist alles kein Wunder, wenn man bedenkt, wie beharrlich sich fast die gesamte ökonomische Theorie (einschließlich MMT) weigert, der empirisch eindeutig bestätigten Lohntheorie der Inflation zu folgen. Die neoklassische Theorie weigert sich, die Fakten anzuerkennen, weil sonst ihr gesamtes theoretisches Gebäude zusammenkracht. Und MMT weigert sich, weil man sonst zugeben müsste, dass man hin und wieder doch eine restriktive Geldpolitik mit hohen Zinsen braucht, um die Inflation zu bekämpfen.

Genau das Gleiche gilt für das Eingreifen der Geldpolitik in der EWU. Nur weil die Geldpolitik über den nationalen Entscheidungsträgern steht, kann sie glaubwürdig eingreifen, wenn es um die Spreads (die Zinsabstände) zwischen den Ländern der EWU geht. Italien sähe sich alleine gegenüber den „Märkten“ in genau der gleichen Situation wie ein Entwicklungsland. Die meisten europäischen Länder (einschließlich Österreichs) sind der EWU beigetreten, weil sie genau diese nationale Ohnmacht verhindern wollten. Sollen wir ihnen heute sagen, dass die EZB genau das nicht tun kann, was alle von ihr erwartet haben, weil sie nicht über eine ausreichende demokratische Legitimation verfügt? Das wäre absurd, denn die Länder haben zwar formal auf Macht zugunsten der EZB verzichtet, de facto hatten die meisten die Macht aber gar nicht, auf die sie „verzichtet“ haben. Durch die bloße Existenz der EZB ist tatsächlich etwas Neues (nämlich Macht gegenüber den Märkten) entstanden, was es ohne sie nicht gegeben hätte.

Das einzige Land, das bei der Gründung der EWU tatsächlich auf geldpolitische Macht verzichtet hat, ist Deutschland. Und genau darüber beschweren sich viele in Deutschland. Dieser Machtverzicht erfolgte aber zugunsten unserer europäischen Nachbarn und zulasten der Deutschen Bundesbank, nicht aber in erster Linie zulasten des deutschen Parlaments. Wem dieser Machtverzicht ein Dorn im Auge ist, der greift – möglicherweise unbewusst – die besseren Chancen der EWU-Partner an, Deutschlands geldpolitische Macht einzuhegen. Ob man als Begründung für diese Haltung mangelnde demokratische Legitimation auf nationaler Ebene anführt oder platte ökonomische Interessen (wie etwa Hans-Werner Sinn), ist letzten Endes für das zerstörerische Potenzial der Außenwirkung gleichgültig.

Wer sich mit den internationalen Beziehungen beschäftigt, kommt nicht umhin, sich intensiver mit einer für die Wirklichkeit relevanten Ökonomik auseinanderzusetzen. Es genügt nicht, das neoklassische Dogma zum Maßstab dessen zu machen, was man von ökonomischer Seite als Erklärung erwarten kann und das in irgendeiner Weise in die eigenen Erklärungen einzubauen. Die Neoklassik baut ja nicht nur auf der Fiktion vom neutralen Geld auf, sondern sie unterstellt auch, man könne das Geld international dadurch neutralisieren, dass man es den Finanzmärkten überlässt, die Währungsrelationen zu bestimmen. In dieser schönen neuen Welt kann man in der Tat darauf setzen, der Geldpolitik einen rein technokratischen und nationalen Auftrag zu geben und den IWF nur auf der Basis von Freiwilligkeit zu rufen. Mit der Wirklichkeit, deren Erklärung man von Wissenschaftlern allerdings erwarten kann, hat das absolut nichts zu tun.

Handel, Geld und Klima

Jeder Versuch, internationale oder gar globale Ziele zu erreichen, dessen Erfolg zwingend von einem angemessenen Verhalten aller beteiligten Nationen abhängt, ist darauf anwiesen, internationale Institutionen zu schaffen, die das Verhalten beobachten, bei Fehlentwicklungen einschreiten und die in der Lage sind, die nationalen Entscheidungsträger vor einem internationalen Gericht zur Verantwortung zu ziehen. Wäre die EU-Kommission frühzeitig und energisch gegen das deutsche Lohndumping, das einen klaren Verstoß gegen das gemeinsam beschlossene Inflationsziel darstellte, vorgegangen, hätte die Eurokrise mit allen Folgewirkungen vermieden werden können. In der gegenwärtigen Krise ist es z.B. die Aufgabe der Kommission dafür zu sorgen, dass beispielsweise die Automobilindustrie in Europa in allen Ländern ähnlich behandelt wird, so dass nicht ein Land seine Firmen zulasten aller anderen subventioniert.

Beim Klimawandel stellt sich exakt das gleiche Problem. Jenseits der heute üblichen weichen Selbstverpflichtungen der Länder gibt es wirkliche globale Aktion gegen die Klimaerwärmung nur, wenn alle bereit sind, den Markt für fossile Rohstoffe durch eine internationale Übereinkunft zu ersetzen, bei der sich alle Beteiligten verpflichten, ihre eigene Bevölkerung den steigenden realen Preisen für fossile Energie uneingeschränkt auszusetzen, so dass es ohne Ausnahme überall zu tiefgreifenden Verhaltensänderungen kommt. Auch hier sind nationale Subventionen oder andere nationale Sonderwege Gift für das Gesamtkonzept, weil es explizit nur funktioniert, wenn sich alle daran halten. Trittbrettfahren auch eines einzelnen Landes ist tödlich, weil dann auch andere glauben, sie könnten sich den tiefgreifenden Veränderungen entziehen.

Wer glaubt, man könne auf Verträge verzichten, die den Spielraum nationaler Regierungen und Parlamente einschränken, liegt vollkommen falsch. Ohne global durchgesetzte Verhaltensänderungen wird die Welt in 50 Jahren genauso weit sein wie 2015, als man sich auf einen Vertrag (den von Paris) geeinigt hat, der vermutlich als der größte Flop aller Zeiten in die Geschichte eingehen wird. In Paris wurde nämlich versäumt, über das eigentliche Thema zu reden, das da heißt: International vereinbarte und international kontrollierte Abmachungen, die via Preismechanismus dafür sorgen, dass alle politischen Bekundungen auch in Taten umgesetzt werden.

Jede Art der internationalen Zusammenarbeit, bei der es um angemessenes und faires Verhalten aller Beteiligten geht, braucht, um erfolgreich zu sein, supranationale Institutionen, die mehr sind als nur die Beobachter der Beteiligten. Man braucht Schiedsrichter und Feuerwehren und beide brauchen Macht, weil sie sonst ihre Rolle nicht erfolgreich spielen können.

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