Ein Buch über eine Verschwörungstheorie gefällig? Bitte sehr: „Schaden in der Oberleitung. Das geplante Desaster der Deutschen Bahn“. Wie? Da geht es gar nicht um eine Verschwörungstheorie? Das ist alles echt? Ein Staat im Staate, Funktionäre, die langsam aber sicher ein ganzes Land lähmen und sich über die verfassungsrechtlichen Zwänge hinwegsetzen, aber überhaupt nicht belangt werden? Klar, dass Sie da an die Bilderberger denken. Oder an die Freimaurer oder Illuminaten. Um die geht es, nicht wahr? Aber die Gruppen, an die Sie, liebe Leserin, lieber Leser, gerade denken, sind nicht gemeint. Gemeint ist eine gemeingefährliche Bande, die – wider aller ökologischer Bedenken, sicherheitsrelevanter Standards und ökonomischen Sachverstandes – Bauprojekte aufzieht. Ein
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Roberto J. De Lapuente considers the following as important: Deutsche Bahn
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Ein Buch über eine Verschwörungstheorie gefällig? Bitte sehr: „Schaden in der Oberleitung. Das geplante Desaster der Deutschen Bahn“. Wie? Da geht es gar nicht um eine Verschwörungstheorie? Das ist alles echt?
Ein Staat im Staate, Funktionäre, die langsam aber sicher ein ganzes Land lähmen und sich über die verfassungsrechtlichen Zwänge hinwegsetzen, aber überhaupt nicht belangt werden? Klar, dass Sie da an die Bilderberger denken. Oder an die Freimaurer oder Illuminaten. Um die geht es, nicht wahr?
Aber die Gruppen, an die Sie, liebe Leserin, lieber Leser, gerade denken, sind nicht gemeint. Gemeint ist eine gemeingefährliche Bande, die – wider aller ökologischer Bedenken, sicherheitsrelevanter Standards und ökonomischen Sachverstandes – Bauprojekte aufzieht. Ein bisschen wie im Palermo der Sechziger, als man historische Bausubstanz abriss und ersatzweise klotzige Quaderbauten als lukrative Bauprojekte für Finanziers aus der „ehrenwerten Gesellschaft“ hochzog. Aber die Unterwelt, die Mafia, als große Verschwörung gegen die Gesellschaft, meinte ich nun auch nicht.
Es ist viel banaler – und zeigt: Über Verschwörungstheorien sollte man nicht per se herziehen, denn manche Verschwörung ist gar keine Theorie, sondern Praxis. Und sie findet vor unser aller Augen statt.
Stuttgart 21, deinstallierte Schienen und andere Desaster
Nicht Freimaurer, nicht Cosa Nostra: Es geht einfach nur ganz schlicht um die Deutsche Bahn. Um dieses Staatsunternehmen ohne Staat. Eines mit Verfassungsauftrag, das so tut, als sei es nicht mehr in der Verfassung für die Verfassung. Man trägt Schienen ab, baut Infrastruktur zurück, Bahnhöfe werden geschlossen und verhökert, ja ganze Landstriche verwaisen, keine Schiene weit und breit. Wenn das mal nicht eine glasklare Verschwörung gegen jene ist, die irgendwo auf dem flachen Land leben, alt sind, sich kein Auto leisten können!
Der Journalist Arno Luik hat ein Buch über diese Verschwörung geschrieben: »Schaden in der Oberleitung. Das geplante Desaster der Deutschen Bahn«. Kein Wort von Verschwörung im Titel. Der Inhalt berichtet aber darüber.
Luik ist ein ausgewiesener Fachmann für die Problematik um Stuttgart 21. Er legt dar, dass im Grunde alles, was sich an diesen Komplex knüpft, an einen Skandal grenzt. Politik und Wirtschaft haben sich verschworen, um das Projekt durchzuboxen. Koste es was es wolle. Doch wenn es nur die Kosten wären, die empörten. Dem Bahnhof werden allerlei Zugeständnisse in puncto Sicherheit gemacht. Fluchtwege sind enger als vorgeschrieben, die Neigung der Schienen steiler als üblich. Die Feinstaubbelastung wird in dem sehr knapp ausgelegten Bahnsteigbereichen immens sein. Außerdem ist er zu klein, birgt weniger Schienen. Pendler werden über den neuen Komplex gar nicht in die schwäbische Metropole kommen können.
Und was macht die Politik, der all diese Probleme vorliegen und die die Expertisen kennt? Sie machte es vor Jahren zur Chef-, das heißt zur Kanzlerinnensache. Stuttgart 21 sollte kommen, schon deswegen, um Deutschlands Standing in Europa zu festigen. Es gab ja Verträge und die Kanzlerin meinte, wenn man die jetzt löse, wäre das eine Einladung für die damals in der Krise steckenden Griechen, sich an nichts mehr zu halten. Auf diese Argumentation muss man erst mal kommen.
Ökonomisch ist das Projekt schon mindestens seit zehn Jahren nicht mehr sinnvoll. Aber die Deutsche Bahn muss durchhalten – was heißt, dass der Steuerzahler es für die Bahn durchhalten muss. Der Konzern hat nämlich einen Ruf zu verlieren und möchte nach den Straßenkämpfen vor einem Jahrzehnt nicht doch noch als Verlierer aus der Sache gehen. Das ist ihm 8,2 Milliarden Euro wert.
DB und BMVI: Eine verschworene Kooperation
In Hamburg-Altona dasselbe Spiel etwas bescheidener. Ein neuer Bahnhof soll her. Kleiner als der Vorgänger. Das Fahrgastaufkommen ist aber höher als noch vor Jahren. Außerdem soll er dezentral und mit weniger Schienen verwirklicht werden. Die Bahn plant an der Zukunftsfähigkeit vorbei. Sie reißt Bahnhöfe ab und verkauft sie an Privatleute. Seit 1994 hat sie etwa 7.000 Schienenkilometer und knapp 60.000 Weichen deinstalliert. Vorgehensweisen und Zahlen, die einen skeptisch machen, was die Verkehrswende betrifft.
Der Verkehrsexperte Christian Böttger hält es aber für grundlegend falsch, der Bahn und ihren jeweiligen Vorsitzenden alleine die Verantwortung für diese Misere zuzuschieben. Auch die Politik, insbesondere »die Verkehrsminister haben gepennt«. Daher sei der Niedergang der Schiene nicht weniger als ein Staatsversagen. Und eben nicht nur unternehmerische Verfehlung.
Man muss nicht weit in die Vergangenheit gehen, um ein Belegexemplar für diese These zu finden. Aktuell haben wir das Paradebeispiel eines Verkehrsministers im Amt, der sich eigentlich gar nicht so richtig für den öffentlichen Nah- und Fernverkehr interessiert. Andreas Scheuer gründete als junger Abgeordneter den Parlamentskreis »Automobiles Kulturgut«: Das spricht Bände und hat sich im Grunde bis heute kaum verändert. Sein Amtsvorgänger Ramsauer bescheinigte ehedem, dass in »Andis Adern […] Superbenzin« fließe.
Für die Automobilindustrie dürfte der Mann auch mehr der Andi als der Herr Scheuer sein. Zu rücksichtsvoll geht er mit den Herstellern vierrädriger, fünftüriger Individualvehikel um. Eine Verkehrswende mit dem Andi? Sicherlich denkbar, weil man Vieles denken kann: Auch das Unmögliche. Mit der Realität hat das alles aber nichts zu tun.
Deutsche Bahn und das Bundesverkehrsministerium (BMVI): Da haben sich zwei ganz Große verschworen, konspirieren miteinander. Beide zu Gunsten der Automobillobby. Denn so wie die Bahn geführt wird, liegt nahe, dass sie an der Schiene wenig Interesse hat. Ihre Funktionäre trauen ihrem eigenen Geschäftsmodell wohl nicht über den Weg. Während wir momentan wieder viel über Verschwörungstheoretiker grübeln, haben wir die Verschwörungspraktiker aus Unternehmen und Ministerium längst als Normalität akzeptiert. Wenn sich die Verschwörung so ungeniert vor aller Augen abspielen kann, merkt man offenbar gar nicht, dass da jemand Komplotte schmiedet.
Das Buch zur Verschwörungstheorie
Nebenher geht die Deutsche Bahn allerlei Geschäften im Ausland nach. Und das nicht mal im ureigensten Metier. Die Bahn hält eine Mehrheit an Kroatiens größten Busunternehmen und kümmert sich in Tschechien um Elektrobusse. Auf den Straßen Portugals, Polens, Dänemarks und Spaniens fahren Busse der DB – machen so den nationalen Bahnen Konkurrenz. In Großbritannien wickelt sie sogar Krankentransporte ab. Oft sind die Beteiligungen defizitär: Letztlich verbranntes Geld, das für Deutschlands Schienenverkehr fehlt – was man durchaus auch merkt als Fahrgast und Kunde.
Zudem ist das Unternehmen ist in sich total zerrissen, allerlei Subunternehmen kochen ihr eigenes Süppchen. Was DB Regio macht, hat mit DB Fernverkehr nichts zu tun. Ob DB Cargo, DB Netze oder DB Netzenergie: Abgestimmt wird da wenig. Jede Sparte ist ausgestattet mit einem separaten Wasserkopf aus Verwaltung und Funktionären.
Vor dreißig Jahren hätte man das alles mal in einer lustigen Runde erzählen sollen, all diese drohenden Vorgehensweisen einer Staatsbahn, die Sparprogramme und diese freche Gleichgültigkeit gegenüber dem öffentlichen Interesse exekutiert. Wahrscheinlich wäre man als ein bisschen paranoid hingestellt, als irgendwie im verschwörungstheoretischen Milieu unterwegs betrachtet worden.
Klar lief auch 1990 nicht alles rund bei der Bahn, die Zugbegleiter hießen noch Schaffner und waren oft nicht freundlich, aber dass das mal so enden würde: Nein, also bitte, man müsse schon mal auf dem Boden der Tatsachen bleiben. Sowas gibt es nicht in Deutschland.
In Italien vielleicht. Aus Südeuropa ist man das ja gewohnt. Hätte unser Prophet vor dreißig Jahren noch angemerkt, dass die italienische Staatsbahn um das Jahr 2020 zu der pünktlichsten in Europa gehört, wäre er endgültig für verrückt erklärt worden.
Aber genauso ist es dann letztlich gekommen, Arno Luik hat als Chronist des Verfalls sachkundig berichtet – man kann nachlesen, dass es keine Theorie, dass es Praxis war und ist. Verschwörerisch praktiziert vor unser aller Augen. Insofern spielte sich da auch ein Lehrstück ab, eines das uns erklärt, dass die bitteren Wahrheiten von heute noch gestern nicht denkbar waren. Man sollte vielleicht vorsichtig sein mit dem leichten Vorwurf, man laufe da nur einer seltsamen Theorie nach. Manchmal ist sie schon Praxis und eine fassbare Verschwörung. Und die Verschwörer sitzen prominent sichtbar vor unser aller Nasen. Und ehe wir es merken, ist es schon zu spät.
Arno Luik
Schaden in der Oberleitung
Das geplante Desaster der Deutschen Bahn
296 Seiten
Klappenbroschur
20,00 €