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Nachruf auf die Zukunft

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Nimmt man das systematische Fehlen staatlicher Vorsorge in der Covid-Krise zum Maßstab, sieht es nicht danach aus, dass das Schlimmste in Sachen Klimawandel noch verhindert werden kann. Wenn es stimmt, dass Covid-19 der kleine Bruder und Vorbote der Klimakatastrophe ist, dann ist es –angesichts des tatsächlichen Niveaus unserer Anstrengungen gegen den Klimawandel – im Klimakalender gerade Anfang März, als der Bundesgesundheitsminister noch sinngemäß verkündete: Don’t worry, be happy! Anschließend kam es zur Ausrufung des Gesundheitsnotstands und zur größten Wirtschaftskrise in Friedenszeiten seit Menschengedenken. Noch Fragen? Covid-19 is climate on warp speed “Covid-19 is climate on warp speed,” sagt der Klimaökonom Gernot Wagner und bringt so prägnant

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Nimmt man das systematische Fehlen staatlicher Vorsorge in der Covid-Krise zum Maßstab, sieht es nicht danach aus, dass das Schlimmste in Sachen Klimawandel noch verhindert werden kann.

Wenn es stimmt, dass Covid-19 der kleine Bruder und Vorbote der Klimakatastrophe ist, dann ist es –angesichts des tatsächlichen Niveaus unserer Anstrengungen gegen den Klimawandel – im Klimakalender gerade Anfang März, als der Bundesgesundheitsminister noch sinngemäß verkündete: Don’t worry, be happy! Anschließend kam es zur Ausrufung des Gesundheitsnotstands und zur größten Wirtschaftskrise in Friedenszeiten seit Menschengedenken. Noch Fragen?

Covid-19 is climate on warp speed

“Covid-19 is climate on warp speed,” sagt der Klimaökonom Gernot Wagner und bringt so prägnant Gemeinsamkeiten und Unterschiede beider Phänomene auf den Punkt. In beiden Fällen geht es um die Tragfähigkeit endlicher Systeme angesichts exponentiellen Wachstums systembedrohender Entwicklungen.

Covid-19 bzw. SARS CoV-2 drohte mit seinem Wachstum „das Gesundheitssystem zu überwältigen“. Das andere System, das – ungleich dramatischer – gerade im Begriff steht, durch exponentielles Wohlstands- und Verschmutzungswachstum überwältigt zu werden, ist das seit 10.000 Jahren konstante Erdklima, das in dieser Form die bislang selbstverständliche Grundlage menschlicher Zivilisation war und sonstige natürliche Lebensgrundlagen.

Obwohl die westliche Staatengemeinschaft auf eine Pandemie insgesamt sträflich schlecht vorbereitet war (einschließlich: it can’t happen here), konnten auf Grund der Aktualität der Dynamik synchrone Gegenstrategien die exponentielle Entwicklung noch beeinflussen.

Für das Klima gilt hingegen, dass eine aktuelle Bedrohung der Lebensbedingungen der Menschheit durch den Treibhausgaseffekt bzw. die durch ihn hervorgerufenen Temperaturen durch synchrone Gegenmaßnahmen nicht mehr beeinflusst werden könnte.

Einmal erreicht, kann eine Verringerung des Treibhausgasniveaus durch aktuelle Maßnahmen, also sogar die Kompletteinstellung von Treibhausgasemissionen – auf Grund der Trägheit des Abbaus von Treibhausgasen in der Atmosphäre – erst nach 30 Jahren wirksam werden. Zukünftige Klimamaßnahmen – und seien es vergleichsweise solche vom Kaliber des 23. März – kommen daher zunehmend 30 Jahre zu spät.

Der neoliberale König ist nackt

Nimmt man das systematische Fehlen staatlicher Vorsorge in der Pandemiefrage in der westlichen Staatengemeinschaft zum Maßstab, sieht es nicht danach aus, dass das Schlimmste in Sachen Klimawandel noch verhindert werden kann. Allzu weit scheint sich die angelsächsisch geprägte westliche Mentalität vom Gedanken des planenden und steuernden Staates verabschiedet zu haben.

Zwar vertritt nicht jeder in Sachen Pandemie das durch den Neoliberalismus endlich zur absoluten Herrschaft gelangte „Laissez-Faire“ so radikal wie die USA oder Großbritannien. Die Tatsache, dass ausgerechnet der vermeintliche Klassenfeind China sich in punkto staatlicher Vorsorge und Kontrolle in den Augen der Welt und der WHO als gnadenlos effektiv erwiesen hat, verhindert aber offenbar auch in Resteuropa eine Rückbesinnung auf staatliche Vorsorge-, Planungs- und Steuerungsverantwortlichkeit – und bewirkt stattdessen ein trotziges Ressentiment gegen so viel staatliche Durchschlagskraft. China muss der Buhmann sein, weil der historische Westen sich bei den praktischen Konsequenzen seiner Ideologie der Entstaatlichung ertappt fühlt. Der neoliberale König ist nackt und kann es nicht ertragen, andere bekleidet zu sehen.

Anders als in China, wo politische Führung und staatliche Verwaltung (demokratietheoretisch problematisch – bürokratisch effektiv) Hand in Hand gehen, hat die Tendenz zur Privatisierung auch vor dem westlichen Regierungssystem nicht haltgemacht. Regierungsmitglieder bekleiden im eigenen Selbstverständnis kein öffentliches Amt in öffentlicher Verantwortung mehr, sondern geben als Privatperson „ihr Bestes“. Nicht mehr der zu definierende Erfolg gilt als Maßstab staatlichen Handelns, sondern die persönliche Bemühung, die man niemandem absprechen kann. Erfolgskontrolle durch die Medien findet nicht statt – es herrscht „Berichterstattung“.

Der Berufsstand der Politiker ist weder in das Ethos der staatlichen Verwaltung (soweit noch lebendig) noch in den (durchaus vorhandenen) Kompetenzwettbewerb und Erfolgsmaßstab der Privatwirtschaft eingebunden. Staatliche Verantwortung tragen, ohne sie im tieferen Sinne (ach Preußen?) zu verstehen und zu übernehmen, ist das Markenzeichen westlicher Politik nicht erst seit der Schlamperei in Sachen Pandemie.

Kain und Abel

Der eigentliche Konflikt mit China liegt freilich tiefer und ist der von Kain und Abel.

Lange schon schaut der Gott des Wachstums mit größerem Wohlgefallen auf die chinesische Wirtschaft als auf die westliche. Diese befindet sich im Vergleich zu vorher schon seit den 1970er Jahren in der Krise – einschließlich des Aufstiegs des Finanzkapitalismus und des Neoliberalismus als Folge (nicht als Ursache).  Seit den 70ern stagnieren oder sinken die Energieverbrauchszuwachsraten in den OECD-Staaten, während sich China – nach dem westlichem Vorbild der Nachkriegszeit – zum C02-Weltmeister entwickelte.

Die Tatsache, dass die traditionell effektive staatliche Verwaltung in China im Gewand des Kommunismus den Siegeszug der kapitalistischen Marktwirtschaft nach dem Vorbild des Phönix aus der Asche organisiert hat, ist weltgeschichtlich bemerkenswert. Sie darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich damit das westliche Wachstumsmodell in China etabliert hat. China ist der feindliche Bruder, weil ihm zunehmend alles besser gelingt, als dem von eigener Größe und Vorbildrolle träumenden Westen. Die biblischen Folgen dieser Konstellation sind bekannt.

Von dieser Erfolgsstory abgesehen steht aber auch die kernige chinesische Politikverwaltung vor dem Problem einer wohlstandshungrigen Bevölkerung, der man ein Ende des Wachstumsmodells nicht einfach oktroyieren kann.

Auch wenn sich China im Corona-Jahr erstmals nicht auf ein beziffertes Wachstumsziel festgelegt hat, darf daher bezweifelt werden, dass es bereit und in der Lage ist, seinen CO2-Ausstoß massiv zu senken.

Wie vereinbaren wir Moral und Physik?

Dass die regelmäßig in China neu auftretenden Viren und ihre weltweite Verbreitung genau wie das Artensterben und der Klimawandel der Preis des Erfolges in Sachen wirtschaftlicher Entwicklung sind, liegt ohne viel Drumherum auf der Hand. Trotzdem wird niemand moralisch so vermessen sein, ein rasches Ende oder gar ein Zurückdrehen der wirtschaftlichen Entwicklung zu fordern. Was aber sonst? Muss, wer die Grenze überschritten hat, nicht zu ihr zurückkehren? Wie vereinbaren wir Moral und Physik?

Die schiere Zahl an Menschen auf der Erde und ihre wirtschaftlichen Nöte und Erwartungen sprechen nicht dafür, dass es gelingen wird, mit den vorhandenen Ressourcen zu haushalten, statt sie in einem quasi natürlichen Prozess (die Menschheit als ihr eigenes Virus) zu erschöpfen, bis diese oder jene natürliche Grenze endgültig erreicht ist.

Die Menschheit wird ihr Wissen um die Endlichkeit der Erde, dem derzeit noch keine praktische Erfahrung entspricht, absehbar nicht zur Rückkehr in das einzig Rettung versprechende Paradigma der Begrenzung nutzen können.

Dem steht schon entgegen, dass sich jedes geistige System – also auch der Kapitalismus – nur im Rahmen seiner Prämissen bewegen kann. Außer für die persönlich mit ihrem Leben Betroffenen sind im Kapitalismus selbst Katastrophen kein grundsätzliches Problem, das dazu führen müsste, den Ursachen auf den Grund zu gehen und sie zu beseitigen – im Gegenteil.

Solange jemand an der Abarbeitung der Symptome einen privaten Schnitt machen kann und genügend Schutz und Ressourcen vorhanden sind, den finanziellen Erfolg unter Ausschluss aller anderen zu genießen, läuft einfach alles weiter wie bisher. Es braucht nur jemanden, der die Rechnung zahlt – Geld als kulturelles Artefakt ist aber unbegrenzt vorhanden.

Der Titel eines in den 1970ern in Westdeutschland kursierenden Papiers lautete mit Blick auf die DDR: Der Sozialismus besiegt nur sich selbst. Wen oder was besiegt der Kapitalismus?

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