Eckhard Plinke ist Wirtschaftsingenieur und arbeitet seit 1999 in der nachhaltigen Vermögensverwaltung verschiedener Banken. Davor leitete er bei der Prognos AG Beratungsprojekte zu Umweltschutzthemen (u.a. Chemiepolitik, Abfallwirtschaft, Luftreinhaltung, Klimaschutz, erneuerbare Energien). Sein Interesse gilt der Nachhaltigen Entwicklung, der Entwicklung der Finanzmärkte und der Wachstumstheorie. Die staatlichen Interventionen zur Bekämpfung der Corona-Krise drohen das Ungleichgewicht zwischen einem aufgeblähten Finanzsystem und einer Realwirtschaft mit andauernder Investitions- und Wachstumsschwäche zu vergrößern. Aus dieser Sackgasse führt nur eine aktivere Rolle der staatlichen Wirtschaftspolitik. Die massiven staatlichen Hilfsmaßnahmen zur Abfederung der
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Eckhard Plinke considers the following as important: Corona: Die Wirtschaft der Zukunft
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Eckhard Plinke ist Wirtschaftsingenieur und arbeitet seit 1999 in der nachhaltigen Vermögensverwaltung verschiedener Banken. Davor leitete er bei der Prognos AG Beratungsprojekte zu Umweltschutzthemen (u.a. Chemiepolitik, Abfallwirtschaft, Luftreinhaltung, Klimaschutz, erneuerbare Energien). Sein Interesse gilt der Nachhaltigen Entwicklung, der Entwicklung der Finanzmärkte und der Wachstumstheorie.
Die staatlichen Interventionen zur Bekämpfung der Corona-Krise drohen das Ungleichgewicht zwischen einem aufgeblähten Finanzsystem und einer Realwirtschaft mit andauernder Investitions- und Wachstumsschwäche zu vergrößern. Aus dieser Sackgasse führt nur eine aktivere Rolle der staatlichen Wirtschaftspolitik.
Die massiven staatlichen Hilfsmaßnahmen zur Abfederung der Corona-Krise sind notwendig, darüber besteht weitgehender Konsens. Sie kosten aber viel Geld – der Internationale Währungsfonds summiert die bisher geplanten zusätzlichen Ausgaben der G20 Länder auf ca. 7 Billionen US-Dollar. Zusätzlich öffnen die Zentralbanken die Geldschleusen und senken die Zinsen.
Dies schürt Ängste vor den Nebenwirkungen der Corona-Kur: Sind die stark steigenden Staatsschulden noch bezahlbar? Müssen wir mit steigender Inflation rechnen?
Dass diese Ängste aktuell unbegründet sind, wurde in MAKROSKOP schon eingehend diskutiert[i] – Staaten können sich im Prinzip unbegrenzt bei der eigenen Zentralbank verschulden und Inflation entsteht nur, wenn die Ausgaben die Produktionskapazitäten übersteigen.
Was aber bisher weniger thematisiert wurde, sind die Mittel der Corona-Kur und deren längerfristige Nebenwirkungen. Wenn jetzt versucht wird, die Wirtschaft einfach mit dem gesteigerten Einsatz der gleichen Mittel zu stabilisieren, also prioritär geldpolitischen Maßnahmen, dann wird sich der Trend in die wirtschaftliche Sackgasse beschleunigen. Ein Umsteuern ist daher erforderlich und birgt große Chancen, den Weg in eine wirtschaftlich nachhaltigere Richtung zu lenken.
Was ist gemeint mit wirtschaftlicher Sackgasse?
Seit den 1980er Jahren wird unsere wirtschaftliche Entwicklung durch die neoliberale Wirtschaftsdoktrin beeinflusst. Danach soll sich der Staat möglichst aus dem Wirtschaftsgeschehen zurückziehen und durch eine Verbesserung der Gewinnaussichten sollen mehr Investitionen und Wachstum erzeugt werden. Von den dadurch entstehenden neuen Arbeitsplätzen und steigenden Einkommen würden dann letztlich Alle profitieren.
Die tatsächliche Wirtschaftsentwicklung seit den 1980er Jahren hat allerdings nur zur Sicherung hoher Gewinne geführt, während die Lohnentwicklung stagniert hat. Und spätestens seit der Finanzkrise ist es offensichtlich, dass die Wirtschaft abhängig von der Staatsstütze geworden ist – vor allem von der Nullzinspolitik der Zentralbanken.
Wie in einem anderen Beitrag gezeigt, ist der Motor der wirtschaftlichen Entwicklung schon seit den 1970er Jahre am Stottern: Die Investitionstätigkeit ist – gemessen am Wachstum des volkswirtschaftlichen Kapitalstocks – rückläufig. Es scheint, dass es zu den Ursachen dieser Entwicklung aktuell mehr Fragen als Antworten gibt. Möglicherweise ist die Schwäche von Investitionen und Wachstum ein «natürliches» Kennzeichen des Spätkapitalismus – wobei diverse Faktoren wie Bevölkerungsrückgang, Monopolisierungstendenzen, Sättigungstendenzen beim Konsum oder Globalisierung eine Rolle spielen könnten. Die in den letzten Jahrzehnten zu beobachtende stagnierende Lohnentwicklung hat dabei sicherlich nicht unterstützend gewirkt, sondern das Wachstum von der Nachfrageseite her belastet.
Was aber auch immer die Ursachen dieser Entwicklung sind, Tatsache ist, dass die wirtschaftspolitische Kur, über eine Stärkung der Gewinne eine Beschleunigung der Investitionstätigkeit zu erreichen, nicht funktioniert hat: Die Gewinne (gemessen an Rentabilitätskennzahlen) sind seit den 1980er Jahren gestiegen, wurden aber nicht in höhere Investitionen umgesetzt. Die Investitionen sind (in Relation zum Kapitalstock oder zur Wertschöpfung) im Gegenteil weiter abgesunken. Das klassische Bild des Unternehmers, dessen Gewinne sich dadurch rechtfertigten, dass er auf Konsum verzichtet und stattdessen investiert, so dass am Ende ein größerer Kuchen für alle herauskommt, stimmt damit heute nicht mehr.
Der Überhang der Gewinne über die Investitionen stellt außerdem ein Stabilitätsrisiko dar, denn er entspricht gesamtwirtschaftlich einer Nachfragelücke. Wenn die Gewinne nicht in andere Kanäle fließen können, ist ein Wirtschaftsabschwung unausweichlich. In dessen Folge kommt es zu einer Gewinnerosion, so dass das Niveau der Gewinne in Richtung des niedrigeren Niveaus der Investitionen absinkt. Tatsächlich haben sich aber andere Kanäle für die nicht investierten Gewinne aufgetan, so dass sich der Gewinnüberhang über die letzten Jahrzehnte halten konnte. Hierbei haben der Staat bzw. die Zentralbanken eine wichtige Rolle gespielt.
Wohin fließen die ganzen Gewinne?
Zunächst einmal sind die Gewinnausschüttungen der Unternehmen an den Haushaltssektor in Form von Dividendenzahlungen und Aktienrückkäufe angestiegen. In einigen (wenigen) Ländern mit chronischem Leistungsbilanzüberschuss flossen Gewinne auch als Kapitalexport ins Ausland. Hierzu gehört Deutschland. Ein Teil der an die Haushalte ausgeschütteten Gewinne dürfte dann in den Konsum geflossen sein, ein großer Teil wurde aber in Finanzanlagen «geparkt». Das Finanzvermögen ist zusätzlich durch direkte Finanzanlagen der Unternehmen angestiegen.
Dieses Wachstum der Finanzmärkte wurde von staatlicher Seite neben den Deregulierungsmaßnahmen in den 1980er Jahren vor allem durch die lockere Geldpolitik der Zentralbanken angetrieben. Die Politik niedriger Zinsen, die eigentlich dazu dienen sollte, Investitionen anzuregen, hat stattdessen sowohl die Anreize zur Verschuldung, als auch den Anstieg des Wertes aller Kapitalanlagen angetrieben. Letzteres ergibt sich schon rein rechnerisch: Der Wert einer Kapitalanlage wird aus seinen abdiskontierten zukünftigen Erträgen ermittelt. Sinkende Zinsen führen zu einer Reduktion des Diskontsatzes und damit zu einer Wertsteigerung.
Zu den Finanzanlagen gehören auch Staatsanleihen, das heißt Staatsschulden. Insbesondere nach der Finanzkrise wurde der Unternehmenssektor neben dem Haushaltssektor zu einem Netto-Sparer, was dort zu sinkender Verschuldung führte (siehe Abbildung). Die steigende Verschuldung des Staates hat dafür gesorgt, dass diese Rechnung aufging, d.h. der Nachfrage der Unternehmen und Haushalte nach Finanzanlagen wurde ein Angebot gegenübergestellt. Entsprechend der generellen Struktur der Staatsausgaben ist ein großer Teil der in Staatsanleihen angelegten Gewinne letztlich in konsumtive Kanäle geflossen, z.B. in Form von Sozialausgaben.
Der Staat bzw. Zentralbanken haben also das Stabilitätsproblem, das sich aus dem Überhang der Gewinne über die Investitionen ergibt, primär mit geldpolitischen Maßnahmen und zunehmender Staatsverschuldung entschärft. Statt einer Anregung der Investitionstätigkeit (also einem Schließen des Gewinnüberhangs durch Anheben der Investitionen), wurden aber die tieferliegenden Stagnationstendenzen der Realwirtschaft nicht beeinflusst – die Investitions- und Wachstumsschwäche setzt sich fort.
Stattdessen laufen die «überschüssigen» Gewinne in den Finanzmarkt, der sich mehr und mehr aufgebläht hat. In den USA ist laut Bank of America und Merrill Lynch der Wert des Finanzvermögens («Wall Street») seit den 1980er Jahren vom dreifachen auf das fast sechsfache des Bruttoinlandprodukts (»Main Street») angestiegen. Dies hat zwar ermöglicht, den Gewinnüberhang aufrechtzuhalten, hat aber bei stagnierender Lohnentwicklung gleichzeitig zu wachsender Ungleichheit der Einkommens- und Vermögensverteilung geführt. Auf der positiven Seite dieser Entwicklung ist immerhin noch die sinkende Arbeitslosigkeit zu nennen, die allerdings teilweise mit niedrigen Löhnen erkauft wurde und teilweise auf den rückläufigen Anstieg der Arbeitsproduktivität im Zuge der nachlassenden Investitionstätigkeit zurückgeführt werden kann.
Neue Stabilitätsrisiken und eine einmalige Chance
Was ist das Ergebnis aus alldem? Die Staatsintervention hat primär die Realisierung hoher Gewinneinkommen im Finanzsektor ermöglicht. Dadurch steht eine langsam wachsende Realwirtschaft einem zunehmend aufgeblähten Finanzsektor gegenüber. Der Finanzsektor ist aber anfällig für Schwankungen und verursacht neue Stabilitätsrisiken, die auch die Realwirtschaft in Mitleidenschaft ziehen. Dies hat die Finanzkrise von 2008 deutlich gemacht. Die vorherrschende Strategie, eine Stabilisierung mit geldpolitischen Mitteln zu erreichen, gerät zunehmend in eine Sackgasse: Eine Erhöhung des niedrigen Zinsniveaus ist wegen des bereits erreichten hohen Verschuldungsniveaus von Privatwirtschaft und Staaten kaum möglich, will man nicht Kreditausfälle, Einbrüche der Finanzmärkte und eine neue Finanzkrise auslösen. Andererseits fördern niedrige Zinsen den weiteren Anstieg der Verschuldung, blähen die Finanzmärkte weiter auf und erhöhen damit die Stabilitätsrisiken.
Durch ein Festhalten an den gleichen Strategien besteht in der aktuellen Situation die Gefahr, dass die massiven Finanzströme, die mit der Corona-Kur verbunden sind, diese Mechanismen verstärken und damit den Weg in die Sackgasse beschleunigen.
Auf der anderen Seite eröffnet sich jetzt die einmalige Chance, die Wirtschaft einen großen Schritt in eine längerfristig nachhaltigere Richtung zu steuern, über die kurzfristige Stabilisierung hinaus. Dies sind die beiden Angelpunkte einer solchen Umorientierung:
- Umverteilung: Wie aufgezeigt wurde, ist der Versuch, die Realwirtschaft über eine Steigerung der Gewinne anzukurbeln, gescheitert. Im Umkehrschluss kann man daraus auch ableiten, dass eine Verringerung des Überschusses der Gewinne über die Investitionen keine wesentlichen Einbußen bei der Investitions- und Wachstumsdynamik verursacht. Durch Umverteilungsmaßnahmen, wie eine höhere Besteuerung von hohen Einkommen, Vermögen und Luxuskonsum könnte demnach eine gleichmäßigere Einkommens- und Vermögensverteilung erreicht werden, ohne das Wachstum zu beeinträchtigen.
- Investitionsprogramm: Aktuell ist zwar die Geldpolitik zur Stabilisierung der Wirtschaft notwendig, das Hauptaugenmerk sollte aber auf der Fiskalpolitik liegen. Wichtig wäre dabei vor allem, Investitionen zu steigern, sei es in Form direkter Investitionen des Staates oder Investitionsanreizen. Durch ein Investitionsprogramm würde einerseits die langfristige Investitionsschwäche direkt angegangen und dadurch das Wachstum der Realwirtschaft angekurbelt. Andererseits ergibt sich hier die große Chance, den Ausbau zukunftsträchtiger Technologien, Unternehmen und Infrastruktur zu beschleunigen, vor allem in Richtung einer umwelt- und ressourcenschonenden Produktion.
In der aktuellen Diskussion um Konjunkturprogramme sind Entscheidungen über Umfang und Inhalt eines Investitionsprogramms besonders dringlich. Nach Schätzungen der EU-Kommission sind in den nächsten Jahren in Europa jährlich deutlich über 200 Milliarden Euro pro Jahr an Investitionen erforderlich, um die offiziellen Zielvorgaben für den Klimaschutz zu erreichen. Dieser Umbau in Richtung einer CO2-armen Wirtschaft erfordert eine Kombination von Maßnahmen, die fast alle Wirtschaftsbereiche betreffen:
- Fortsetzung bzw. Beschleunigung des Umbaus der Stromversorgung Richtung erneuerbare Energien. In diesem Zusammenhang ist auch die Weiterentwicklung von Technologien und der Bau von Anlagen für die Energiespeicherung und die Steuerung der Stromnetze erforderlich.
- Elektrifizierung des Verkehrs, d.h. Weiterentwicklung elektrischer Antriebstechnologien, Aufbau von Ladeinfrastrukturen, Steigerung des Verkaufs von Elektrofahrzeugen – dies allerdings unter der Voraussetzung, dass dafür ausreichend erneuerbarer Strom zur Verfügung steht.
- Im Zusammenhang mit der Energiespeicherung und Elektrifizierung des Verkehrs sollte auch weiter in die Option «Wasserstoffwirtschaft», d.h. Nutzung von Wasserstoff als Speicher für erneuerbaren Strom und als Treibstoff für mit Brennstoffzellen angetriebene Elektrofahrzeuge, investiert werden. Speziell im Straßengüterverkehr dürfte die Brennstoffzelle aus Gewichtsgründen gegenüber Batterien im Vorteil sein.
- Entwicklung und Einsatz von neuen Technologien zur Steigerung der Energieeffizienz und Nutzung erneuerbarer Energien und Rohstoffe für die energie- und CO2-intensiven Industrien, namentlich die Grundstoffindustrien (Metalle, Zement, Chemie, usw.).
- Einsparung von Rohstoffen und der mit deren Herstellung verbundenen CO2-Emissionen durch Ausbau der Abfallrecycling-Infrastruktur.
- Gebäudesanierungen, d.h. Umrüstung von Heizungsanlagen, Installation von Solaranlagen und Wärmeisolierungen, sowie Einsatz energieeffizienter Elektrogeräte und Beleuchtungssysteme.
- Schließlich dürfen auch Maßnahmen zur CO2-Abscheidung (z.B. aus Abgasen bei der Verbrennung fossiler und erneuerbarer Brennstoffe oder aus der Luft durch Aufforstungsprogramme) und Investitionen in Anpassungsmaßnahmen an die Folgen des Klimawandels (z.B. Hochwasserschutz) nicht außer Acht gelassen werden.
Der von der EU Ende 2019 angekündigte «Green Deal» zielt genau auf die Mobilisierung solcher Investitionen ab. In Verbindung mit dem Ende Mai 2020 angekündigten EU-Wiederaufbauprogramm und ergänzt durch nationale Programme, könnte der «Green Deal» daher den Kern eines «Post-Corona» Investitionsprogramms bilden.