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Megakonzerne unter politischem Druck

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Dirk Bezemer ist Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Groningen im Fachbereich Internationale Finanzentwicklung. Er war Forscher am Imperial College London und arbeitete unter anderem als Politikberater für die britische Regierung. Er informiert regelmäßig das Repräsentantenhaus und verfasst politische Berichte für die OECD, die Weltbank, die UNCTAD und das UNDP. Die Corona-Wirtschaftshilfen werden den Staat im nächsten Jahrzehnt viel kosten. Doch auch für Konzerne hat das einen Preis: es wird viel über Steuerumgehung, Unterbezahlung in Betrieben und Selbstbereicherung an der Spitze diskutiert werden. Das Virus als sozioökonomischer Katalysator: Je mehr man ihm Beachtung schenkt, desto sichtbarer wird er. Eine Konkurswelle in der Ölindustrie:

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Dirk Bezemer ist Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Groningen im Fachbereich Internationale Finanzentwicklung. Er war Forscher am Imperial College London und arbeitete unter anderem als Politikberater für die britische Regierung. Er informiert regelmäßig das Repräsentantenhaus und verfasst politische Berichte für die OECD, die Weltbank, die UNCTAD und das UNDP.

Die Corona-Wirtschaftshilfen werden den Staat im nächsten Jahrzehnt viel kosten. Doch auch für Konzerne hat das einen Preis: es wird viel über Steuerumgehung, Unterbezahlung in Betrieben und Selbstbereicherung an der Spitze diskutiert werden.

Das Virus als sozioökonomischer Katalysator: Je mehr man ihm Beachtung schenkt, desto sichtbarer wird er. Eine Konkurswelle in der Ölindustrie: bereits zuvor erwartet, wird dramatisch. Der Druck, ein gesünderes Leben zu führen: bereits vorhanden, aber er wird noch größer, weil man damit das Klima schützen kann. Fahrradfreundliche Befreiung der Innenstädte: immer eine sympathische Idee, jetzt eine bittere Notwendigkeit, um sich überhaupt bewegen zu können. Und nun auch die rapide schwindende gesellschaftliche Toleranz gegenüber Fehlverhalten von Großunternehmen. Ein Wendepunkt scheint erreicht zu sein.

Vom Ende des „Gier-ist-gut“ Narrativs

Es gab wenig gesellschaftlichen Widerstand gegen die „Gier ist gut“-Mentalität der multinationalen Unternehmen und des Finanzsektors, solange alle zu gewinnen schienen. In den 1990er und 2000er Jahren beschränkte sich der aktive Widerstand auf Demonstrationen bei G8-Treffen. Der Begriff neoliberal und selbst das Wort Kapitalismus wurden außerhalb linksradikaler Kreise kaum verwendet. Es ging immer um Reformen für die Marktwirtschaft. Der gesellschaftliche Diskurs verfügte also nicht einmal über ein Vokabular, um unsere Wirtschaftsordnung zu problematisieren.

Das hat sich in den letzten fünfzehn Jahren geändert. Nach der Finanzkrise von 2007 wurden Bewegungen wie Occupy Wall Street hip. In Universitäten, sogar in MBA-Studiengängen, wurde begonnen, die Schattenseiten der Marktwirtschaft zu studieren. Die Kritik konzentrierte sich auf die Banken und den Finanzsektor – doch das Bewusstsein, dass diese Phänomene  mit der globalisierten Wirtschaft verbunden sind, nahm zu.

Eine wichtige Rolle dabei spielte auch, dass Amerika zusehends zu verfallen begann, während China mehr als nur eine Fabrik des Westens wurde. Die Machtverhältnisse verschoben sich. Die Globalisierung war für den Westen nicht mehr uneingeschränkt gut. Es war also durchaus einem gewissen Opportunismus geschuldet, dass im Westen der Globalisierungskritik ein größerer Raum eingeräumt wurde. Alternativen zum  Globalismus wurden zum Mainstream.

Die Rettung der Banken nach 2007 und die damit verbundenen Sparmaßnahmen setzten auch dem orangefarbenen Stolz auf die Megabank ING ein Ende. Nach der staatlichen Unterstützung waren die Geldwäscheskandale und dann die Boni für den Spitzenmann Hamers zu viel des Guten. Auch die anderen Großbanken standen im Rampenlicht des investigativen Journalismus und der öffentlichen Entrüstung: Zinsmanipulation, Selbstbereicherung, Täuschung der Kunden mit unnötig komplizierten Produkten und das Mitschreiben an Gesetzesvorlagen – der Finanzsektor wurde dafür auf die Strafbank gesetzt.

Ähnlich wie vor gut 10 Jahren die Bankenrettungen, wird uns die Unterstützung für die Wirtschaft, mit Priorität für multinationale Unternehmen, im nächsten Jahrzehnt viel Geld kosten. Sie können also sicher sein, dass viel über Steuerumgehung, Unterbezahlung in den Betrieben und Selbstbereicherung an ihrer hierarchischen Spitze geredet werden wird.

Megakonzerne unter Druck

Schon jetzt kippt die Erzählung um niederländischen Megakonzerne um. Auch der blau gefärbte Stolz auf die Fluggesellschaft KLM schwindet, jetzt, da sich abzeichnet, dass das Unternehmen in Irland Steuern vermeidet und sogar während der akuten Krise Air France-KLM seinem Topmanager eine großzüge Abfindung auszahlen wollte. Neben dem Verhalten der KLM werden auch Philips und andere niederländische Unternehmen, die mit Milliarden staatlicher Unterstützung am Leben gehalten werden, kritisch unter die Lupe genommen. Gleichzeitig lässt man aber zahllose kleinere Unternehmen über die Klinge springen. Das ist es, was die öffentliche Meinung empört.

Es wird großen Unmut geben, wenn die Regierungen dann Haushaltskürzungen vornehmen, um ihre öffentlichen Finanzen wieder in Ordnung zu bringen – etwas, das ohne drastische Maßnahmen wie einen Schuldenerlass und eine echte Steuerreform fast unvermeidlich ist. Wir werden die Konflikte um die Banken erneut erleben, aber diesmal in einem viel größeren Maßstab, denn es geht um alle großen Unternehmen.

Wir werden also noch einen weiteren Trend sehen, der bereits in Bewegung gekommen ist: “ Wertorientierung“ und „soziale Verantwortung der Unternehmen“. Die Unternehmen werden große Anstrengungen unternehmen, um den Rest der Welt von ihrem sozialen Nutzen und ihrem sozialen Engagement zu überzeugen; schließlich sind sie für ihr Überleben teuer von der Gemeinschaft bezahlt worden.

Wieviel Wandel damit tatsächlich  einhergeht, bleibt freilich eine offene Frage. Die Banken versprachen 2007 ebenfalls, es von nun an besser zu machen. Gleichzeitig gingen die Zinsmanipulationen und die exorbitante Vergütungspolitik weiter, und sie lehnten die Erhöhung der Pflichtpuffer – ja der Kapitalpolster, auf die sie jetzt so stolz sind – vehement ab.

Die Frage ist, wie sich die anderen multinationalen Unternehmen vor und hinter den Kulissen verändern werden. Das Virus gibt zwar einen Impuls, aber eine kritische Überwachung und öffentlicher Druck bleiben notwendig, um Veränderungen herbeizuführen.

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