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Wie Jeroen Dijsselbloem seine Arbeit als Präsident der Eurogruppe reflektiert

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Dr. Werner Polster ist Politikwissenschaftler und Publizist. Vormals war er als Studiendirektor beim Berliner Bildungssenat tätig. Er betreibt zudem den Blog www.euroordo.eu. Der niederländische Sozialdemokrat Jeroen Dijsselbloem saß der Eurogruppe zwischen 2013 und 2018 als Präsident vor. Danach verfasste er einen Erfahrungsbericht über seine Amtszeit. Die Lektüre des Buches gibt Aufschluss über die Denkweise der ››Insider‹‹ der Wirtschafts- und Währungsunion. Am 9. Juli 2020 hat sich die Eurogruppe einen neuen Präsidenten gegeben, den irischen Finanzminister Paschal Donohoe von der liberal-konservativen Fine Gael, obwohl die spanische Finanzministerin Nadia Calviño eigentlich favorisiert war. Politisch war das die erste Rache der Sparsamen Vier (Niederlande,

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Dr. Werner Polster ist Politikwissenschaftler und Publizist. Vormals war er als Studiendirektor beim Berliner Bildungssenat tätig. Er betreibt zudem den Blog www.euroordo.eu.

Der niederländische Sozialdemokrat Jeroen Dijsselbloem saß der Eurogruppe zwischen 2013 und 2018 als Präsident vor. Danach verfasste er einen Erfahrungsbericht über seine Amtszeit. Die Lektüre des Buches gibt Aufschluss über die Denkweise der ››Insider‹‹ der Wirtschafts- und Währungsunion.

Am 9. Juli 2020 hat sich die Eurogruppe einen neuen Präsidenten gegeben, den irischen Finanzminister Paschal Donohoe von der liberal-konservativen Fine Gael, obwohl die spanische Finanzministerin Nadia Calviño eigentlich favorisiert war. Politisch war das die erste Rache der Sparsamen Vier (Niederlande, Österreich, Schweden, Dänemark) bzw. deren Anführer in der Eurozone auf den deutsch-französischen Wiederaufbauplan.

Wirtschaftspolitisch setzt die Wahl des Iren ein fatales Zeichen. Donohoe ist ein glühender Verfechter des irischen ››Steuersparmodells‹‹, vulgo Unternehmensansiedlungspolitik via absurd niedriger Steuern oder – noch besser – einer Null-Steuer (Apple usw.). Während den Griechen im Rahmen der Auflagenpolitik ein ums andere Mal die Renten gekürzt wurden, hat man es bei der Auflagenpolitik gegenüber Irland schlicht ››versäumt‹‹, ein für alle Mal das Steuerdumping der grünen Insel zu beenden. Mit Donohoe holte man sich den Bock in die eigene Gärtnerei – was in der EU-Geschichte schon des Öfteren vorgekommen sein soll.

Einen anderen Bock in die Gärtnerei hatte sich die Eurogruppe 2012 mit Jeroen Dijsselbloem geholt. Der niederländische Sozialdemokrat (PvdA) saß der Eurogruppe zwischen 2013 und 2018 als Präsident vor. Das Amt ist zwar nicht von großer Bedeutung, da die zentralen Entscheidungen anderen Orts getroffen werden, die Besetzung hat aber doch Signalwirkung. Nach seiner Amtszeit verfasste Dijsselbloem einen Erfahrungsbericht über seine Amtszeit (Jeroen Dijsselbloem, Die Eurokrise. Erfahrungsbericht eines Insiders, Wiesbaden 2019). Das Buch (305 Seiten, zehn Kapitel) beschäftigt sich in den ersten drei Kapiteln mit der so genannten Eurokrise, in den darauffolgenden fünf mit den Geschehnissen seiner Amtszeit (2013-2018) und in den beiden Schlusskapiteln mit einem ››Rückblick‹‹ und der ››Zukunft der Währungsunion‹‹.

Stein auf Stein

Macht man sich die Sache einfach, kann man in die Mitte des Buches springen und erhält dort einen Hinweis darauf, wie Dijsselbloem seine Arbeit reflektiert. In einem Interview mit der FAZ (4. April 2017) brachte der Niederländer seine Wahrnehmung der Probleme der Europäer mit der Währungsunion auf den Punkt. An den europäischen Süden gerichtet formulierte er: ››Wenn ich mein ganzes Geld für Schnaps und Frauen ausgebe, kann ich danach nicht um Unterstützung bitten.‹‹

So denken Europäer über Europäer. Und so denken Sozialdemokraten über Europa. Der schier unfassbare Rassismus, Sexismus und ökonomische Infantilismus, der in einer solchen Aussage steckt, ist eine Sache. Eine andere Sache ist, dass ihr Urheber auch mit einigem zeitlichen Abstand nicht verstanden hat, was ihm da ››herausgerutscht‹‹ ist. In einem eigenen Kapitel des Buches (Kapitel 8: ››Schnaps und Frauen‹‹), achtzehn Seiten umfassend, ergeht er sich in Tiraden von Rechtfertigungen, ohne auch nur im Ansatz die ganze Peinlichkeit dieser Aussage zu begreifen. So bitter es auch sein mag: Die Interviewformulierung bringt Dijsselbloems Verständnis über die Funktionsweise der Währungsunion auf den Punkt.

Dijsselbloems Methode der Wahl für seine Arbeit als Eurogruppenpräsident folgte offensichtlich dem ››bottom up‹‹, der Induktion oder einer Art mikroökonomischer Ordnungspolitik. Für den Maurer ist das eine sinnvolle Herangehensweise, ein Gebäude entsteht in der Praxis durch die Methode ››Stein auf Stein‹‹. Der Architekt hingegen muss sich zunächst Gedanken über die Gesamtkonstruktion und die Funktion des Gebäudes samt seiner Einzelteile machen. Dijsselbloem allerdings verstand sich als Maurermeister.

Als solcher machte er sich auch gleich in der Zypern-Krise (2013) an die Arbeit (Kapitel 5: ››Krise in Zypern: die Blaupause‹‹). Kaum im Amt vermeldete er der europäischen Öffentlichkeit, dass bei der Sanierung der Bankenkrise in Nikosia zuallererst die Anteilseigner der zypriotischen Banken, die Eigentümer, die Aktionäre und die Einleger, einschließlich der Kleinsparer, herangezogen werden müssen. Mächtig Wind machte er, als er hinausposaunte, dass hiermit eine ››Blaupause‹‹ für die Zukunft hergestellt sei.

Dass er damit die Rehe auf den Kapitalmärkten scheu machte und die Kleinsparer auf der Insel mächtig in Unruhe versetzte, war ihm entgangen. In ihrer ursprünglichen Form musste die ››Blaupause‹‹ denn auch zurückgezogen werden, die Kleinsparer wurden von der Sanierung ausgenommen. Ob seiner handgreiflichen Art war man rundherum in Europa peinlich berührt, auch die neoliberalen Kollegen distanzierten sich von dem forsch-naiven Niederländer mit seiner Gratwanderung auf den Kapitalmärkten.

In Kapitel 6 (››Die Bankenunion: vom Bail-out zum Bail-in‹‹) berichtet Maurermeister Dijsselbloem von seinem Mitwirken bei der Realisierung der Bankenunion, von den drei Säulen, der Bankenaufsicht, dem Abwicklungsfonds und der Einlagensicherung. Nur sehr am Rande erwähnt er, dass die Verabredungen zur Bankenunion den Deutschen 2012 auf der Gipfeltagung abgerungen werden mussten und dass die dritte – nicht ganz unwichtige – Säule, die Einlagensicherung, von den Deutschen bis heute hartnäckig blockiert wird. Als Sozialdemokrat ganz auf der Seite der Steuerzahler lobt er die Bankenunion als einen ››Paradigmenwechsel‹‹ über die Maßen: ››Die Bankenunion ist die bedeutendste Veränderung, die sich aus der Finanzkrise entwickelt hat‹‹ (S. 169).

Einem realen Maurermeister wird man nachsehen, wenn der Überblick über Proportionen und Dimensionen des Gebäudes fehlt. Dass aber der Eurogruppenpräsident die 55 Milliarden Euro des Abwicklungsfonds für ein wirkliches Krisenbekämpfungsmittel gegen eine heftige Finanzmarktkrise hält, kann man nicht nachsehen. Allein Deutschland hat für die Bewältigung ››seiner‹‹ Bankenkrise 2008 eine halbe Billion Euro vorgehalten. Dijsselbloems Sache ist das ››Stein auf Stein‹‹, nicht das gesamte Gebäude. Der Bankenabwicklungsfonds ist nicht mehr als Weiße Salbe, wenn ein Finanzkollaps mit Bankenkrisen eintritt.

Aufschluss über die Denkweise der Praktiker

In Kapitel 7 erfolgt eine ausführliche Abrechnung mit Yanis Varoufakis, dessen Agieren in der Griechenland-Krise von 2015 und seiner Aufarbeitung in dem Buch ››Adults in the room‹‹ (2017). Varoufakis, für fünf Monate griechischer Finanzminister, qualifiziert er als ››arrogant‹‹, ››eitel‹‹ und ››pedantisch‹‹. Ansonsten: Kein kritisches Wort zu den mehr als zweifelhaften Resultaten der Sanierungspolitik in Griechenland, kein distanzierendes Wort zu den Demütigungen seines deutschen Freundes (››Wolfgang‹‹) – Schäuble wollte griechische Immobilien in einen exterritorial verwalteten Fonds überführen –, keine Erwähnung der Spaltungen in der Eurogruppe – Schäuble fand für seinen Grexit-Vorschlag keine Mehrheit im Rat –, kein Eingehen auf die abweichenden Versuche der Kommission, in der Griechenland-Krise zu vermitteln, um die größten Erniedrigungen zu verhindern. Juncker will ein Buch darüber schreiben, es dürfte realistischer sein als Dijsselbloems Schönfärbereien.

Warum lohnt die Lektüre des Buches dann doch? Sie lohnt, weil sie Aufschluss gibt über die Denkweise der Praktiker, der ››Insider‹‹ der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU), die tatsächlich nur eine Währungsunion ist. Nach seinem Erfahrungsbericht über die Alltagsarbeit als Eurogruppenpräsident kommt Dijsselbloem in den beiden Schlusskapiteln über Rückblick und Zukunft der WWU zum Kern seiner Vorstellungen über deren Funktionsweise.

Schon mit der Wahl seines theoretischen Ausgangspunkts liegt der ehemalige niederländische Finanzminister falsch. Robert Mundells ››Theorie des optimalen Währungsraums‹‹ (Theory of Optimum Currency Areas, OCA) lieferte ihm offensichtlich den Hintergrund für sein politisches Handeln. Was bei Mundell nicht mehr ist als ein ökonomisches Gedankenexperiment, ein Glasperlenspiel, das mit der Frage der Einführung einer Währungsunion und deren Funktionsweise nichts zu tun hat, bei Ökonomen aber immer wieder als Referenz herangezogen wird, gibt Dijsselbloem die Anleitung für die politische Reform der Währungsunion. Eine Währungsunion entsteht in einem konkreten historischen Kontext und wird mit konkreten politischen Vorgaben versehen, die ihre Funktionsweise bestimmen. Weder bei dem einen noch bei dem anderen spielen Faktormobilitäten, das zentrale Argumentationsgerüst der OCA, eine Rolle. Der Markt generiert aus sich heraus keinen optimalen Währungsraum.

Das schert Dijsselbloem aber nicht, er hantiert mit drei Faktoren aus der OCA, welche in Zukunft die WWU beschäftigen würden: Korrekturen in der Lohnbildung, Verlagerung von Arbeit und Kapital, Finanztransfers bei exogenen Schocks. Was macht er daraus? Was er in Hinblick auf die Lohnbildung darunter versteht, macht er in einer frappierenden Gegenüberstellung deutlich. Für Deutschland hält er fest, dass mit den ››Hartz-Arbeitsmarktreformen‹‹ ab 2002 Reformen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit durchgeführt wurden, während im übrigen Europa die Lohnstückkosten ››in die Höhe schnellten‹‹. Sein innerer Sozialdemokrat flüstert ihm nun keineswegs ins Ohr, dass die deutsche Politik eine höchst kontraproduktive Politik in der Währungsunion war, sondern dass das ››übrige Europa‹‹ einen Fehler begangen hat. Die Löhne waren zu hoch und mussten dann runter (››innere Abwertung‹‹).

Das kann man so sehen. Aber als Sozialdemokrat? Auf den Gedanken, dass die europäische Führungsökonomie in der Verantwortung steht, einen europäischen Konvergenzprozess von und nach oben einzuleiten, kommt Dijsselbloem erst gar nicht. Diesen Gedanken zu entwickeln, erfordert nicht einmal Sozialdemokrat zu sein. Mit der Verlagerung von Kapital, dem anderen Kernstück der OCA, in den Süden (und Osten) ist es bekanntlich nichts geworden, die ››theoretischen‹‹ Annahmen sind an der Realität gescheitert. Finanztransfers denkt sich Dijsselbloem nicht etwa durch ein Eurozonenbudget – das hält er für ››unnötig, unerwünscht und aufgrund der allgemeinen Ablehnung auch unwahrscheinlich‹‹ (S. 295) –, sondern durch private Transfers. Das ist angesichts der Investitionslethargie des europäischen Kapitals ein Vorschlag vom Mond.

Seine Denkweise zur Währungsunion fasst der Niederländer so zusammen: ››Die Währungsunion war nicht krisenfest. In erster Linie setzte die verantwortungslose nationale Politik in den Jahren vor der Krise diese unvollkommene Union übermäßig unter Druck‹‹ (S. 257). Da wären wir also, bei dem System und seinen Einzelteilen. Nicht das System wäre zu reformieren, zum Beispiel durch eine Koordinierung der Lohnpolitiken, letztlich die Herstellung einer Wirtschaftsunion mit wirklicher makroökonomischer Koordinierung. Nein, die Einzelteile müssen sich – im Sinne sozialdemokratischer Wettbewerbspolitik – aneinander messen und dem ››race to the bottom‹‹ bei der Bezahlung der europäischen Arbeiterklasse folgen. Das System, so wie es ist, hält er schon für funktionsfähig, aber eben nur in einer bestimmten Richtung.

Die ››fünfte Gewalt‹‹ der Demokratie

Den eindeutigen Höhepunkt seiner Überlegungen zur Reform der Währungsunion erreicht der Niederländer mit der folgenden Aussage:

››Das WWU-System mit seinen Regeln und Institutionen gerät unter enormen inneren Druck, wenn von außen kein Gegendruck erfolgt. Dabei spielen auch die Marktakteure eine Rolle. Wann immer sie mit den Folgen einer fehlerhaften Politik konfrontiert werden, z.B. in Banken oder Staatshaushalten, können sie zur notwendigen Disziplin beitragen, indem sie die Risiken in ihre Preise einbeziehen. Eine Kombination aus klaren europäischen Regeln, soliden europäischen Institutionen und disziplinierenden Marktanreizen ist daher entscheidend, um die Mitgliedstaaten dazu zu bewegen, ihrer Verantwortung nachzukommen‹‹ (S. 302).

Einmal abgesehen von der eigentümlichen Physik von Innendruck und Außendruck: Dieser Satz gehört nun wirklich in das noch zu schreibende große Buch über die Europäische Währungsunion. Er stellt die tatsächliche Entwicklung auf den Kopf. Die ››Marktanreize‹‹ gibt es nämlich gar nicht, schon gar nicht als ››disziplinierende‹‹. Den Märkten musste in einem aufwendigen, teuren und mit einer künstlich herbeigeführten Krise, genannt Eurokrise, förmlich eingeprügelt werden, wie sie reagieren sollten.

Im ersten Jahrzehnt der Währungsunion bildete sich an den Märkten – wie in einer staatenbasierten Währungsunion eigentlich zu erwarten – der gleiche Zins für die Staatsanleihen der Mitglieder der Eurozone heraus. Das konnte Dijsselbloem nicht wissen, es war vor seiner Zeit. Die Erziehungsmaßnahmen, mit denen man die Märkte in der so genannten Eurokrise in den Jahren 2010-12 traktierte, bestanden – in chronologischer Reihenfolge – aus dem monatelangen Zuwarten in der Griechenlandkrise, dann der Entsolidarisierung mit Griechenland, den Verabredungen von Merkel und Sarkozy bei dem Spaziergang von Deauville über die Teilinsolvenz griechischer Anleihen – zeitlich über eineinhalb Jahre hingestreckt, damit es auch der letzte Idiot an den Kapitalmärkten versteht –, dem Überschwappenlassen der Krise auf andere Länder und den Bemühungen, die Insolvenzgefahr in die einzig sicheren Papiere, die es gibt, Staatspapiere, hineinzuschreiben. Letzteres ein Thema, das dem Niederländer ganz besonders am Herzen liegt (S. 298).

Wie gesagt, das alles konnte Dijsselbloem nicht wissen, da es vor seiner Amtszeit lag. Nach seiner Amtszeit feiert sich der Sozialdemokrat mitgeholfen zu haben, dass die Staaten der Eurozone endlich der ››fünften Gewalt‹‹ in der Demokratie, dem ››Außendruck‹‹ der Finanzmärkte, unterworfen sind. Dass die Zinsen für Staatspapiere in der Eurozone längst wieder ››ganz marktmäßig‹‹ – ohne ››Außendruck‹‹ – konvergieren, geschieht eben. Ganz abgesehen davon, dass die EZB ihren Teil dazu beiträgt. Für die Zukunft der Währungsunion hält er das Erwartbare vor: keine vollständige politische Union (S. 290 f.), kein Eurozonenbudget (S. 294 f.), Entmachtung der europäischen Kommission (S. 296 f.) und Übergabe der wirtschaftspolitischen Regierungsgewalt an den auflagenbefugten ESM, der identisch ist mit den Finanzministern der Eurogruppe.

Der Bock in der Gärtnerei?

Dijsselbloems Buch verdeutlicht dreierlei:

Erstens zeigt es, wie weit sich Nationalismus und Marktliberalismus in die europäische Sozialdemokratie hineingefressen haben. Als Mitglied der Partei der Arbeit, die eine ähnlich lange Tradition wie die deutsche Sozialdemokratie aufweist und in ihrem Emblem immer noch die geballte Arbeiterfaust zeigt, ereifert sich Dijsselbloem für die Organisation der europäischen Lohnkostenkonkurrenz, garniert mit primitivsten nationalistischen Tönen. Lange ist es her, dass der große europäische Sozialdemokrat, Gunnar Myrdal, ein Schwede, die fundamentale Maxime der ››Großzügigkeit‹‹ als unabdingbare Grundvoraussetzung von Wirtschaftsintegration formulierte.

Zweitens haben sich die Länderpräferenzen zu Europa fundamental verändert. Die Niederlande – zu Zeiten der Verhandlungen in Maastricht noch entschiedene Vertreter europäischer Supranationalisierungen – stehen heute an der Spitze der europafeindlichen Sparsamen Vier, früher Hanse genannt. In ihrem Geleit finden sich zwei sozialdemokratisch geführte Länder, Schweden und Dänemark, und – nicht zu vergessen – das grün mitregierte Österreich. Im Hintergrund aber kreuzt immer noch das deutsche Flaggschiff. Alle eint die Exportorientierung.

An Bord der großen Kogge hat man möglicherweise verstanden, dass es keine Häfen für die Koggen mehr gibt, wenn der Binnenmarkt zusammenbricht. So jedenfalls lässt sich das deutsche Eintreten für den Wiederaufbaufonds interpretieren. Von solchen gesamtwirtschaftlichen Überlegungen findet sich bei Dijsselbloem kein Wort.

Europa wird wirtschaftspolitisch von Staaten regiert. Die europäische Ordnungs- und Prozesspolitik bis zur Corona-Krise wurde in der Hauptsache durch Deutschland geprägt. Dijsselbloem war als Eurogruppenpräsident nicht mehr als das ausführende Organ von Kanzleramt und Finanzministerium, meistens unbedarft, aber dienlich. Sein Plädoyer für die Zukunft der Währungsunion läuft auf nicht mehr als das Einfrieren der bisherigen Wirtschaftspolitik hinaus, bis auf die Forcierung des intergouvernementalen Regierens durch Staaten.

Bleibt am Ende die Frage, ob Dijsselbloem der Bock in der Gärtnerei war oder ob es sich bei der Eurogruppe gar nicht um eine Gärtnerei handelt, sondern um eine Ziegenherde.

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