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Stellungnahme für die Anhörung im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestags am 29. Juni 2020

Summary:
Zum Entwurf des Zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes 2020 (Bundestagsdrucksache 19/20000) und zum Entwurf eines Gesetzes über begleitende Maßnahmen zur Umsetzung des Konjunktur- und Krisenbewältigungspakets (Bundestagsdrucksache 19/20057) Einleitung: Das Konjunkturpaket muss eine Abwärtsspirale verhindern Die Corona-Pandemie und die Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung haben eine schwere welt-weite Wirtschaftskrise ausgelöst. Um zu verhindern, dass sie sich in Deutschland kurzfristig weiter verstärkt und langfristig gravierende Schäden hinterlässt, muss der Staat gegenhalten gegen das, was für jeden von der Krise negativ betroffenen privaten Wirtschaftsakteur jetzt einzelwirtschaftlich rational ist: tendenziell die eigenen Ausgaben zu verringern, also Sparsamkeit walten zu

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Friederike Spiecker considers the following as important:

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zum Entwurf des Zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes 2020 (Bundestagsdrucksache 19/20000) und zum Entwurf eines Gesetzes über begleitende Maßnahmen zur Umsetzung des Konjunktur- und Krisenbewältigungspakets (Bundestagsdrucksache 19/20057)

Einleitung: Das Konjunkturpaket muss eine Abwärtsspirale verhindern

Die Corona-Pandemie und die Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung haben eine schwere welt-weite Wirtschaftskrise ausgelöst. Um zu verhindern, dass sie sich in Deutschland kurzfristig weiter verstärkt und langfristig gravierende Schäden hinterlässt, muss der Staat gegenhalten gegen das, was für jeden von der Krise negativ betroffenen privaten Wirtschaftsakteur jetzt einzelwirtschaftlich rational ist: tendenziell die eigenen Ausgaben zu verringern, also Sparsamkeit walten zu lassen. Denn dieses Verhalten vieler einzelner zusammengenommen ergibt eine sich selbst verstärkende Abwärtsspirale.

Der Staat ist der einzige Wirtschaftsakteur, der wirksam dagegen vorgehen kann und der es daher zum Wohle aller Bürger auch tun muss. Darauf zu setzen, dass sich die Erwartungen der Privaten von allein genügend aufhellen und sich dadurch eine erhöhte Sparneigung automatisch zurückbildet, wäre angesichts der Schärfe des wirtschaftlichen Einbruchs unverantwortlich.

Damit der Staat die richtigen Mittel in der richtigen Dimension beim Gegenhalten einsetzt, ist es von zentraler Bedeutung, zunächst das Ausmaß der Krise realistisch einzuschätzen. Wenn es deutlich unterschätzt wird, so dass jetzt nur unzureichend wirksame Maßnahmen ergriffen werden, ist absehbar, dass immer wieder neue Maßnahmenpakete geschnürt wer-den müssen – nämlich immer im Nachhinein, wenn anhand der laufenden Statistik klar ge-worden ist, dass sich die Wirtschaft doch schlechter entwickelt hat als erwartet.

Ein solches reagierendes Hinterherhinken hätte gravierende Nachteile gegenüber einer vo-rausschauend agierenden Politik: Es wäre am Ende für den Staat teurer, brächte vermeid-bare Wohlstandsverluste insbesondere in Form hoher Arbeitslosigkeit mit sich, senkte die Bereitschaft der Bürger, an jenseits der Pandemie dringend erforderlichen Strukturveränderungen mitzuarbeiten, und erschütterte das Vertrauen vieler Bürger in die Handlungsfähigkeit des Staates.

Das Ausmaß der Krise richtig einschätzen

Die aktuell zur Verfügung stehenden Konjunkturdaten ergeben ein düsteres Bild der gegenwärtigen Lage der deutschen Wirtschaft. Die Zahlen zum Außenhandel, zu Produktion und Auftragseingängen in der Industrie und im Bereich der Dienstleistungen sowie zu Kurzarbeit und Erwerbslosen, um nur die wichtigsten zu nennen, lassen einen enormen Rückgang der Wirtschaftskraft im zweiten Quartal erwarten. Verschiedene Stimmungsindikatoren (ifo Geschäftsklima, GfK-Konsumklima, IHS Markit PMI Composite Index) zeigen eine Abflachung des Einbruchs im Juni an, die Erwartungen verbessern sich von einem extrem schlechten Niveau aus. Aber eine echte Aufwärtsbewegung ist noch nicht festzustellen.

Es geht offenbar nicht mehr rasant bergab, sondern die Wirtschaft scheint sich auf einer Tal-sohle zu fangen. Ob es noch tiefer geht oder wie lang sich diese Talsohle hinzieht oder ab wann es wie steil wieder bergauf geht, ist die entscheidende Frage bei der Beurteilung des Konjunktur- und Krisenbewältigungspakets der Regierung.

Sieht man sich die Prognosen von Experten zur wirtschaftlichen Entwicklung von März bis heute an, wird das Muster des Sich-Herantastens an immer schlechtere Werte deutlich. Das ist teilweise verständlich, da ja der Umfang der Shutdown-Maßnahmen und ihre Dauer genau auch wie ihre epidemiologische Wirkung zunächst völlig unklar waren. Allerdings scheint die Berücksichtigung einiger verfügbarer Indikatoren wie die zur Kurzarbeit nicht immer rechtzeitig erfolgt zu sein.

Zudem wurde in den ersten Prognosen die außenwirtschaftliche Verwundbarkeit der deutschen Wirtschaft klar unterschätzt. Da der Außenbeitrag, also der Überschuss der Exporte über die Importe, seit Jahren einen hohen Bestandteil des deutschen Bruttoinlandsprodukts (BIP) bildet – 2019 betrug er gut 7% –, droht die schlechte wirtschaftliche Situation bei unseren Handelspartnern ein großes Loch in unsere gesamtwirtschaftliche Bilanz zu reißen.

Zwar sinken aufgrund von Vorleistungsverflechtungen mit den Exporten auch die Importe und gehen z.B. die Importe von Dienstleistungen schon allein wegen der eingebrochenen Reiseaktivitäten der Deutschen auch eigenständig zurück. Aber es kann kein Zweifel bestehen, dass die deutschen Industriezweige im Investitionsgütergewerbe und im Bereich Kraftfahrzeuge, die große Teile ihrer Produktion exportieren, sehr hart getroffen worden sind. Es spricht nichts dafür, dass es in diesen Branchen zu einer raschen Erholung kommt. Im Gegen-teil: Die Prognosen für die Länder, die unsere Hauptabnehmer sind bzw. mit denen wir den Hauptteil unserer Handelsüberschüsse erwirtschaften, sind alles andere als ermutigend.

Krisenfaktor Exportabhängigkeit

Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR) geht in seiner jüngsten Prognose vom 23. Juni 2020 von folgenden Wachstumsraten für das jeweilige preisbereinigte BIP in diesem Jahr aus: USA -6,1%, Frankreich -11,0%, Vereinigtes Königreich -8,8%, Italien -11,8%, Spanien -11,5%.

Im Jahr 2019 betrug Deutschlands Außenhandelsüberschuss mit diesen fünf Ländern 150 Milliarden Euro, also ungefähr drei Viertel des gesamten Außenbeitrags. Es muss damit ge-rechnet werden, dass es hier zu einer starken negativen Korrektur kommt, auf die deutsche Konjunkturpakete keinen direkten Einfluss haben.

Diese außenwirtschaftliche Korrektur wird aller Voraussicht nach auch im kommenden Jahr anhalten. Der SVR sagt für jedes der genannten Länder im Jahr 2021 zwar eine positive Wachstumsrate vorher, diese liegt aber betragsmäßig jeweils deutlich unter der negativen Rate für 2020. Das Vorkrisenniveau von 2019 dürfte also in keinem der Länder 2021 wieder erreicht werden. Das wird die Investitionsgüternachfrage dort insgesamt schwächen und entsprechend den deutschen Investitionsgüterexporteuren auch im kommenden Jahr zu schaffen machen.

Prognosen für die deutsche Entwicklung, die dieser Konstellation nicht hinreichend Rechnung tragen, stehen auf tönernen Füßen und sind geeignet, die verantwortlichen deutschen Wirtschaftspolitiker im Unklaren über das Ausmaß der Probleme zu lassen, denen sich die deutsche Industrie in den kommenden Monaten gegenübersieht – mit allen Folgen für den deutschen Arbeitsmarkt.

Der SVR sieht den Außenbeitrag in diesem Jahr auf 119 Milliarden Euro sinken (nach 200,6 Milliarden 2019) und im kommenden Jahr auf 159,6 Milliarden steigen. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) schätzt ihn für 2020 mit 83,2 Milliarden Euro deutlich kleiner ein und geht für 2021 von einem weiteren Absinken auf 48,6 Milliarden Euro aus (vgl. hier S. 438).

Umfang des Konjunkturpakets im Vergleich zur Krise

Der SVR hat im Juni seine Prognose vom März deutlich nach unten korrigiert und nimmt in-zwischen einen realen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts für das laufende Jahr um 6,5% an, und zwar unter Berücksichtigung der bereits eingeleiteten und der geplanten fiskalpolitischen Maßnahmen. Ohne die vorgesehenen staatlichen Maßnahmen wäre das zu erwartende Ergebnis laut SVR noch um ungefähr einen Prozentpunkt schlechter. Für das Jahr 2021 prognostiziert der SVR ein reales Wachstum von 4,9%, ebenfalls unter Einbeziehung der geplanten konjunkturellen Maßnahmen der Regierung.

Das DIW schätzt die Entwicklung pessimistischer ein (-9,4% im Jahr 2020, +3,0% im Jahr 2021 ohne das geplante Konjunkturpaket, jeweils 1,3 Prozentpunkte besser mit dem Paket; vgl. hier).

Beide Prognosen trauen also in der Zusammenfassung der negativen Entwicklung 2020 und der positiven Entwicklung 2021 den umgesetzten und geplanten staatlichen Stützungsmaßnahmen nicht zu, den Verlust an Wirtschaftskraft gegenüber dem Niveau von 2019 bis Ende 2021 auch nur annähernd auszugleichen. Aus der Prognose des SVR ergibt sich (ohne Preisänderungen, also real) ein Unterschreiten des 2019er Niveaus im Jahr 2021 um ca. 1,9 Pro-zent, aus der Vorhersage des DIW eines von ungefähr 4 Prozent.

Nimmt man die jeweils prognostizierten Verluste des Jahres 2020 gegenüber dem Niveau von 2019 (wiederum ohne Preisänderungen gerechnet) hinzu, ergibt sich ein Gesamtverlust über beide Jahre von gut 8% (SVR) bzw. ca. 12% (DIW) des BIP von 2019. Das entspricht etwa knapp 290 Milliarden Euro bzw. ungefähr 420 Milliarden Euro (wiederum ohne Berücksichtigung von Preisänderungen).

Es stellt sich die Frage, ob angesichts dessen von einer ausreichenden Wirkung der jetzt zusätzlich geplanten staatlichen Stützungsmaßnahmen die Rede sein kann und ein Abwarten, wie sich die Dinge tatsächlich entwickeln werden, nicht als von vornherein falsch oder zumindest riskant angesehen werden muss. Befände sich die deutsche Wirtschaft nämlich in einer „normalen“ (also nicht durch die Pandemie bedingten) Rezession in einem Umfang von -2% oder gar von -4%, sähe sich die Wirtschaftspolitik nämlich mit Forderungen konfrontiert, Gegenmaßnahmen zu ergreifen.

Natürlich kann man sich auf den Standpunkt stellen, der Staat könne die Krisenverluste nicht vollständig ausgleichen. Durch den ersten Nachtragshaushalt in Höhe von 150 Milliarden Euro und nun den zweiten in Höhe von geplanten 130 Milliarden Euro springe der Staat in erheblichem Maße (ca. 8% des BIP von 2019) direkt in die Bresche, von den Kreditgarantien nicht zu reden.

Aber wenn man so argumentiert, muss man sich überlegen, wie das verbleibende „Loch“ in der wirtschaftlichen Aktivität wirkt. Ist es klein genug, um der Stabilisierung der Erwartungen der Privaten nicht im Wege zu stehen? Oder ist es doch so groß, dass es dem „Angstsparen“ die Oberhand verschafft? Schließlich gilt es, wie eingangs erklärt, eine sich selbst verstärkende Abwärtsspirale zu verhindern, die die wirtschaftlichen Schäden noch vergrößern Friederike würde und die Gesellschaft am Ende teurer zu stehen käme – ganz abgesehen von der aller Voraussicht nach ungleichen und sozial ungerechten Verteilung der Schäden.

Steigende Arbeitslosigkeit nicht nur Krisen-Indikator, sondern Krisen-Verstärker

Versucht man ganz grob abzuschätzen, wie viele Arbeitsplätze im Durchschnitt durch einen zweiprozentigen bzw. vierprozentigen BIP-Ausfall gefährdet sein könnten, kommt man auf 900 000 bzw. 1,8 Millionen. (Diese Zahlen ergeben sich, wenn man den prognostizierten BIP-Ausfall 2021 gegenüber 2019 durch das Bruttoinlandsprodukt je Erwerbstätigen, wie vom Statistischen Bundesamt für 2019 ausgewiesen, teilt.) Das ist natürlich eine sehr grobe Rechnung, die die Zahl der Arbeitsstunden je Erwerbstätigen (Teilzeit, Vollzeit, Überstunden etc.), die Höhe der Bruttowertschöpfung je Erwerbstätigen in den betroffenen Branchen (unter- bzw. überdurchschnittliche Produktivität), Produktivitätsänderungen, Preiseffekte usw. nicht berücksichtigt.

Sie beleuchtet aber, was sich die für die Wirtschaftspolitik verantwortlichen Politiker unter dem Ausmaß der Krise vorzustellen haben, wenn die „Erholung“ der Wirtschaft ungefähr so abliefe, wie es die genannten Experten unter Berücksichtigung der bereits ergriffenen und der geplanten staatlichen Stützungsmaßnahmen bis 2021 skizzieren.

Die Zahl der Arbeitslosen lag im Mai bereits um mehr als eine halbe Million über Vorjahresniveau. Kommt eine weitere halbe Million oder gar eine Million in den nächsten Monaten hinzu, wird das der zentrale Punkt sein, der nicht nur die Wirksamkeit des Konjunkturpakets anzeigt und als Indikator der Erholung fungiert, sondern der selbst entscheidenden Einfluss auf die Geschwindigkeit der wirtschaftlichen Erholung nimmt.

Dabei muss man zwei Wirkungskanäle zusätzlicher Arbeitslosigkeit in den Blick nehmen. Der eine geht direkt von den Personen aus, die arbeitslos werden und entsprechend ihren Konsum einschränken dürften. Das drückt auf die Binnennachfrage. Der andere geht von den Personen aus, die ihren Arbeitsplatz zwar (noch) nicht verloren haben, aber aus Furcht davor ebenfalls ihre Sparquote erhöhen, was wiederum die Binnennachfrage schwächt.

Vor allem aber tritt hier fast immer der Wirkungsmechanismus ein, dass diese Arbeitskräfte bereit sind, Lohnverzicht zu üben, um ihren Arbeitsplatz zu erhalten oder einen neuen zu fin-den. Ein solcher Unterbietungswettbewerb ist mikroökonomisch rational. Makroökonomisch aber führt er zu einer Abwärtsspirale, so dass der Einzelne auf Dauer doch nichts für sich gewinnen kann, jedoch alle langfristig geschädigt werden.

Lohndeflation als größte Gefahr

Lohnverzicht ergibt zunächst einen realen Einkommensverlust und führt damit unmittelbar zu einem Verlust an binnenwirtschaftlicher Nachfrage. Auf lange Sicht bringt er aber zusätzlich die Gefahr einer Deflation mit sich. Das lehrt der enge empirische Zusammenhang zwischen Lohnstückkosten und Inflation. Denn wenn durch Lohnverzicht in einem ersten Schritt die Lohnstückkosten fallen, wird diese Kostensenkung irgendwann in einem zweiten Schritt in den Preisen weitergegeben. Das geschieht umso schneller, je härter die Unternehmen um Nachfrage kämpfen müssen, weil ihre Branche besonders von der Krise gebeutelt ist und das gesamtwirtschaftliche Umfeld keine ausreichend positiven Impulse liefert.

Von diesem „Race to the bottom“ werden immer mehr Branchen erfasst, je länger ein Aufschwung auf sich warten lässt. Auf diesem Weg gerät das Preisniveau insgesamt unter Druck. Und das ist für die binnenwirtschaftliche Nachfrage Gift: Verbraucher reagieren mit noch mehr Kaufzurückhaltung; Investoren warten ab, da sie zukünftige Einnahmen aus Investitionsprojekten und damit deren Risiken noch schlechter kalkulieren können. Im Ergebnis steigt die Arbeitslosigkeit weiter.

Lohnverzicht liegt vor allem in Deutschland nahe, weil gemessen an den vorhandenen Produktionsstrukturen ein spürbarer Mangel an Nachfrage aus dem Ausland herrscht. Exportorientierte Unternehmen werden von ihren Arbeitnehmern Lohnzugeständnisse verlangen, um durch Preissenkungen Nachfrage aus dem Ausland anzuregen. Solche Preissenkungen werden nämlich innerhalb einer Währungsunion nicht so rasch durch Währungsaufwertung zunichte gemacht, jedenfalls dann nicht, wenn die Währungspartner nicht gleichzeitig genauso verfahren. Zudem belastet der binnenwirtschaftlich geübte Lohnverzicht, der die Exportpreissenkung ermöglicht, nicht automatisch die Nachfrage nach den Exportgütern, sondern „nur“ die Binnennachfrage, was die Exportindustrie erfahrungsgemäß wenig kümmert. Auf diese Weise würde eine deutsche Lohnbescheidenheit die Spannungen innerhalb der EWU noch verschärfen. Reagierten die Währungspartner auf die Corona-Krise ebenfalls mit Lohn-verzicht, geriete die Eurozone insgesamt in eine Deflationsspirale.

Mit anderen Worten: Lohnverzicht ist auf der makroökonomischen Ebene keine sinnvolle Lösung zum Erhalt von Arbeitsplätzen, so sehr er einzelwirtschaftlich auch naheliegt und voll-kommen logisch erscheint. Wer in einer fragilen gesamtwirtschaftlichen Situation Lohnzugeständnisse gegen Beschäftigungserhalt einzutauschen versucht, scheitert gesamtwirtschaftlich.

Die Verhinderung einer Lohndeflation ist aus gesamtwirtschaftlicher Sicht das zentrale Element einer effektiven Bekämpfung einer Abwärtsspirale. Der Staat muss einer Lohndeflation von vornherein einen Riegel vorschieben. Er kann es auch, wenn die politisch Verantwortlichen es wollen.

Vorschlag zur Verhinderung von Lohndeflation

Aus diesen Überlegungen folgt der Vorschlag, den Schutz der Lohnhöhe durch die Stärkung der Ersatzleistungen für Arbeitseinkommen zu gewährleisten und die niedrigsten Arbeitseinkommen selbst zu erhöhen.

Konkret:

  • Verlängerung des auf 80 bzw. 87% erhöhten und vereinfacht zu beantragenden Kurzarbeitergeldes für die nächsten 2 Jahre
  • „Wiederherstellung“ der Arbeitslosenversicherung durch dauerhafte Erhöhung der altersunabhängigen Bezugszeit auf 2 Jahre bei 70 bis 80 Prozent des letzten Nettoarbeitseinkommens aus der Vor-Corona-Zeit
  • Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro pro Stunde
  • Stärkung der Tarifbindung, Verbot von Tariföffnungsklauseln
  • deutliche und unbefristete Erhöhung des Hartz IV-Regelsatzes (auf ca. 700 Euro pro Monat)
  • 2 Jahre lang Absicherung der nicht über die Arbeitslosenversicherung geschützten Er-werbstätigen („Soloselbständige“) mit 70 bis 80 Prozent ihres Vor-Corona-Nettoeinkommens; obwohl diese Gruppe zuvor nicht in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat, ist es fair, sie oberhalb des Hartz IV-Niveaus abzusichern. Denn diese Gruppe hat Arbeitsverbote und dem Gesundheitsschutz dienende Marktänderungen nicht zu verantworten und benötigt Zeit, sich daran anzupassen (ggf. einen anderen Beruf zu ergreifen).

Dieser Vorschlag hat mehrere Vorzüge. Lohnersatzleistungen erübrigen sich von selbst, wer-den also nur in dem Maße in Anspruch genommen, wie die Krise vorherrscht. Je weiter die Überwindung der Krise voranschreitet, desto weniger wird der Staat durch die entsprechen-den Maßnahmen finanziell belastet. Die Privatwirtschaft kann aus der staatlichen Unterstützung herauswachsen. Ein Anpassungszeitraum von zwei Jahren für Veränderungen in der Nachfragestruktur, die sich als nicht vorübergehend, sondern langfristig herausstellen (möglicherweise z.B. im Flugverkehr oder der Tourismusbranche), erscheint für Umschulungen und Umstrukturierungen realistisch und zumutbar.

Die Privaten können sich auf diese Unterstützung verlassen, ganz egal, ob eine zweite Pandemie-Welle kommt, wann ein Impfstoff oder wirksame Medikamente verfügbar sein werden oder wie die wirtschaftliche Erholung im Ausland vorankommt. Genau diese klare Garantie ist das beste Mittel, die Erwartungen derjenigen zu stabilisieren, für die eine Anpassung „nach unten“ einzelwirtschaftlich am naheliegendsten ist und die daher das Potenzial mit-bringen, eine Abwärtsspirale zu befeuern. Daher dürfte die Wirksamkeit dieses Vorschlags in Hinblick auf das Ziel eines Konjunkturpakets in dieser außergewöhnlichen Krise hoch sein.

Ein weiterer Vorteil der Stärkung der Ersatzleistungen für Arbeitseinkommen besteht in der Transparenz und damit Gerechtigkeit einer solchen „Generalregel“, weil sie für alle Arbeits-kräfte gleich gilt, egal ob sie z.B. in einem großen oder kleinen Unternehmen arbeiten, in einer exportorientierten Branche oder als Soloselbständige. Das dürfte zu ihrer Akzeptanz in der Bevölkerung beitragen.

Der Vorschlag ist praktikabel und schnell umsetzbar, da die Strukturen der Bundesagentur für Arbeit existieren und sie ihre Funktionstüchtigkeit bereits bei dem Ansturm auf das Kurzarbeitergeld exzellent unter Beweis gestellt hat.

Zu gering dimensionierte, zu kompliziert ausgestaltete, zu ungerecht verteilte und zu spät wirkende staatliche Einzelmaßnahmen werden laufend fiskalische Nachbesserungen der Krisenbekämpfung erforderlich machen, die das Wirrwarr an Regelungen erhöhen und das Ver-trauen großer Teile der Bevölkerung in die Fähigkeit des Staates bzw. seiner Regierung, der Krise wirksam begegnen zu können, senken.

Die im Konjunkturpaket geplanten Maßnahmen sind nicht generell falsch, aber sie dürften in Hinblick auf die kurzfristig erforderliche Abwendung einer sich selbst verstärkenden Abwärtsspirale nicht hinreichend wirksam sein wegen ihrer Dimension (Bsp. 300 Euro Kinderbonus im Vergleich zu 3 Monaten Kurzarbeitergeld iHv 67% des bisherigen Nettoeinkommens), Komplexität (bürokratischer Aufwand, unübersichtliche Vielfalt), ihrem zeitlichen Ein-setzen (öffentliche Investitionen benötigen in der Regel einen zeitlichen Vorlauf), ihrer Terminierung (Vorzieheffekte und entsprechende Ausfälle im Anschluss, Bsp. Mehrwertsteuersatzsenkung).

Ein Kompromiss bestünde in einer Kombination des skizzierten Vorschlags mit den im Gesetzentwurf geplanten Maßnahmen. Eine solche Kombination könnte den Durchbruch bei der Krisenbekämpfung bringen.

Zur Finanzierung

Viele dürfte der Gedanke an die hohe Neuverschuldung des Staates in Verbindung mit der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse beunruhigen. Denn die Schuldenbremse schreibt die Erstellung eines Tilgungsplans vor, gemäß dem die Neuverschuldung in einem „angemessenen“ Zeitraum zurückzuführen ist. Das ist vermutlich der Hauptgrund, weshalb man vor einer großzügigen Generalregel zurückschreckt und lieber erst einmal abwarten will, ob nicht die vielen Einzelmaßnahmen ausreichen, die Konjunktur wieder in Schwung zu bringen.

Wenn der Zeitraum für eine Schuldentilgung auf fünfundzwanzig oder gar weniger Jahre beginnend 2023 festgesetzt wird (vereinzelt war von zehn Jahren die Rede), begibt sich der Staat recht zügig in eine Zwickmühle: Der fiskalpolitische Handlungsspielraum im Tilgungs-zeitraum wird nämlich umso stärker eingeschränkt, je großzügiger gegenwärtig die Neuverschuldung betrieben wird. In Zukunft müssten die Steuern erhöht bzw. die Ausgaben gesenkt werden – beides tendenziell Konjunktur dämpfende Maßnahmen. Bei Kürzung investiver öffentlicher Ausgaben käme noch eine längerfristig wirkende Wachstumsbremse struktureller Art hinzu.

Es kann nicht sinnvoll sein, mit Hinblick auf einen kurzen Tilgungszeitraum die heutige Neu-verschuldung des Staates möglichst klein zu wählen, so dass sie – wenn auch wohl unbeabsichtigt – ihre erwünschte Wirkung, die Abwendung einer Abwärtsspirale und damit die Ver-hinderung von Massenarbeitslosigkeit, nicht erreichen kann. Denn damit verfehlte das Konjunkturpaket nicht nur seinen obersten Zweck, sondern obendrein würde die vorgesehene rasche Tilgung trotz kleinerer Beträge quasi unmöglich, weil die Steuerbasis schrumpfte und die Sozialausgaben stiegen.

Und auch wenn man eine der Schwere der Krise angemessene Neuverschuldung ins Werk setzt, würgt ein kurzer Tilgungszeitraum die angestrebte Konjunkturbelebung wieder ab. Denn die dann höheren Tilgungsbeträge könnten nicht allein durch das gerade wieder anlaufende Wachstum gedeckt werden, sondern müssten kontraproduktiv durch Steuererhöhungen und Ausgabensenkungen bewerkstelligt werden.

Diesen Schildbürgerstreich einer entweder von vornherein zu geringen und damit nicht aus-reichend wirksamen Hilfe oder einer angemessen großen, aber zu schnell wieder einkassierten und damit ebenfalls nicht ausreichend wirksamen Hilfe sollte die Regierung verhindern. Sie kann es, indem sie das Wort „angemessen“ im Zusammenhang mit dem Tilgungszeitraum sinnvoll interpretiert (etwa einen Zeitraum von mindestens 50 Jahren).

Langfristig wird die Streichung der Schuldenbremse aus dem Grundgesetz zu diskutieren sein.

Wer verschuldet sich für die deutsche Wirtschaft?

Die Rückzahlung der jetzt neu aufzunehmenden Staatsschulden wie auch der öffentlichen Altschulden würde zu einem gesamtwirtschaftlichen Desaster führen, solange in Deutsch-land weder die privaten Haushalte noch die Unternehmen bereit sind, sich in der Summe be-trachtet – spiegelbildlich dazu – zu verschulden. Das sind die traditionell sparenden privaten Haushalte ausweislich der letzten sechs Jahrzehnte sicher nicht und die Unternehmen seit fast zwei Jahrzehnten ebenfalls nicht mehr.

Versucht der Staat, es beiden Sektoren in den Jahren ab z.B. 2023 gleich zu tun und ebenfalls zu sparen, um seine Schulden zu tilgen, folgt daraus zwingend entweder eine Rezession hier-zulande oder eine weiter zunehmende Verschuldung des Auslands bei uns oder eine Mischung aus beidem. Für die Europäische Währungsunion und Europa insgesamt liefe das da-rauf hinaus, dass die Wirtschaftskrise nicht überwunden werden könnte und stattdessen eine lange Phase anhaltend hoher Arbeitslosigkeit in einem deflationären Umfeld bei Nullzinsen drohte.

Warum kann nicht jeder einfach sparen? Das liegt an dem logischen gesamtwirtschaftlichen Zusammenhang, dass die Ausgaben eines Wirtschaftssubjekts immer die Einnahmen eines anderen sind. Spart ein Wirtschaftssubjekt, gibt es weniger aus, als es einnimmt. Verschul-den sich nicht gleichzeitig andere in mindestens gleicher Höhe, sinkt das Einkommen aller Wirtschaftssubjekte zusammengenommen. Ein Sparer braucht gesamtwirtschaftlich gesehen also immer einen Counterpart, der mit seiner Verschuldung die durch das Sparverhalten aus-fallende Nachfrage ausgleicht.

Saldiert gilt das auch für die vier Sektoren einer Volkswirtschaft untereinander. Sparen drei Sektoren (z.B. private Haushalte, Unternehmen und Staat), sinkt das Gesamteinkommen bzw. die Gesamtnachfrage, also das Bruttoinlandsprodukt, wenn sich nicht der vierte Sektor (das Ausland) verschuldet.

Diese zwingende Logik darf nicht übersehen werden. Sie gilt in Krisenzeiten wie in Zeiten positiver Wachstumsraten. Sie in Krisenzeiten zu ignorieren, ist allerdings brandgefährlich.

Die „Schwarze Null“, die der deutsche Staat seit einigen Jahren in zunehmendem Maße realisiert hat, musste angesichts des Sparverhaltens der privaten Haushalte und der Unternehmen mit einer steigenden Verschuldung des Auslands in Deutschland einhergehen. Das Ausland hat die Rolle des Schuldners für deutsche Sparwünsche allerdings nicht bewusst und sozusagen freiwillig übernommen, sondern vermittelt über die Preise, zu denen deutsche Unternehmen auf den internationalen Märkten ihre Güter anbieten.

Deutsche Unternehmen waren und sind bis heute insgesamt gesehen preislich unter Berücksichtigung der Qualität wettbewerbsfähiger als die Konkurrenz aus dem Ausland. Das deutsche Preisniveau lag und liegt unter dem ausländischen, ohne dass es eine direkte Korrektur über den Wechselkurs gäbe, weil Deutschland Teil einer Währungsunion ist.

Diese überlegene deutsche Wettbewerbsfähigkeit wurde und wird zwar von den Akteuren auf den Kapitalmärkten goutiert, was den meisten Politikern und vielen Ökonomen als Aus-weis für die Solidität der deutschen Strategie gilt. Übersehen wird dabei jedoch, dass es genau die Kapitalmarktakteure sind, die im Falle einer schlagartig drohenden Korrektur der Ungleichgewichte (z.B. in Form einer erneut offen zu Tage tretenden EWU-Krise) auf die Rettung des Geld- und Bankensystems durch die Staaten und ihre Zentralbank setzen. Das sollte denen zu denken geben, die die „Schwarze Null“ als kluge Vorsorgepolitik Deutschlands für schlechte Zeiten einstufen.

Hintergrund für die systematische Unterbietung der Preisniveaus der anderen Unionsmitglieder ist das Unterschreiten des gemeinsamen Inflationsziel von knapp 2 Prozent durch die Entwicklung der deutschen Lohnstückkosten im ersten Jahrzehnt der Währungsunion. Diese wiederum beruhte auf dem Lohndumping, das in Deutschland in den ersten zehn Jahren der Währungsunion betrieben wurde und das bis heute gegenüber den Unionsmitgliedern nicht vollständig ausgeglichen wurde.

Die einzelwirtschaftlichen Nachfrager aus dem Ausland „merken“ bei ihren vollkommen rationalen, d.h. an Preis und Qualität orientierten Kaufentscheidungen gar nicht direkt, dass sie zur Verschuldung ihres eigenen Landes in Deutschland beitragen und ihre eigenen Arbeitsplätze auf diese Weise langfristig gefährden.

Setzt Deutschland auch weiter auf die Karte „Verschuldung des Auslands bei uns“, um seine Staatsschulden wider gegen jede makroökonomische Logik zu senken, braucht man die Feinheiten eines Konjunkturpakets heute, egal in welcher Größenordnung, nicht zu diskutieren. „Gestärkt“ gehen dann nämlich weder Deutschland noch die anderen europäischen Länder aus der Corona-Krise hervor.

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