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Es ist genug Geld da – leider

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Damit die Corona-Krise nicht zur globalen Depression wird, müssen sich die Staaten massiv verschulden. Ist das ein Problem? Die AargauerZeitung in der Schweiz hat sich in dieser Frage Rat bei einem Wirtschaftskapitän geholt, beim Swiss Life-Präsidenten Rolf Dörig. Der sieht es so: „Der Staat wird mit einer zusätzlichen Verschuldung von bis zu 100 Milliarden Franken aus dieser Krise kommen. Diese Schulden müssen wieder abgebaut werden. Das geht nicht ohne die Schuldenbremse. Und es braucht eine Verzichtsplanung. Wir müssen – wie nach einem Gewitter – die Schäden besichtigen und uns dann fragen: Worauf müssen wir in Zukunft verzichten, damit nicht spätere Generationen die Zeche zahlen?“ Betriebs- und Volkswirtschaft ist nicht das Gleiche Dieser Ablauf ist typisch.

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Damit die Corona-Krise nicht zur globalen Depression wird, müssen sich die Staaten massiv verschulden. Ist das ein Problem?

Die AargauerZeitung in der Schweiz hat sich in dieser Frage Rat bei einem Wirtschaftskapitän geholt, beim Swiss Life-Präsidenten Rolf Dörig. Der sieht es so:

Der Staat wird mit einer zusätzlichen Verschuldung von bis zu 100 Milliarden Franken aus dieser Krise kommen. Diese Schulden müssen wieder abgebaut werden. Das geht nicht ohne die Schuldenbremse. Und es braucht eine Verzichtsplanung. Wir müssen – wie nach einem Gewitter – die Schäden besichtigen und uns dann fragen: Worauf müssen wir in Zukunft verzichten, damit nicht spätere Generationen die Zeche zahlen?“

Betriebs- und Volkswirtschaft ist nicht das Gleiche

Dieser Ablauf ist typisch. Weil es noch immer nicht zum Allgemeinwissen gehört, dass Volks- und Betriebswirtschaft zwei paar Stiefel sind, wendet sich die Zeitung mit einer volkswirtschaftlichen Frage an einen Betriebswirtschafter. Dieser hält sich für zuständig und antwortet aus seiner unternehmerischen Optik und Erfahrung: Klar, wenn ein Unternehmen in Schwierigkeiten gerät und Schulden macht, hängt die Kreditwürdigkeit davon ab, dass es ein glaubwürdiges Schuldentilgungsprogramm vorlegt. Deshalb der Verweis auf die „Schuldenbremse“ und auf eine „Verzichtsplanung“.

„Verzichtsplanung“ verschärft die Krise

Doch aus volkswirtschaftlicher Sicht sieht das ganz anders aus: Die Schweiz ist in die Wirtschaftskrise gerutscht, weil es eine Verzichtsplanung gab. Der Bundesrat hat die Bevölkerung – wie überall und aus guten epidemiologischen Gründen – gezwungen, auf den Coiffeur, auf das Fitnessstudio, auf den Gang ins Restaurant etc. zu verzichten. Er hat damit eine Nachfragekrise geschaffen. Und weil dieser Verzicht die Schweizer Bevölkerung sehr unterschiedlich getroffen hat, wurde diese Nachfragekrise durch ein Verteilungsproblem verschärft: Die große Mehrheit hat dank dem sogenannten „Lockdown“ viel Geld gespart, andere haben ihr ganzes Einkommen verloren. Das hätte eine zweite Runde der Nachfragekrise und vermutlich einen Teufelskreis ausgelöst, wenn der Staat die ausfallenden Einkommen nicht mit Zuschüssen und Krediten (wenigstens teilweise) kompensiert hätte.

(Klammerbemerkung: Wäre die ganze Wirtschaft ein einziges Unternehmen, gäbe es das Verteilungsproblem und die zweite Nachfrage-Runde nicht. Es hätten einfach alle – sagen wir 20 Prozent – weniger gearbeitet und entsprechend weniger verdient. Klammer zu.)

Nach der Aufhebung der epidemie-bedingten Einschränkungen geht es nun darum, die Nachfrage wieder anzukurbeln und dafür zu sorgen, dass unser Produktionspotential und die Arbeitskräfte wieder voll ausgelastet werden. Mit einer „Verzichtsplanung“, wie sie neben Dörig auch andere fordern, würde man genau das Gegenteil erreichen – und zwar allein schon durch ihre Androhung. Die Konsumenten sind ohnehin schon genug verunsichert.

Eine Verzichtplanung wäre nur dann angemessen, wenn entweder tatsächlich ein „Gewitter“ massiv Produktionskapazitäten vernichtet hätte; das zeigt, dass das Denken in Bildern zu gefährlichen Fehlschlüssen führen kann. Oder wir müssten Verzicht dann planen, wenn wir einsehen, dass eine volle Auslastung unserer immer effizienteren Produktionskapazitäten die Umwelt massiv schädigt. Von dieser Einsicht ist im Interview mit Dörig allerdings nichts zu spüren.

Doch ist es tatsächlich ungefährlich, wenn allein die Schweiz 93 Milliarden und die übrigen Länder wie geplant mehr als 9 Billionen Euro Schulden in die Welt setzen? Haben wir – die heutige Generation – das moralische Recht, Schulden zu machen und, wie es Dörig formuliert,  „spätere Generationen die Zeche zahlen“ zu lassen?

Wenn man die Frage so formuliert, macht man aus einer volkswirtschaftlichen Frage ein moralisches Problem – und kann sich damit differenzierte Überlegungen sparen.

Geld ist ein Mittel, keine Ressource

Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist Geld keine knappe und teure Ressource, sondern ein Instrument, das vor allem dazu dient, die realen volkswirtschaftlichen Ressourcen optimal zu nutzen, beziehungsweise dafür zu sorgen, dass sie nicht brach liegen. Der Einsatz dieses Instruments, kostet fast nichts. Theoretisch könnte sich ein Staat einfach bei der Notenbank einen Kredit über 100 Milliarden Euro gutschreiben lassen.

Praktisch läuft es wohl darauf hinaus, dass Staaten wie die Schweiz Anleihen in Umlauf bringen, und die Banken diese bei der Notenbank als Sicherheit hinterlegen können. Die Verteilung dieser Gelder an die Kurzarbeiter, kleine und mittlere Unternehmen etc. verursacht dann doch einige administrative Kosten. Aber im Verhältnis zum volkswirtschaftlichen Schaden (in Form von brachliegenden Ressourcen) den man mit diesem Kredit vermeidet, ist das ein Klacks. Teuer wird es erst, wenn der Staat die Wirtschaft nicht ausreichend mit Geld versorgt.

Das soll aber kein Freipass zur ungehinderten Geldschöpfung sein. Denn erstens steigt damit die Gefahr des Missbrauchs, und zweitens bringt der Staat mit dieser Geldschöpfung aus dem Nichts zu viele Wertpapiere in Umlauf und potenziert damit die Macht der Kapitalmärkte.

Bei einem normalen Hypo- oder Betriebskredit verlangt die Bank Sicherheiten in Form einer Immobilie oder von Produktionsanlagen. Insofern ist das keine Geldschöpfung aus dem Nichts, denn hinter dem Geld steht ein realer Wert, der auch einen realen Ertrag (Miete, höhere Produktion etc.) abwirft. Zudem sehen solche Kreditverträge in der Regel vor, dass der Kredit spätestens dann abbezahlt ist, wenn das Haus abgerissen oder die Maschine ersetzt werden muss. Aus volkswirtschaftlicher Sicht heißt das, dass die Summe der ausstehenden Kredite oder Wertpapiere nicht schneller wächst als das BIP.

Bei den vielen zehntausenden Milliarden, die jetzt wegen der Corona-Krise weltweit in Umlauf gebracht werden, handelt es sich jedoch tatsächlich um Geldschöpfung aus dem Nichts. Hinter diesem Geld stehen nämlich keine bleibenden Werte, denn das Geld wird für den laufenden Konsum verwendet. Was kein Vorwurf ist. Das Geld wurde nur zu diesem Zweck geschöpft. Das aber ist deshalb problematisch, weil die Regierungen aller Ländern schon vor der Krise sehr viel Geld aus dem Nichts geschaffen haben.

Der wichtigste Grund für diese „Schuldenmacherei“ sind aber nicht die von der NZZ immer wieder getadelten „Begehrlichkeiten“ der Politiker, sondern es ist die weltweit immer einseitigere Verteilung der Einkommen. Die (großen) Unternehmen setzen ihre Preise so hoch an und drücken die Löhne (vor allem die der Unterlieferanten) so tief, dass zu wenig Kaufkraft da ist, um ihre Produkte abzusetzen. Damit haben die Aktionäre und die Manager ein Problem: Sie müssten die Preise senken, die Löhne erhöhen, oder die Produktion drosseln und Leute entlassen.

Damit aber bekommen auch die Politiker ein Problem.  Steigt die Arbeitslosigkeit, werden sie abgewählt. Die Manager hingegen riskieren die (immerhin mit einem goldenen Fallschirm abgefederte) Entlassung, wenn der Gewinn im nächsten Quartal sinkt.

Dieses Pokerspiel endet seit bald zwei Jahrzehnten regelmäßig damit, dass das Kapital gewinnt und der Staat die fehlende Kaufkraft durch Sozialausgaben ersetzt. Das Geld verschafft er sich durch Anleihen, die im Wesentlichen von den reichsten 10 Prozent gezeichnet werden – von den Topmanagern und den Aktienbesitzern. Damit fließt das Geld, das die Unternehmen an Löhnen und Steuern gespart haben, in Form von Krediten wieder in den Wirtschafts- und Verschuldungskreislauf zurück. In der Eurozone zum Beispiel hat der Unternehmenssektor seit 2009 Nettoüberschüsse (nach Investitionen und Dividenden) im Umfang von gut 2600 Milliarden Euro erzielt, während die Staatskassen rund 3500 Milliarden Euro zusätzliche Schulden angehäuft hat.

Das bedeutet, dass die globalisierte Wirtschaft gleichsam als Abfallprodukt des realen BIP auch einen stetig steigenden Schulden- und Guthabenberg produziert, hinter dem aber keine realen Werte stehen, weil alles schon konsumiert ist. Bereits vor der Corona-Krise belief sich dieser Berg (die globale Summe aller Bankkredite und handelbaren Wertschriften auf rund 295 Billionen Dollar. Das ist mehr als das Dreifache des weltweiten BIP. Durch die Corona-Krise wird diese Summe auf weit über 300 Billionen steigen, während gleichzeitig das BIP sinkt. Beides zusammen erhöht die private und staatliche Schuldenquote, gemessen am BIP.

Doch gerade die faktische Wertlosigkeit ihrer Guthaben macht die Herren der Finanzmärkte umso mächtiger. Ihre latente Drohung, Unternehmen und ganze Länder Pleite gehen zu lassen, hat umso mehr Gewicht, je näher wir am Abgrund stehen. Indem wir die Corona-Krise mit staatlichen Krediten (statt mit höheren Steuern für die Profiteure) ausbaden, stärken wir auch die Macht der Finanzmärkte. Das ist leider unvermeidlich. Wir können damit den Kollaps der Wirtschaft noch einmal hinausschieben.

Das weit verbreitete Jammern über die steigenden Staatsschulden ist somit bloß eine Nebelwand, hinter der man das eigentliche Problem – die ungleiche Verteilung von Einkommen und Vermögen – versteckt  und verschweigt.

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