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Voll normal?

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Die „unkonventionelle Geldpolitik“ der EZB wirft eine Vielzahl empirischer und normativer Fragen auf. Ohne aber anzuerkennen, dass die EZB gar keine „Geldpolitik“ mehr betreibt, wird man auf diese Fragen keine befriedigenden Antworten finden. Die beiden Soziologen Jan Sparsam und Malte Flachmeyer geben auf die Frage meines Stücks im Leviathan (48. Jahrgang 2020, Heft 2) eine eindeutige Antwort (empirische These): (ET) „Unkonventionelle Geldpolitik ist […] die Fortführung der Vorkrisenpolitik mit anderen Mitteln.“ (S. 182) Neben dieser empirischen formulieren sie auch eine normativer These: (NT) „Angesichts der Zwangsmaßnahmen gegenüber den Schuldnerstaaten, an deren Vollzug die EZB maßgeblich beteiligt war, und der zunehmenden sozialen Ungleichheit erscheint die

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Die „unkonventionelle Geldpolitik“ der EZB wirft eine Vielzahl empirischer und normativer Fragen auf. Ohne aber anzuerkennen, dass die EZB gar keine „Geldpolitik“ mehr betreibt, wird man auf diese Fragen keine befriedigenden Antworten finden.

Die beiden Soziologen Jan Sparsam und Malte Flachmeyer geben auf die Frage meines Stücks im Leviathan (48. Jahrgang 2020, Heft 2) eine eindeutige Antwort (empirische These):

(ET) „Unkonventionelle Geldpolitik ist […] die Fortführung der Vorkrisenpolitik mit anderen Mitteln.“ (S. 182)

Neben dieser empirischen formulieren sie auch eine normativer These:

(NT) „Angesichts der Zwangsmaßnahmen gegenüber den Schuldnerstaaten, an deren Vollzug die EZB maßgeblich beteiligt war, und der zunehmenden sozialen Ungleichheit erscheint die Bezeichnung der Krisenbekämpfungsmaßnahmen als „gemeinwohlorientiert“ zynisch.“  (S. 185)

Mit NT wenden sie sich ausdrücklich gegen eine Verteidigung der EZB Politik, die Heiner Flassbeck und ich in „Gescheiterte Globalisierung“ wie folgt zusammengefasst hatten:

„Die EZB-Politik der letzten Jahre ist als ein wichtiger Beitrag gegen den von Marktfundamentalisten gewollten „Wettbewerb der Nationen“ zu interpretieren und verdient Unterstützung aller, die an der Entwicklung eines solidarischen und gemeinwohlorientierten Europas Interesse haben. (S. 281).

Mit den beiden Autoren bin ich einer Meinung, dass „eine isolierte Kritik an der Geldpolitik den Blick von der wirtschaftspolitischen Gesamtstruktur ablenkt“. (S. 183).  Mit ihrer (falschen) ET verlieren sie aber gerade diese „wirtschaftspolitische Gesamtstruktur“ aus den Augen. Zudem werden sie zur Formulierung von NT verleitet, die einer kritischen Überprüfung ebenfalls nicht standhält.

Die Struktur der Finanzwirtschaft

ET beruht auf einer Vorstellung der strukturellen Merkmale gegenwärtiger „Finanzwirtschaften“, die die beiden Autoren wie folgt auf den Punkt bringen:

„Je nach Bedarf der Finanzwirtschaft nach „externer“ geldpolitischer Refinanzierung werden diese so weit angepasst und gegebenenfalls erweitert, wie es notwendig erscheint, um die Geschäftsbanken so liquide wie möglich zu halten.“ (S. 182)

Richtig ist, dass Zentralbanken Geschäftsbanken Liquidität zur Verfügung stellen. Diese „Liquidität“ ist nicht mehr und nicht weniger als eine Zahl auf dem Konto einer Geschäftsbank bei „ihrer“ Zentralbank. Ein Mitarbeiter der Zentralbank tippt den Banken einfach die entsprechende Zahl mithilfe eines Keyboards ein.

Man sollte an dieser Stelle aber nicht den Fehler machen, aus dieser Tatsache auf eine besonders große Macht der Zentralbanken über die Geschäftsbanken zu schließen. Es ist nicht so, wie die beiden Autoren insinuieren, dass Geschäftsbanken für die „Finanzierung“ ihrer Geschäfte von der Bereitstellung von Liquidität durch die Zentralbank besonders abhängig wären.

Wollen Geschäftsbanken Anleihen oder Aktien kaufen oder Kredite vergeben, müssen sie sich keineswegs vorab von ihrer Zentralbank das dazu notwendige Geld beschaffen. Geschäftsbanken sind nämlich selbst Geldproduzenten. Wollen sie sich z.B. Aktien kaufen, dann schreiben sie, wenn der Verkäufer ein Girokonto bei ihnen hält, ihm einfach den entsprechenden Betrag auf seinem Konto gut. Ihre Passiva steigen dann um den entsprechenden Betrag. Da der Kauf aber auch zu einer entsprechendem Aktiva – einer Erhöhung ihres Wertpapiervermögens führt, ist die Bilanz ausgeglichen und damit alles gut.

Sie drucken also sozusagen das Geld selbst, das sie für ihre Geschäftsaktivitäten benötigen. Das erklärt auch, warum die von der EZB mit ihrer Politik des „quantitative easing (QE)“ geschaffene Liquidität, wie die beiden Autoren schreiben, „gleichsam ‚steckengeblieben“ ist. Allerdings ist das viele Geld, das sich auf den Zentralbankkonten der Banken angehäuft hat, anders als sie meinen, nicht „zweckentfremdet“ worden. (S. (186).

Es ist schlicht und einfach so, dass Banken mit dieser Liquidität inzwischen nicht mehr viel anfangen können. Sie benötigen sie lediglich, um ihren Mindestreserveverpflichtungen nachzukommen und im beschränkten Umfang, um den Zahlungsverkehr erfolgreich abzuwickeln. Der Mindestreservesatz beträgt gegenwärtig aber lediglich 1% auf ganz überwiegend die Giroguthaben der Bankkunden. Darüber hinaus wird der sogenannte Zahlungsausgleich heutzutage verstärkt über sogenannte „Repos“ bewerkstelligt und nicht mithilfe von Zentralbankgeld.

Es ist die gegenwärtig geringe Bedeutung des Zentralbankgelds, die es erlaubt, davon zu sprechen, dass die Menge an Zentralbankgeld ganz überwiegend endogen bestimmt wird. Anders ausgedrückt, warum die Mitarbeiter einer Zentralbank in der Regel den Geschäftsbanken genau so viel Zentralbankgeld zur Verfügung stellen, wie sie für die Aufrechterhaltung ihres Geschäftsbetriebs bedürfen.

Günther Grunert hält zu Recht fest: „Kredite schaffen Einlagen, die wiederum Reserven erzeugen.“ Allenfalls könnte man noch ergänzen, dass diese Aussage im Zusammenhang mit dem „Erwerb“ aller Bankaktiva korrekt ist. Es ist daher etwas verwunderlich, wenn er an anderer Stelle darauf insistiert: „die Zentralbank besitzt das Monopol auf die Schaffung von Zentralbankgeld“.

Eine Geschäftsbank kann auch aufgrund mangelnder Liquidität in die Bredouille geraten. Das aber ist die große Ausnahme. Banken geraten meist nicht aufgrund eines Mangels an Zentralbankgeld in Schwierigkeiten, sondern weil ein entsprechender Wertberichtigungsbedarf ihrer Aktiva zu einer „Überschuldung“ führt.

Denn sinkt der Wert der Aktiva, z.B. von Aktien auf ihrer Bilanz, reduzieren sich nicht notwendiger Weise entsprechend die der Passiva, z.B. der Giroguthaben ihrer Kunden. Ist dann das Eigenkapitalpolster der Bank nicht ausreichend groß, dann ist die Bank gezwungen, Konkurs anzumelden.

Dieses Problem kann eine Zentralbank beseitigen, indem sie faule Assets der Geschäftsbank zu einem über dem Marktpreis liegenden Preis ankauft. Sie schafft damit automatisch auch Liquidität, obwohl die Bank diese möglicherweise gar nicht benötigt. Sie hat aber, falls das der Fall sein sollte, mit ihren Ankauf von Bankenaktiva kein Liquiditäts- sondern ein Bewertungsproblem aus der Welt geschafft.

Voll schräg: Die unkonventionelle Geldpolitik der EZB

In diesem Zusammenhang auf die Idee zu kommen, das Verhältnis von Zentralbank und Banken als „Öffentlich-Private-Partnerschaft“ zu  bezeichnen, liegt nahe. Allerdings eine Partnerschaft, die man rasch beenden sollte. Denn hier wird tatsächlich dem Prinzip gefolgt, Gewinne zu privatisieren und Verluste zu sozialisieren.

Kann man diese „Rettung“ von Banken durch Zentralbanken überhaupt als „Geldpolitik“ beschreiben? Klar, wenn alles, was eine Zentralbank tut, als Geldpolitik zu bezeichnen ist, dann ist auch ein solcher „Bail-out“ einer Bank Geldpolitik. Versteht man aber unter Geldpolitik den Versuch der „Beeinflussung der kurzfristigen Geldmarktzinsen durch den Leitzins“ (S. 180), dann scheint der Begriff der „Geldpolitik“ die realen Vorgänge dahinter nur zu vernebeln.

Freilich, um den Geldmarktzins nahe am Leitzins zu halten, kann auch der Ankauf von Staatsanleihen durch eine Zentralbank notwendig sein. Und ja, ein solcher Ankauf führt automatisch zu einem Anstieg des Zentralbankguthabens von Banken. Dient aber ein solcher Ankauf der Steuerung des Geldmarktzinses (dem Markt für Reserven), dann besteht auf diesem Markt ein Mangel an Reserven. Es ist dieser Mangel, der die Zinsen für Reserven steigen lässt. Diesem Mangel also helfen die Ankäufe von Staatanleihen im Rahmen sogenannter Offenmarktgeschäft ab.

Nun sind die Banken aber mit Reserven geflutet. Das Problem der Banken ist – vor allem dann, wenn auf diese sogenannten Überschussreserven sogar noch ein Negativzins erhoben wird – diese Reserven loszuwerden. Die These von Sparsam und Flachmeyer, „dass sich die Geldpolitik vor und nach der Krise nicht so fundamental voneinander unterscheiden, wie landläufig angenommen“ (S. 177), ist also definitiv widerlegt.

Was aber erklärt dann die Liquiditätsflut bei den Banken der Eurozone? Die kurze Antwort lautet, ein Spaziergang. Genauer, ein Spaziergang von Nicolas Sarkozy und Angela Merkel in dem kleinen Seeort Deauville am 10. Oktober 2010.

Bis dahin waren die Finanzmärkte der Meinung, trotz anders lautender EWU-Verträge, dass der Euroraum sich nicht substanziell von anderen Währungsräumen wie dem US-Dollar unterscheidet. Man war also der Auffassung, dass die Mitgliedsländer der EWU niemals zahlungsunfähig werden könnten, weil die EZB – wie andere „normale“ Zentralbanken auch – stets als Lender of Last Resort (LLR) agieren würde. Deshalb bewegten sich auch die Renditen aller Mitgliedsländer auf annähernd gleichem Niveau.

Beim Spaziergang am Meer kam man dann wohl aber zu dem Schluss, Worten Taten folgen zu lassen. Man hatte sich tatsächlich darauf geeinigt, den Gläubigern griechischer Staatsanleihen einen sogenannten „Haircut“ zu verpassen, – sie also zu Wertberichtigungen zu zwingen. Dermaßen belehrt, reagierten die Finanzmärkte mit steigenden und sich weit auseinander entwickelten Renditen auf die Staatsanleihen der Euro-Mitgliedsländer.

Die Finanzmärkte haben ihre Lektion gelernt. Bei Staatsanleihen der Euroländer muss man sich tatsächlich um deren Zahlungsfähigkeit Sorgen machen. Und da das Ausfallrisiko für unterschiedliche Mitgliedsländer zweifelsohne unterschiedlich hoch ist, müssen sich die Renditen der Staatsanteilen der entsprechenden Länder auch unterscheiden.

Höhere Zinsen auf Staatsanleihen engen aber den fiskalpolitischen Spielraum ein und verteuern auch Kredite im Privatsektor. Diesen Zinssatz aber können Zentralbanken auf ein beliebiges Niveau senken, wenn sie entsprechend viele Anleihen zu einem entsprechend niedrigen Preis ankaufen. Genau diese Funktion erfüllt das QE der EZB. Sie ist also ein Mittel, um allen Mitgliedsländern Fiskalpolitik zu für sie akzeptablen Bedingungen zu ermöglichen und die Refinanzierungsbedingungen für alle Unternehmen im Euroraum zu harmonisieren.

Von Zynikern und Realisten

Marktfundamentalisten ist QE ein Dorn im Auge, wie Heiner Flassbeck und ich in unserem Buch wie folgt begründet haben:

„Sie wollen Staaten zu bloßen Marktakteuren degradieren und lehnen daher die „Privilegierung von Staatsanleihen in der Bankenregulierung“ ab. Stattdessen fordern sie ein „Insolvenzregime für Staaten“ (Sondergutachten, S. 31), um sicherzustellen, dass auch Staaten mit „angemessenen Risikoaufschlägen“ (ebd., S. 15) zu einer „soliden“ Haushaltspolitik gezwungen werden.“ (GG, S. 278)

Exakt vor diesem Hintergrund haben wir das QE der EZB verteidigt. Was aber ist daran „zynisch“? Ist es zynisch, wenn man begrüßt, dass ein Land wie Italien, das seit der Finanzkrise wirtschaftlich stagniert, einen größeren fiskalpolitischen Spielräum erhält? Ist es zynisch, weil man sich davon einen Abbau der exorbitant hohen Jugendarbeitslosigkeit erwartet?

Wir haben auch nicht die „Zwangsmaßnahmen gegenüber den Schuldnerstaaten, an deren Vollzug die EZB maßgeblich beteiligt war“ (S.183) verschwiegen. Im Gegenteil erfährt man aus „Gescheiterte Globalisierung“ das Folgende:

„In Griechenland hat man mithilfe einer unabhängigen Zentralbank namens EZB das demokratische Nein zu »Strukturreformen« in die Schranken gewiesen. Es war ohne Zweifel die Drohung der vor demokratischer Einflussnahme geschützten EZB, das gesamte griechische Bankensystem zum Einsturz zu bringen, welche das griechische Parlament schließlich davon »überzeugte«, die von der Troika diktierten »Strukturreformen« zu verabschieden.“ (GG S. 349)

Dennoch ist das QE-Programm der EZB anders zu bewerten. Der Ankauf von Staatsanleihen in diesem Rahmen ist per se an keine Konditionalitäten gebunden. Freilich ist dann wieder zu kritisieren, wenn die EZB nicht dafür sorgt, dass die Renditen für die Staatsanleihen aller Mitgliedsländer absolut gleich hoch sind. Was sie unzweifelhaft könnte, da sie über unendlich große Finanzierungsressourcen verfügt.

Es wäre sinnvoller, wenn die EZB uneingeschränkt als LLR agieren würde – oder noch besser, die Ausgaben ihrer Regierungen direkt refinanzieren würde. Darauf aber zu hoffen, ist vollkommen unrealistisch. Das zeigten allein schon die Verrenkungen mit dem ESM, die sich nun mit dem Recovery-Plan wiederholen.

Ich habe nun wahrlich nicht verhehlt, dass ich an eine zielführende Reform der EWU nicht glaube und daher für eine Rückkehr zu nationalen Währungen plädiert (zuletzt hier).

Eine solche Forderung findet sich bei den beiden Autoren nicht. Und das, obwohl sie „die Maßnahmen der EZB“ im Anschluss an Lukas Oberndorfer als „autoritären Wettbewerbsetatismus“ beschreiben. Ich teile diese Einschätzung in vielerlei Hinsicht – aber gerade weil es unmöglich ist, die QE der EZB als „voll normal“ zu charakterisieren.

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