Dirk Bezemer ist Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Groningen im Fachbereich Internationale Finanzentwicklung. Er war Forscher am Imperial College London und arbeitete unter anderem als Politikberater für die britische Regierung. Er informiert regelmäßig das Repräsentantenhaus und verfasst politische Berichte für die OECD, die Weltbank, die UNCTAD und das UNDP. Die bei weitem größte Gefahr für die niederländische Wirtschaft ist die Fortsetzung des Sparkurses, der unter Rutte I, II und III herrschte. Im unwahrscheinlichen Fall – einem Kabinett Rutte IV – bekomme ich einen Herzkasper. Letzte Woche war Klaas Knot im niederländischen Unterhaus. Sein Rat: Machen Sie sich nicht gleich Sorgen um die Staatsverschuldung, die jetzt rapide ansteigt.
Topics:
Dirk Bezemer considers the following as important: Staatsschulden
This could be interesting, too:
Joachim Nanninga writes Ausgabeprogramme und die Sorge um das Demokratiedefizit
Ulrike Simon writes Den Gemeinwohl-Investor wecken
Nils Rieckmann writes Wo bleibt die Hyperinflation?
Paul Steinhardt writes Die Last mit der Schuldenlast
Dirk Bezemer ist Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Groningen im Fachbereich Internationale Finanzentwicklung. Er war Forscher am Imperial College London und arbeitete unter anderem als Politikberater für die britische Regierung. Er informiert regelmäßig das Repräsentantenhaus und verfasst politische Berichte für die OECD, die Weltbank, die UNCTAD und das UNDP.
Die bei weitem größte Gefahr für die niederländische Wirtschaft ist die Fortsetzung des Sparkurses, der unter Rutte I, II und III herrschte. Im unwahrscheinlichen Fall – einem Kabinett Rutte IV – bekomme ich einen Herzkasper.
Letzte Woche war Klaas Knot im niederländischen Unterhaus. Sein Rat: Machen Sie sich nicht gleich Sorgen um die Staatsverschuldung, die jetzt rapide ansteigt. Warten Sie bis bis Ende kommenden Jahres ab, bevor Sie das Thema wieder auf den Tisch bringen. Und dann tun Sie es nicht zu überstürzt. Da so etwas wie Corona laut Knot nur einmal alle hundert Jahre passiert, kann man sich einige Jahrzehnte Zeit nehmen, um die dadurch verursachte Verschuldung abzubauen.
Ein Präsident der niederländischen Zentralbank (DNB), der uns sagt, dass die Staatsverschuldung wirklich nicht allzu hoch ist: Ich hätte nicht gedacht, dass ich das noch erleben dürfte. Pieter Hasekamp, Direktor des Niederländischen Büros für wirtschaftspolitische Analyse (CPB), stimmte dem zu. Selbst wenn die Verschuldung – im schlimmsten Fall, so das CPB – auf 75 Prozent des BIP ansteigen sollte, könnten die Niederlande „mit dieser Art von Verschuldung fertig werden“, sagte er.
Ich war glücklich, aber auch verwirrt. Die bei weitem größte Gefahr für die niederländische Wirtschaft ist die Fortsetzung des Sparkurses, der unter dem Kabinett Rutte I, II und III vorherrschte. Im unwahrscheinlichen Fall eines Kabinetts Rutte IV würde ich einen Herzkasper bekommen. In den letzten zehn Jahren ist das Haushaltsdefizit in jedem Jahr zurückgegangen, und seit 2015 hat es sich in vier aufeinanderfolgenden Jahren in einen Überschuss verwandelt – etwas, das im vergangenen Jahrhundert nur einmal in der niederländischen Geschichte geschah, in den Wiederaufbaujahren 1948-1954.
Die daraus resultierende Staatsverschuldung von nur 48 Prozent des BIP im März 2020 war ebenfalls eine Anomalie. Seit der Gründung des Königreichs der Niederlande im Jahr 1814 ist die Staatsverschuldung nur in den 1970er Jahren und erneut in den Jahren 2001-2007 unter 50 Prozent gefallen (Seltsamerweise waren diese beiden Episoden des öffentlichen Schuldenabbaus der Auftakt zu den beiden schlimmsten Wirtschaftskrisen seit der Großen Depression). Der durch die Sparmaßnahmen verursachte Schaden war enorm. Leider hat Knot dies in der Kammer nicht erwähnt.
Ein „Defizit“ der Regierung ist eine Stütze für die Wirtschaft
Dieser Umstand wird auch durch die Rhetorik verdunkelt. Ein Defizit – Hilfe! Wir haben ein Defizit – was bedeutet, dass die Regierung in der Wirtschaft mehr für Infrastruktur, Sozialleistungen, Zuschüsse und den öffentlichen Sektor ausgibt, als sie durch Steuern hereinholt. Ein „Überschuss“ des Staates – schönes Wort! es bleibt etwas übrig – ist ein Defizit für den privaten Sektor. Was in „defizitären“ Jahren also geschieht, ist eine Nettounterstützung der Wirtschaft durch die Regierung. Das ist genau das, wofür eine Regierung existiert.
Überschüsse sind daher anormal. Von den letzten fünfzig Jahren bis 2015 weisen nur drei einen Haushaltsüberschuss auf. Nun haben wir also vier Überschussjahre hinter uns, und ohne Corona wäre 2020 das fünfte gewesen. Wir können sehen, wie sehr der öffentliche Sektor unter Rutte verdrängt worden ist. Es war ein Jahrzehnt des Schrumpfens von Menschen und Ressourcen in der Justiz, im Gesundheitswesen, in der Wohlfahrt, im Bildungswesen und bei der Polizei – und das setzte sich auch im Boom fort.
Und hier liegt meine Irritation. Meines Wissens hat das CPB in diesen zehn Jahren nie davor gewarnt, dass es zu viele Kürzungen gab. Und nun sagt CPB-Direktor Hasekamp, dass die Niederlande eine Verschuldung von 75 Prozent des BIP gut verkraften können? Hätten Sie mir das nur früher gesagt! Erst im Dezember letzten Jahres, als die Staatsverschuldung auf einem historischen Tiefststand war, wurde der CPB-Bericht „Zorgen om morgen“ (Sorgen um morgen) veröffentlicht, in dem zu lesen ist:
„Wenn die Politiker sich dafür entscheiden, die öffentlichen Finanzen (im oben beschriebenen Sinne) nachhaltig zu gestalten, wird dies den Effekt haben, dass sich die Verschuldung langfristig bei 25 Prozent des BIP stabilisiert“.
Das ist bizarr: Die Hälfte des historischen Tiefpunktes wird als „haltbar“ bezeichnet. Wie tragfähig der öffentliche Sektor dann noch ist, davon kein Wort.
Nach 2007, dem Beginn der Wirtschafts- und Finanzkrise, warnte der DNB-Präsident immer wieder vor hohen Haushaltsschulden, etwas, was sein Vorgänger versäumt hatte. Nach März 2020 erklärt nun der neue Direktor des CPB, dass die Niederlande am besten mit einer Verschuldung umgehen können, die wiederum dreimal so hoch ist wie tragbar, wie aus einem Bericht hervorgeht, der vor einigen Monaten direkt unter seinem Vorgänger erschien.
Ich beginne, ein Muster zu erkennen. Was gut für das Land ist, wird erst in einer Krise richtig erkannt, und das erfordert einen personellen Wechsel. Der personelle Wechsel wäre also auch für den Minsterpräsidenten keine schlechte Idee.