Dorian Hannig arbeitete als Theater- und Filmschauspieler und studiert derzeit Soziologie, Theater- und Kommunikationswissenschaften an der LMU München. Dort ist er Tutor am Lehrstuhl für Allgemeine Soziologie und Gesellschaftstheorie von Armin Nassehi und schreibt als freier Autor. In Krisenzeiten wie diesen haben Falschinformationen und Verschwörungstheorien Konjunktur. Ein besorgniserregendes Phänomen, findet die öffentliche Mehrheit. Doch sind uns die „Irrgläubigen“ nicht manchmal näher als wir denken? Ist das öffentliche Leben nicht bald schon wieder ganz das alte? Vorsichtiger Optimismus darf zumindest erlaubt sein, hat doch mittlerweile nicht nur hierzulande die vorsichtige Annäherung an den Normalzustand vor dem Virus längst begonnen. Doch synchron zu den
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Dorian Hannig writes Die Humorlosen
Dorian Hannig arbeitete als Theater- und Filmschauspieler und studiert derzeit Soziologie, Theater- und Kommunikationswissenschaften an der LMU München. Dort ist er Tutor am Lehrstuhl für Allgemeine Soziologie und Gesellschaftstheorie von Armin Nassehi und schreibt als freier Autor.
In Krisenzeiten wie diesen haben Falschinformationen und Verschwörungstheorien Konjunktur. Ein besorgniserregendes Phänomen, findet die öffentliche Mehrheit. Doch sind uns die „Irrgläubigen“ nicht manchmal näher als wir denken?
Ist das öffentliche Leben nicht bald schon wieder ganz das alte? Vorsichtiger Optimismus darf zumindest erlaubt sein, hat doch mittlerweile nicht nur hierzulande die vorsichtige Annäherung an den Normalzustand vor dem Virus längst begonnen.
Doch synchron zu den ersten Lockerungsversuchen hat sich längst eine Grundgereiztheit hinsichtlich des Virus breit gemacht, die immer offener artikuliert wird. Galt zu Beginn des Shutdowns die Zustimmungsbekundung gegenüber den eingeschränkten Grundfreiheiten noch zum guten Ton, so hat nach Umfragewerten der infratest dimap seit Anfang Mai rund ein Viertel der Deutschen die staatlichen Maßnahmen eher satt.
Auf Anti-Corona-Demos, die mittlerweile regelmäßig in mehreren deutschen Stätten stattfinden, findet sich ein recht buntes Gemisch an Besorgten zusammen. Zum einen die gewöhnlichen Skeptiker, die den Shutdown des öffentlichen Lebens wahlweise für übertrieben, unbegründet oder schlecht durchdacht halten. Andererseits jene Teile des Meinungsspektrums, die den politischen Autoritäten rein gar nichts mehr glauben wollen und für die entweder Bill Gates, die Impfstofflobby oder noch weitaus finstere Mächte hinter der Pandemie stecken.
Sind die Proteste also wieder Sprachrohr für ein Sammelsurium aus alternativen Fakten, die hinsichtlich medialer Aufklärungsansprüche nichts Gutes verheißen lassen? So fragt sich das Gros der Medienschaffenden besorgt und lässt gleich Aufklärungsarbeit über die falschen Fakten folgen. Auf dass Leser und Zuschauer am Ende wissen, wie die argumentativen Tricks der Irrgläubigen zu entlarven sind und wie sich gute von schlechten Informationen unterscheiden lassen.
Verschwörungstheorien als Symptome gesellschaftlicher Unruhe
Nun ist der Befund, dass auch die Corona-Pandemie wieder ein paar irrlichternde Erzählungen über verschwörerische Machenschaften ans Licht befördert hat, natürlich keineswegs verkehrt. Insbesondere in Krisenzeiten haben Verschwörungstheorien Hochkonjunktur, bieten sie doch für diffuse Gefahrenlagen ein Deutungsangebot, durch das sich der Mangel an Orientierung zu einer eingänglichen Geschichte kondensieren lässt. Je wahnhafter die Narrative dabei anmuten und je eifernder sich die Verschwörungsgläubigen in den öffentlichen Diskurs vordrängen, desto mehr werden sie von Außenstehenden als skurrile Meinungsexoten wahrgenommen und entsprechend gebrandmarkt.
Der Erfolg der Aufklärungsarbeit fällt allerdings meist bescheiden aus, weil die notorischen Zweifler Widerspruch an ihrer Weltanschauung in eine Bestätigung der gegen sie gerichteten Absichten umdeuten. Zwischen der von vornherein entrückten Themensetzung der Verschwörungsgläubigen und der empörten Antwort von Seiten der öffentlichen Wortführer, verkommt der Diskurs jedoch zu einem Schaukampf, dem die Grautöne der Auseinandersetzung zunehmend abhanden kommen.
Gerade dort nämlich, wo die Entlarvung und Zurschaustellung möglichst unsinniger Thesen wie ein Selbstreinigungsritus anmutet, durch den sich die „Gutinformierten“ am Ende von Verzerrung und Selbsttäuschung enthoben wähnen – dort erscheint Widerspruch am Konsens der Mehrheit auch schnell wie der erste Schritt in eine ausgemachte Reptiloiden-Psychose.
Versteht man Verschwörungsgläubigkeit dagegen weniger als pathologisches Symptom, sondern zuerst einmal als eine Stabilisierungsstrategie von Menschen in unsicher gewordenen sozialen Kontexten, lässt sich die gesellschaftliche Dimension des Phänomens in den Blick nehmen. Zwar zeichnen sich die entsprechenden Strategien in der Regel durch mangelhafte, widersprüchliche Schlussfolgerungs- und Argumentationsverfahren aus. Aufgrund der intuitiven Eingängigkeit für den Einzelnen erscheinen die konkreten Inhalte aber plausibel, weil sie eine überlegene Kenntnis über den Gang der Geschichte suggerieren, wo Kontrolle und Orientierung zu erodieren drohen.
Selbst in ihren kryptischen Formen können diese Weltbilder viel über bestehende Wahrnehmungsdifferenzen und offenbar fehlgeschlagene Vermittlungsprozesse verraten. Zwischen Politik und Medien auf der einen und den Empfängern auf der anderen Seite.
Blick in den Spiegel
Zwar mag das Grundmisstrauen gegenüber den renommierten Medieninstitutionen vielerorts allzu groteske Blüten tragen. Doch wie kürzlich von dem berüchtigten YouTube-Schreck „Rezo“ in einem neuen „Zerstörungsvideo“ anschaulich dargelegt wurde, riecht die Besessenheit der Journalisten und Redakteure, mit der man sich gerne an den Irrungen und Wirrungen der kleinen Leute abarbeitet, auch nach zwielichtiger Doppelmoral.
So kann man bei Verschwörungsgläubigen für gewöhnlich eine selektive Informationsauswahl und verzerrte Darstellung von Quellen und Sachlagen bemängeln, durch die sich die Anhänger immer tiefer in ihre Filterblase verirren. Zur Abschottung des Weltbilds wird auf zirkuläre Argumente zurückgegriffen, bei dem das, was erst bewiesen werden müsste, schon von vornherein festgelegt ist. Und weil sie die Welt strikt in Wissende und böse Verschwörer einteilen, gibt es auch nur das Für oder Gegen die eigene Weltanschauung, sodass sich das Denken intuitiv gegen Widerspruch immunisiert.
Das alles trifft, ohne Frage, den Kern verschwörungstheoretischer Kommunikationslogik, wodurch das Weltbild gruppenintern plausibler erscheint, als es in Wirklichkeit ist. Doch der Makel solcher diskursiven Strategien gilt nun für Verschwörungsgläubige bei weitem nicht exklusiv. Sie sind immer und überall auch dort zu finden, wo wirtschaftliche, politische oder soziale Gruppierungen sich daran machen, Weltbilder zu transportieren, deren Prämissen und Grundlagen nicht mehr offen zur Disposition stehen sollen.
Ja und strotzt die Welt nicht allerorten von Interessensvertretern und Ideologen, die der Wahrheit gerne ihren eigenen Schliff geben? Ist sie nicht geprägt durch Public-Relations-Talk und Spindoktoren, durch die sich Corporate Identities, bis weit in die Späheren von Politik und Medien hinein, zu eigenen Filterblasen aufpusten lassen? Und ist sie darüber hinaus – selbst in den heiligen Türmen der Wissenschaft – nicht angereichert mit Gläubigen verschiedener Façon?
Gegen dieses Wirrwarr wollen Medienschaffende zwar zu gerne den Selbstanspruch einer objektiven Ordnung aller relevanten Informationen setzten. Doch können sie dabei nur selbst Teil dieser Welt sein. Weil auch Medienunternehmen nur nach bestimmten redaktionellen Richtlinien, Zielgruppencharakteristika, Eigentümerinteressen oder – im Fall der Öffentlich-Rechtlichen – dem Konsensrahmen aus Intendanz und Rundfunkrat gemäß operieren können, klafft eine Lücke zwischen Selbstanspruch und Realität.
Das heißt nicht, dass in jedem Medienhaus ein Sodom und Gomorra der Desinformation wütet. Doch der Leitspruch der objektiven Information demontiert sich dort, wo selektiver, widerspruchsblinder Überzeugungseifer (Haltungsjournalismus), verzerrte Darstellungen bis hin zu dreisten Verstößen gegen Persönlichkeitsrechte vorherrschen – und das als Ausdruck guter journalistischer Schule verkauft wird.
Die breite Mehrheit, die sich im Konsensrahmen des Mainstreams noch irgendwo verorten kann, mag über derlei Schönheitsfehler unaufgeregt hinwegsehen. Immerhin verhält sich das Angebot oft genug noch passgenau zur eigenen Wahrnehmung.
Gerade dort aber, wo sich Wissenslücken, enttäuschte Ansprüche, aufsummierte Kränkungen und das intuitive Gefühl, dass hier irgendetwas nicht stimmt, zu einer handfesten Grundskepsis vermengen, da sind die Exempel medialen Fehlverhaltens Wasser auf die Mühlen der Verschwörungsgläubigen. Sie fungieren als weitere Indizien dafür, worin er sowohl richtig wie auch weit daneben liegt: Dass ihn seine Umwelt ideologisch zu täuschen gedenkt, wenn auch die konkreten Täuschungsmanöver wahnhaft phantasiert sein mögen.
Die Schuldenphobie und ihre Folgen
Nun ist bei weitem nicht jeder, der seinen Unmut über die Einschränkungen des öffentlichen Lebens in Zeiten der Corona-Krise bekundet, ein Verschwörungsgläubiger mit tiefsitzendem Grundmisstrauen. Viele der geäußerten Anschuldigungen klingen zwar verkürzt, aufgebauscht, ja mithin auch angereichert mit fiktiven Informationen. Wenn man aber bedenkt, dass durch den Lockdown viele Einkommen, Zukunftsaussichten und berufliche Existenzen alles andere als rosig aussehen, könnte man sich ebenso gut die Frage stellen, ob die Belastungsgrenzen des ein oder anderen nicht überstrapaziert sind.
Klar: Der Shutdown mag zu seiner Zeit die plausibelste aller Möglichkeiten gewesen sein. Und infolgedessen waren auch die staatlichen Hilfen nicht Nichts. Sie könnten aber – wie auf MAKROSKOP dargelegt – noch deutlich umfassender ausfallen, wenn man sich denn trauen würde, ein paar tiefsitzende Grundprämissen über staatliche Mittel und Möglichkeiten zu überdenken.
De facto geschieht das in den öffentlichen Medien jedoch kaum. In allen Talkshows von Plasberg bis Illner gab es seit Wochen keinen anderen Aufhänger als Corona, als Wirtschaftsexperten kommen aber fast nur orthodoxe Ökonomen oder Interessensvertreter aus der Industrie zu Wort. Als selbsternannte Vertreter ökonomischer Vernunft fungieren ihre dosierten Mahnworte stets als Richtlinien für Politiker jedweder Couleur (sogar jene von ganz links): Nur unter diesen Umständen kann und müsse der Staat jetzt ausnahmsweise über die Stränge schlagen. Aber nicht zu sehr, immerhin belaste all dies die zukünftigen Generationen.
Hier erweist sich die überwiegend einheitliche mediale Zusammensetzung von Thema, Frage und zulässiger Antwort als fatal. Es vergeht keine Sendung, in der nicht ein gefährliches Minenfeld heraufbeschworen wird, dass derjenige betritt, der sich zu weit auf fiskalpolitisches Terrain vorwagt. Gleichzeitig steht dem ein Virus gegenüber, der für die Breite der Bevölkerung zunehmend seinen Schrecken verliert.
So kann der Eindruck eines krassen Missverhältnisses zwischen akuter Gesundheitsgefahr und wirtschaftlichen Einbußen entstehen. Die gesundheitspolitischen Maßnahmen erscheinen übertrieben, gleichzeitig ist die staatliche Neuverschuldung im Kampf gegen die Auswirkungen der Maßnahmen „mit Blick auf die kommenden Generationen“ umso angsteinflößender. Es entsteht ein doppeltes Dilemma. Man nimmt die gesundheitliche Gefährdung lieber als den wirtschaftlichen Shutdown in Kauf, weil die Möglichkeiten des Staates, die wirtschaftlichen Folgen fiskalpolitisch abzufedern, kritisch beäugt werden.
Die Angst ist nicht unbegründet. Die Bundesregierung lässt sich für ein Konjunkturpaket feiern, dass die Einkommenssituation der gebeutelten Haushalte nur unwesentlich berühren dürfte. Zugleich wurde bereits beschlossen, die Schulden möglichst schnell zurückzahlen zu wollen. Diese von der Schuldenphobie geprägte Diskursarmut hinsichtlich wirtschaftspolitischer Handlungsoptionen geht zu Lasten von Mittelständlern, Selbstständigen und Angestellten. Sie alle trifft die Krise besonders hart. Gleichzeitig sollen sie die Gegebenheiten stoisch ertragen. Tun sie es nicht, stehen die üblichen Wortführer Spalier, die ihnen weismachen, dass es nicht anders gehe und ihr Unmut klinge wie der eines Verschwörungstheoretikers.
Die bizarren Formen an Falschinformation, die dann das Licht der Welt erblicken, kann man als gesellschaftliches Symptom deuten, das auf tiefliegende Vermittlungsprobleme aufmerksam macht. Hin und wieder bieten sie sogar Hinweise darauf, wo die blinden Flecken der eigenen Wahrnehmung liegen. Man kann anhand ihrer auch den Irrgläubigen in sich selbst erkennen.