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Leben und sterben lassen

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Ich will sterben. Nicht jetzt – irgendwann. Weil es sein muss. All jene, die sich mit einer Verewigung des Daseins auf Erden beschäftigen, die Dataisten, versetzen uns den Todesstoß – bei lebendigem Leibe. »Wenn Sie mich heute fragen, ob es möglich ist, 500 Jahre alt zu werden, so lautet die Antwort Ja!« Das sagte vor einigen Jahren Bill Maris, CEO des Investmentfonds Google Ventures. Der Mann sollte es wissen, er sitzt an der Quelle. In Mountain View, mitten im Herzen des Silicon Valley. Und dort bastelt man schon lange an der Unsterblichkeit. Peter Thiel, PayPal-Mitbegründer und Milliardär, outete sich ebenfalls als Anhänger der Unsterblichkeit. Den Tod werde er nicht akzeptieren, sondern bekämpfen. Experten glauben, dass Amortalität realistisch sei. Schon ab dem

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Roberto J. De Lapuente considers the following as important:

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Ich will sterben. Nicht jetzt – irgendwann. Weil es sein muss. All jene, die sich mit einer Verewigung des Daseins auf Erden beschäftigen, die Dataisten, versetzen uns den Todesstoß – bei lebendigem Leibe.

»Wenn Sie mich heute fragen, ob es möglich ist, 500 Jahre alt zu werden, so lautet die Antwort Ja!« Das sagte vor einigen Jahren Bill Maris, CEO des Investmentfonds Google Ventures. Der Mann sollte es wissen, er sitzt an der Quelle. In Mountain View, mitten im Herzen des Silicon Valley. Und dort bastelt man schon lange an der Unsterblichkeit. Peter Thiel, PayPal-Mitbegründer und Milliardär, outete sich ebenfalls als Anhänger der Unsterblichkeit. Den Tod werde er nicht akzeptieren, sondern bekämpfen. Experten glauben, dass Amortalität realistisch sei. Schon ab dem Jahr 2100 – wenn alles gut geht.

Die Entwicklungen in der Gentechnik, regenerativen Medizin und Nanotechnologie rechtfertigen eine solche Einschätzung. Gestützt wird diese »Hardware« durch ein neues ideologisches Konzept, die mentale »Software«, die da lautet: Dataismus. Das Erfassen aller existenten Abläufe in und um den Menschen, um sie zu Datensätzen zu verarbeiten. Die Algorithmisierung von allem was ist: Auf dieser Grundlage wird sich der neue Mensch selbst erkennen. Sich kontrollieren, ausrichten, befragen und seine Entscheidungen davon abhängig machen.

Dataismus: Religion des ewigen, kontrollierbaren, aktivierenden Lebens

Diesen neuen Menschen nennt der israelische Historiker Yuval Noah Harari »Homo Deus« – er wird uns vermutlich ablösen. Datenströme seien demnach die Religion der Zukunft. Man könne deren Entstehung heute schon gut erkennen. Das Informationszeitalter, das man vor einigen Jahren noch ausgerufen hat, war gewissenmaßen die Urzeit dieses neuen Glaubensbekenntnisses.

Geschuldet ist der Dataismus aber nicht kontrollwütigen Zuckerberg- oder Gates-Nerds. Er ist historisch geerdet und ein Produkt des Humanismus. Einer Weltvorstellung, die den Menschen in den Mittelpunkt rückte und das theozentrische Weltbild der vormodernen Menschheit ablöste. Dass der Mensch die schaffende Kraft ist, galt nun – egal ob Kommunist, Liberaler oder Faschist – als unantastbare Gewissheit. Der Humanismus ist laut Harari das längst etablierte, von allen anerkannte Grundgerüst der Weltbetrachtung. Eine Religion ohne Gott, in der sich Religion mit Gott zwar als Folklore erhalten hat, die aber auch humanistische Elemente einwob, um nicht ganz aus der Zeit gefallen zu sein.

Der Dataismus kommt nicht als Kontrollstaat über uns. Schon gar nicht als aufgestülpte Überwachungsgesellschaft. Er kommt, weil die Menschen bereitwillig mitziehen. Das tun sie, weil sie sich durch die Überwachung ihrer Gesundheit, ihrer Tagesabläufe und ihrer Verfassung ein effektiveres, kontrollierbareres, ein gesünderes und nachvollziehbareres Leben erhoffen.

Die Nanotechnologie wird in den Alltag einziehen, wir werden Körperindizes messen und die Art, wie wir denken und entscheiden, nach Zahlenwerten ausrichten. Biometrische Geräte werden uns kontrollieren, DNA-Scans zur Normalität. Wir tragen bereits heute kleine Überwacher bei uns, momentan in Form von Smartphones. Subkutane, also unter der Haut liegende, Chips werden schon als digitalisierte Wirklichkeit angeboten. Der Algorithmus wird uns besser kennen, als wir uns selbst. Und das ist der Schritt, wo wir von Homo Sapiens zum Homo Deus werden – als Menschen, wie wir sie kannten, verschwinden.

Die ersten Unsterblichen laufen schon herum

Es ist in diesem Kontext natürlich nicht möglich, Hararis über 600 Seiten umfassendes »Homo Deus. Eine Geschichte von Morgen« vollumfänglich darzulegen. Daher sei an dieser Stelle zur Lektüre dieses Werkes aufgefordert. Uns muss ein kurzer Abriss, voller Lücken und Auslassungen, zunächst genügen, um zum eigentlichen Punkt zu lenken. Dieser humanistische Dataismus nämlich, er mündet in der Unsterblichkeit. In der Forschung für ein ewiges Leben.

Wir leben in einer Zeit, in der die letzten Tage des Todes stattfinden. Meint jedenfalls der israelische Historiker und Schriftsteller. Natürlich wird man auch künftig vom Hausdach fallen und sterben können. Überfahren werden ist aber bereits schwieriger. Intelligente Fahrsysteme sollen solche Unfälle vermeiden. An Krebs oder einen Herzinfarkt stirbt der Mensch in Zukunft nicht mehr.

Das Silicon Valley, die Hohepriester des Dataismus, hat dieses Betätigungsfeld schon längst entdeckt. Hunde, wollt ihr ewig leben? Ja, das wollen sie! Hat der Humanismus noch mit Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit seine politischen Ambitionen begründet, käme er heute nicht mehr mit der Unsterblichkeit in der Parole aus. Die menschliche Gelassenheit sterben zu können, gilt als nicht mehr hinnehmbar. Der Abstieg der Religionen hat in dieser Frage ein Vakuum entstehen lassen, das jetzt Raum lässt für eine neue Glaubensrichtung.

Die Parole von der Freiheit würde aber in heutiger Zeit mindestens hinterfragbar. Denn der biometrisch überwachte Mensch: Ist der noch frei? Oder ist er nicht Sklave seiner Parameter?

Die Life Sciences machen die Generalüberholung alternder Menschen möglich. Sieches Gewebe kann regeneriert, nachlassende Organe ersetzt werden. Die Gerontologen Aubrey de Grey und Ray Kurzweil behaupten, dass längst Unsterbliche durch die Straßen ziehen, jedenfalls dort, wo Geld zu finden ist. Da gibt es also Leute, die bereits in den Genuss eines überlangen Lebens kommen werden. Genuss? Kann man es wollen, 150 Jahre alt zu werden?

The horror! The horror!

Wäre heute schon jemand so alt, wäre er 1870 geboren, noch vor der Reichsgründung. Kann jemand, der am Ende des Kaiserreichs schon 48 Jahre alt war, überhaupt mit den Zeiten gehen, die er durchschreitet? Oder bleibt er nicht gezwungenermaßen ein Fremdkörper, ein Stachel im Fleisch der Zeitenläufe?

Der Mensch ist jetzt schon älter, als es die Natur für ihn vorsieht. Wobei Harari sich ohnehin nicht ganz sicher ist, ob jeder von uns zu einem langen Leben käme. Die Reichen sicher. Aber ob sich das ewige Leben nach unten durchreichen ließe, so wie im letzten Jahrhundert auch die medizinische Versorgung sozialisiert wurde, ist nicht gewiss.

Diesen Horror, jetzt spreche ich nur für mich, möchte ich gar nicht erleben. Ich will sterben. Noch nicht heute. Morgen auch nicht. Aber irgendwann will ich es. Diese Welt hat keinen Platz für Wesen, die nicht mehr abtreten wollen. Das ist meine feste Überzeugung. Es ist ein vergänglicher Kreislauf, den zu durchbrechen nichts Göttliches hat, sondern etwas Anmaßendes, das nur in einer Katastrophe münden kann. Ich finde, wer meint, nie abtreten zu wollen, bei dem muss man nachhelfen. Denn er stellt eine Gefahr dar.

Natürlich wären wir dann keine Menschen im eigentlichen Sinne mehr. Wir stammten von ihnen ab, von diesen nicht perfekten, irrationalen, mit Ängsten belasteten Primaten, die einer ständigen Furcht vor dem Ende ihrer Existenz ausgeliefert waren – und die diese Furcht in fast allen Facetten ihres irdischen Daseins verarbeitet haben. Die halbe Kunstwelt wimmelt von der Verarbeitung der menschlichen Todeserfahrung. Der nächste Typus Mensch wäre davon befreit. Lax gesagt, er wäre insofern auch ein langweiliger Humanoider.

Meine Meinung mag ein bisschen altbacken, ja vielleicht auch ein wenig zu altkatholisch klingen. Kein Wunder, meine Sozialisation ist nun mal eine katholische. Aber ist es falsch, die Vergänglichkeit als solche zu akzeptieren? Für mich eigentlich der einzige Weg, den die Menschheit gehen kann. Tut sie es nicht, verewigt sie sich in einer Hölle. Und wenn ich dann mal sterbe, werden meine letzten Worte die des Colonel Kurtz aus ››Apocalypse Now‹‹ sein. Als Ausruf der Erleichterung, diesen Horror endlich hinter mich lassen zu dürfen.

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