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Schritt hin zu einer immer engeren Union?

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Der EU-Gipfel habe gezeigt, dass die „Magie des europäischen Projekts lebe“, meint Ratspräsident Charles Michel. Eine eigenwillige Interpretation der Ergebnisse des Europäischen Geschacheres der letzten Tage. Nach langem und zähen Ringen um die Modalitäten des sogenannten Wiederaufbaufonds in Höhe von 750 Milliarden steht ein Ergebnis, dessen politische Bewertungen kaum unterschiedlicher ausfallen könnten. Der französische Präsident Emmanuel Macron z.B. zögert nicht, von „einem historischen Tag für Europa“ zu sprechen. Vielen Europaabgeordneten dürfte aber der CSU-Politiker Markus Felber aus der Seele sprechen, wenn er das Verhandlungsergebnis als ein „Sammelsurium nationaler Egoismen“ kritisiert. Interessant ist an diesem Dissens, dass er auf einer geteilten

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Der EU-Gipfel habe gezeigt, dass die „Magie des europäischen Projekts lebe“, meint Ratspräsident Charles Michel. Eine eigenwillige Interpretation der Ergebnisse des Europäischen Geschacheres der letzten Tage.

Nach langem und zähen Ringen um die Modalitäten des sogenannten Wiederaufbaufonds in Höhe von 750 Milliarden steht ein Ergebnis, dessen politische Bewertungen kaum unterschiedlicher ausfallen könnten. Der französische Präsident Emmanuel Macron z.B. zögert nicht, von „einem historischen Tag für Europa“ zu sprechen. Vielen Europaabgeordneten dürfte aber der CSU-Politiker Markus Felber aus der Seele sprechen, wenn er das Verhandlungsergebnis als ein „Sammelsurium nationaler Egoismen“ kritisiert.

Interessant ist an diesem Dissens, dass er auf einer geteilten normativen Basis erfolgt, die in der Präambel der EU-Grundrechtscharta wie folgt ausgedrückt wird:

„Die Völker Europas sind entschlossen, auf der Grundlage gemeinsamer Werte eine friedliche Zukunft zu teilen, indem sie sich zu einer immer engeren Union verbinden.“

Die Frage also ist, ob die Befürworter einer „immer engeren Union“ das Verhandlungsergebnis als Grund zum Feiern oder Trauern interpretieren sollten.

Prima facie scheint man Macrons Einschätzung teilen zu müssen. Der EU sind nun Hoheitsrechte zuerkannt worden, die die EU-Kommission als Regierung eines souveränen Staats erscheinen lassen. Denn der EU ist zugestanden worden, sich zur Refinanzierung von Ausgaben unter ihrer Kontrolle am Kapitalmarkt verschulden und gleichzeitig Steuern erheben zu dürfen.

Einen Paradigmenwechsel sehen auch die Kritiker des Wiederaufbaufonds. Josef Joffe z.B. hatte den Plan mit den Worten „Geld für lau, keine Haftung“ charakterisiert und die „Umverteilung von Nord nach Süd“ kritisiert, weil sie zu „Fehlanreizen“ führe. Nun ist nicht zu bestreiten, dass der Plan zu Finanztransfers führen wird. Denn die der EU zugestandenen Steuereinkünfte sind so minimal, dass die Rückzahlung vorrangig aus den Beiträgen der Mitgliedsländer zum EU-Haushalt bestritten werden müssen.

Diese Kritik sollte weiteres Wasser auf den Mühlen derjenigen sein, die die Finalität der EU in den Vereinigten Staaten von Europa sehen. Denn ein solcher Bundesstaat wird unzweifelhaft auch eine Transferunion sein müssen. Es ist also nicht vollkommen aus der Luft gegriffen, wenn Olaf Scholz den Wiederaufbaufond als einen Hamilton-Moment für Europa feirte. Allerdings, sobald man den historischen Kontext in den Blick bekommt und sich die Details des „Deals“ etwas näher betrachtet, erscheint seine Begeisterung reichlich übertrieben.

Zunächst einmal hat Covid-19 historisch nur mit Kriegen oder Naturkatastrophen vergleichbare ökonomische Auswirkungen. Vor diesem Hintergrund ist eine Einigung, die die EU lediglich ermächtigt, einmalig Anleihen in Höhe von 750 Milliarden auszugeben, tatsächlich ziemlich lau. Vor allem dann, wenn man bedenkt, dass davon nun nur 390 Milliarden in Form von Zuschüssen bezahlt werden sollen. Denn welche „Hilfe“ für besonders von der Corona-Epidemie besonders betroffene Länder ist es, einen Kredit von der EU zu erhalten, der mit Auflagen verbunden ist, wenn es aufgrund der Anleihekäufe durch die EZB das Geld ganz ohne Auflagen zu bekommen ist?

Vollkommen verblüfft ist man vor diesem Hintergrund, wie der italienische Ministerpräsident Guiseppe Conte sich mit dem Verhandlungsergebnis sehr zufrieden zeigen konnte. Der Verblüffung folgt das Entsetzen. Er freut sich sogar nun Geld zu haben, das er für „Strukturreformen“ ausgeben könne. Weiß er möglicherweise nicht, dass das Strukturproblem Italiens die Unterbewertungsstrategie der Länder ist, die sich nun als Helfer aufspielen? Oder weiß er vielleicht, dass die EZB den Geldhahn bald wieder zudrehen wird und die fiskalischen Regeln der Eurozone wieder in Geltung gesetzt werden.

Nun kann man die Hoffnung hegen, dass man mit dem Wiederaufbaufonds einen Präzedenzfall für die Verschuldungsfähigkeit der EU geschaffen wurde. Diese Hoffnung dürfte trügen.

Denn man hat sich die Zustimmung der inzwischen „Sparsamen Fünf “ (Niederlande, Österreich, Schweden, Dänemark und Finnland) teuer erkauft. Während grundsätzlich gilt, dass alle EU-Länder den EU-Haushalt entsprechend ihrem Bruttonationaleinkommen finanzieren, wurden einigen Ländern Rabatte eingeräumt. Um sich die Zustimmung der genannten Länder zu erkaufen, mussten diesen Ländern nun höhere Rabatte eingeräumt werden. Nun hat jedes Rabattsystem eine natürliche Grenze. Wie will man dann aber die Geberländer motivieren, zu einem Nachfolgefonds ihre Zustimmung zu geben?

Sicher, der Wiederaufbaufond ist sehr viel weniger ein Instrument, das den Vorgaben und der Kontrolle durch die „Geberländer“ unterworfen ist, wie der Europäische Stabilitätsmechanismus. Das sollte überzeugte Europäer freuen. Was sie dagegen ärgern wird, ist, dass dem Verwendungszweck der Gelder noch immer von einer qualifizierten Mehrheit aller Mitgliedsländer zugestimmt werden muss.

All diese Details sollten allerdings nicht davon abhalten zu erkennen, dass der Wiederaufbaufonds nicht mehr als ein Europäischer Trostpreis ist. Denn, was zunächst einmal wie ein Trippelschrittchen hin zu einer fiskalpolitischen Kompetenz der EU aussehen mag, erweist sich bei näherem Hinsehen als eine Schimäre. Solange die EU über keine oder nur geringe eigene Steuereinnahmen verfügt, bleibt sie vollständig von der Finanzierung durch ihre Mitgliedsstaaten abhängig.

Ein Schritt hin zu einer Fiskalunion wären dagegen Eurobonds gewesen., die u.a. von Frankreich und Italien gefordert wurden. Merkel hatte erkannt, dass eine strikte Ablehnung dieser Vorschläge die EU an den Rand einer wirklichen Existenzkrise geführt hätte. Sie war daher bereit, in Form des Wiederaufbaufonds einen Preis zu bezahlen. Macron dürfte daher, wenn er auf eine weitere fiskalische Integration drängt, schon bald feststellen, dass Angela dann nicht mehr auf seiner Seite steht.

Die skeptische Beurteilung der überzeugten Europäer über das Verhandlungsergebnis ist also vollumfänglich gerechtfertigt. Wie schon bei der Finanzkrise 2007/2008 versucht man eine Blutung mit einem winzigen Pflaster zu stillen, wo es eigentlich eines Druckverbandes bedurfte. Aber wenn die gegenwärtige Krise das Integrationsprojekt nicht nach vorne bringt, was dann?

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