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Ein wunder Punkt der MMT?

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Paul Steinhardt kritisiert die von der „Modern Monetary Theory“ vorgenommene Konsolidierung von Zentralbank und Finanzministerium zu einem Staatssektor. Die Argumente der MMT für eine Vorrangstellung des Staatsgeldes seien nicht stichhaltig. Eine Replik. Paul Steinhardt hat kürzlich eine Diskussion über die „Modern Monetary Theory“ (MMT) angestoßen. Offenkundig handelt es sich dabei um eine „friendly critique“, denn der Kritiker steht selbst der MMT nahe, ohne indes alle ihre Positionen zu teilen. Eine solche Debatte ist uneingeschränkt zu begrüßen, denn natürlich sind Theorien nie ein „sicherer Boden“, sondern müssen immer wieder geprüft und, wenn erforderlich, weiterentwickelt werden. Dirk Ehnts und indirekt auch Maurice Höfgen haben in der vorletzten Woche

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Paul Steinhardt kritisiert die von der „Modern Monetary Theory“ vorgenommene Konsolidierung von Zentralbank und Finanzministerium zu einem Staatssektor. Die Argumente der MMT für eine Vorrangstellung des Staatsgeldes seien nicht stichhaltig. Eine Replik.

Paul Steinhardt hat kürzlich eine Diskussion über die „Modern Monetary Theory“ (MMT) angestoßen. Offenkundig handelt es sich dabei um eine „friendly critique“, denn der Kritiker steht selbst der MMT nahe, ohne indes alle ihre Positionen zu teilen. Eine solche Debatte ist uneingeschränkt zu begrüßen, denn natürlich sind Theorien nie ein „sicherer Boden“, sondern müssen immer wieder geprüft und, wenn erforderlich, weiterentwickelt werden.

Dirk Ehnts und indirekt auch Maurice Höfgen haben in der vorletzten Woche bereits auf die Kritik Steinhardts reagiert. Kurz angesprochen werden dabei von Ehnts auch die Einwände Steinhardts gegen die Konsolidierung von Zentralbank und Finanzministerium zu einem Staatssektor in der MMT. Zum besseren Verständnis der Diskussion ist es aber sinnvoll, noch einmal ausführlicher auf diesen Kritikpunkt einzugehen, der für Steinhardt der wichtigste zu sein scheint.

Worum geht es?

Paul Steinhardt schließt sich der Kritik Norbert Härings an, dass die genannte, von der MMT vorgenommene Konsolidierung nicht der empirischen Realität entspreche. Häring habe hier einen „wunden Punkt der MMT“ getroffen. Sinnvoller sei es – so Steinhardt –, stattdessen Zentralbanken und Geschäftsbanken als „Geldproduzenten“ unter einer Kategorie zusammenzufassen. Denn es sei klar, dass auch Geschäftsbanken Geldproduzenten seien.

Letzteres bestreitet die MMT nicht, hebt aber einen wichtigen Unterschied hervor: Die Zentralbank besitzt das Monopol auf die Schaffung von Zentralbankgeld (Bargeld sowie Einlagen bei der Zentralbank, die auch als „Reserven“ bezeichnet werden), während die Geschäftsbanken bei der Kreditvergabe Giralgeld (Geschäftsbankengeld) schaffen. Moderne Geldsysteme sind mithin zweistufig aufgebaut (duale Geldhierarchie), wobei das Zentralbankgeld auf der höheren hierarchischen Stufe steht.

Die MMT sieht in Bankguthaben ein Versprechen des Bankensektors, auf Wunsch Bargeld zu liefern, also das Giralgeld jederzeit in Bargeld umzuwandeln. Dabei ist er natürlich auf die Zentralbank angewiesen, die sicherstellt, dass die Banken diese Konvertierung durchführen können.

Zudem wird normalerweise nur die eigene Währung des Staates in Form von Reserven bei der Entrichtung von Steuern akzeptiert, d.h. Steuern werden letztendlich mit Reserven gezahlt (eine Transaktion, die von den Banken durchgeführt wird, die bei der Zentralbank Konten – sogenannte Reservekonten – führen).

Und schließlich benötigen Banken Reserven für den Zahlungsausgleich untereinander, darüber hinaus aber auch zur Erfüllung ihrer Mindestreservepflicht, zum Tausch gegen benötigte Devisen, zur Bedienung und Rückzahlung von Krediten anderer Banken oder der Zentralbank sowie zum Kauf von Staatsanleihen vom Staat.

Diese Punkte lässt wiederum Paul Steinhardt nicht gelten, denn erstens finde der Zahlungsverkehr mittlerweile großenteils bargeldlos statt und niemand denke mehr über die Konvertierbarkeit des Giralgeldes in Bargeld nach. Zweitens wisse der normale Geldnutzer überhaupt nicht, dass die Banken in seinem Auftrag seine Steuern in Zentralbankgeld entrichteten. Und drittens spiele Zentralbankgeld heutzutage beim Zahlungsausgleich der Banken nur noch „eine ganz geringe Rolle“. Eine Vorrangstellung des Zentralbankgeldes lasse sich demnach – anders als die MMT glaube – nicht begründen.

Konsolidierung von Zentralbank und Finanzministerium

Es ist richtig, dass ein konsolidierter Staat (bestehend aus einem Finanzministerium und einer Zentralbank) gegenwärtig nicht mehr existiert, wenngleich er keineswegs ein untypisches Modell zur Zeit der Entstehung der meisten modernen Staaten war und es auch heute noch eine ganze Reihe von Ländern ohne eine klare Trennung der Verantwortlichkeiten zwischen der Zentralbank und dem Finanzministerium gibt.

Aber darum geht es bei der von der MMT vorgenommenen Konsolidierung gar nicht: Diese beansprucht nämlich nicht etwa, die gegenwärtigen institutionellen Regelungen zu beschreiben. Vielmehr handelt es sich um eine theoretische Vereinfachung, die hilft, die Kausalzusammenhänge in einem modernen Geldsystem offenzulegen. Dazu wird der Staatssektor zu einer Einheit – mit der Zentralbank und dem Finanzministerium – zusammengefasst, die die Währung emittiert. Selbst auferlegte institutionelle und politische Beschränkungen für die Zentralbank und das Finanzministerium bleiben zunächst ausgeblendet, was aus drei Gründen sinnvoll ist:

Erstens zeigt sich, wenn man die Bilanzen vergleicht, letztendlich das gleiche Ergebnis bei Konsolidierung und bei Dekonsolidierung, es ist also unabhängig von den institutionellen Rahmenbedingungen. Randall Wray illustriert dies sehr anschaulich, indem er mit einem konsolidierten Staatssektor beginnt und sich dann Schritt für Schritt – unter Einbeziehung der verschiedenen institutionellen und politischen Beschränkungen – den Verhältnissen in der „realen Welt“ annähert.[1]

Es ist etwas verwunderlich, dass Steinhardt dies nicht sieht, weist er doch in seinem Buch selbst darauf hin, dass man bei einer vereinfachten Darstellung, in der Finanzministerium und Zentralbank als Organisationen des Staates eine Einheit bilden, und bei einer realitätsnahen Darstellung (mit der „Refinanzierung“ des Finanzministeriums durch die Ausgabe von Anleihen) zum gleichen Ergebnis gelangt.[2]

Zweitens sind die Auswirkungen der Ausgaben, der Steuern und der Anleiheemissionen des Finanzministeriums auf die Zinssätze und das Volkseinkommen gleich, ob man nun eine Konsolidierung vornimmt oder nicht.[3]

Und drittens ist die Unabhängigkeit der Zentralbank vom Finanzministerium ein Mythos: In Wahrheit müssen Finanzministerium und Zentralbank zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass die Fiskal- und die Geldpolitik richtig funktionieren. Dabei ist die Zentralbank in fiskalische Operationen involviert und das Finanzministerium umgekehrt in geldpolitische. Die Operationen der Zentralbank zum Liquiditätsmanagement respektive zur Zinssatzsteuerung (um ihren Ziel-Interbankenzins zu erreichen) sind größtenteils akkommodierend, da sie nicht nur auf den Bedarf der privaten Banken, sondern auch auf die vom Finanzministerium ergriffenen Maßnahmen reagieren.

Das erfordert eine enge Koordination mit dem Finanzministerium. Nur in einer solchen Kooperation lässt sich etwa die wahrscheinliche tägliche Entwicklung von Ausgaben und Steuern und der notwendige Umfang der Zentralbankinterventionen zur Aufrechterhaltung der angemessenen Höhe an Reserven abschätzen.

Doch das ist bei weitem nicht alles. Eric Tymoigne zeigt anhand vieler US-Beispiele aus der Vergangenheit und der Gegenwart, wie und warum die Zentralbank und das Finanzministerium ihre monetären und fiskalischen Operationen koordinieren (müssen), das Finanzministerium die Zentralbank in der Durchführung der Geldpolitik unterstützt und die Finanzierung des Finanzministeriums stets – in direkter oder indirekter Weise – durch die Zentralbank erfolgen muss[4].

Die Konsolidierung der Zentralbank – als des Zweiges des Staates, der die Währung emittiert – und des Finanzministeriums – als des Zweiges, der für die Ausgaben und die Besteuerung zuständig ist – zu einem Staatssektor ermöglicht ein besseres Verständnis, wie Netto-Geldvermögen in den nichtstaatlichen Sektor gelangen und diesen wieder verlassen kann – ohne dass die Analyse übermäßig verkompliziert wird. Nur nebenbei sei hier erwähnt, dass auch eine ganze Reihe von Autoren außerhalb der MMT diese Konsolidierung als ein nützliches Vorgehen ansieht.[5]

Vertikale und horizontale Transaktionen

Die Konsolidierung ist aber auch deshalb sinnvoll, weil sich Zentralbank und Finanzministerium beide in Kooperation an sogenannten vertikalen Transaktionen beteiligen, die allein Netto-Geldvermögen im nichtstaatlichen Sektor schaffen oder „vernichten“ können: Es sind die Transaktionen zwischen dem konsolidierten Staatssektor und dem nichtstaatlichen Sektor, die das Niveau des vom nichtstaatlichen Sektor gehaltenen Netto-Geldvermögens bestimmen.

Als Netto-Geldvermögen wird dabei die Differenz aus monetären Forderungen und monetären Verbindlichkeiten bezeichnet. Alle finanziellen Transaktionen zwischen den wirtschaftlichen Akteuren innerhalb des nichtstaatlichen Sektors addieren sich zu Null. Man nennt diese auch horizontale Transaktionen, die nicht den Netto-Geldvermögensbestand des nichtstaatlichen Sektors verändern. Denn jede Forderung eines Wirtschaftssubjekts stellt hier gleichzeitig eine Verbindlichkeit eines anderen Wirtschaftssubjekts dar. Aggregiert über alle Wirtschaftssubjekte heben sich alle Forderungen und Verbindlichkeiten gegeneinander auf. Vergibt beispielsweise eine Bank einen Kredit, schafft sie eine Einlage, die der Kreditnehmer verwenden kann, um gewünschte Ausgaben zu finanzieren. Der Kredit stellt für die Bank eine Forderung dar und für den Kreditnehmer eine gleich hohe Verbindlichkeit. Für den nichtstaatlichen Sektor als Ganzes ergibt sich daraus kein Nettogewinn an Geldvermögen.

Damit der nichtstaatliche Sektor Netto-Geldvermögen ansammeln oder umgekehrt verlieren kann, muss es eine Geldvermögensquelle außerhalb des nichtstaatlichen Sektors geben – und das kann nur der konsolidierte Staatssektor sein.

Etwas genauer: Alle Geschäftsbanken in einem Land führen bei der für sie zuständigen Zentralbank Konten, auch Reservekonten genannt, auf denen sie Einlagen halten und über die sie Überweisungen untereinander abwickeln. Nimmt jetzt das Finanzministerium des Landes Ausgaben vor, weist es die Zentralbank an, eine Gutschrift auf das Reservekonto der Bank des Empfängers vorzunehmen, die dann entsprechend eine Gutschrift auf dem Bankkonto des Empfängers selbst bucht.

Die genannten vertikalen Transaktionen zwischen dem staatlichen und dem nichtstaatlichen Sektor schaffen oder vernichten jetzt Bankreserven[6] oder Netto-Geldvermögen: Wenn der Staat ein Haushaltsdefizit verzeichnet (die Ausgaben also höher als die Steuereinnahmen sind), nehmen die Bankreserven netto zu resp. steigt das Netto-Geldvermögen im nichtstaatlichen Sektor. Umgekehrt schrumpfen die Bankreserven netto bzw. wird das Netto-Geldvermögen im nichtstaatlichen Sektor verringert, wenn der Staat einen Haushaltsüberschuss aufweist (die Ausgaben also geringer als die Steuereinnahmen sind).

Die beiden Zweige des Staatssektors, also Finanzministerium und Zentralbank, die in der Realität auf täglicher Basis eng zusammenarbeiten, haben mit ihren Aktivitäten Auswirkungen sowohl auf den kumulierten Geldvermögensbestand im nichtstaatlichen Sektor als auch auf die Zusammensetzung dieses Bestandes.

Entstehung und Zusammensetzung des nicht-staatlichen Netto-Geldvermögens

Die Budgetdefizite bestimmten den kumulierten Geldvermögensbestand im Privatsektor, da sie anfänglich die Bankreserven in gleichem Umfang erhöhen (die Ausgaben des Finanzministeriums führen zu einer gleichzeitigen Gutschrift auf das Bankkonto des Empfängers und auf das Reservekonto von dessen Bank bei der Zentralbank). Die Entscheidungen der Zentralbank determinieren dann die Aufteilung dieses Bestandes in Form von Bargeld (Banknoten und Münzen), Bankreserven und Staatsanleihen. Das Netto-Geldvermögen des nichtstaatlichen Sektors setzt sich mithin aus der Geldbasis[7] sowie den ausstehenden Staatsanleihen zusammen.

Die meisten Zentralbankoperationen führen lediglich zu einer Verschiebung des nichtstaatlichen Geldvermögens zwischen Bankreserven und Staatsanleihen – an sich ist die Zentralbank nicht an der Änderung des Netto-Geldvermögens beteiligt.

Es gibt einige Ausnahmen, beispielsweise, wenn die Zentralbank Devisen kauft und verkauft oder wenn sie direkt Waren und Dienstleistungen vom nichtstaatlichen Sektor erwirbt, etwa Bürobedarfsartikel oder IT-Ausrüstung. Die zuletzt genannten Käufe, die insgesamt keine große Rolle spielen, unterscheiden sich im Prinzip nicht von den Käufen von Waren und Dienstleistungen vom nichtstaatlichen Sektor, die das Finanzministerium vornimmt.

Wohl kaum jemand wird hier ernsthaft annehmen, dass die Zentralbank als Emittentin der Währung zunächst Steuereinnahmen benötigt oder Kredite vom nichtstaatlichen Sektor aufnehmen muss, um anschließend ihre „Ausgaben“ tätigen zu können. Was für die Zentralbank gilt, trifft genauso für das Finanzministerium zu, das ebenfalls seine Ausgaben nicht durch Steuern oder Kreditaufnahme beim privaten Sektor zu finanzieren braucht (obgleich dies aufgrund der vielfältigen institutionellen Regelungen und Beschränkungen so erscheinen mag).

Beide bilden hier eine Einheit, und zwar die einzige Einheit, die dem nichtstaatlichen Sektor Netto-Geldvermögen verschaffen kann.

Der Staatssektor (Finanzministerium und Zentralbank) speist die Währung – in Form von Reserven und Bargeld – in die Volkswirtschaft ein, wobei die Währung vom Finanzministerium durch dessen Ausgaben und von der Zentralbank zumeist durch Verleihen zur Entstehung und in Umlauf gebracht wird. Erst nach dieser „Währungsinjektion“ durch den Staatssektor können Steuern erhoben oder Anleihen verkauft werden, denn in allen modernen Volkswirtschaften wird (fast) nur die eigene Währung des Staates bei der Zahlung von Steuern und beim Erwerb von Staatsanleihen, die der Staat verkauft, akzeptiert.

Keine Vorrangstellung des Staatsgeldes?

Paul Steinhardt hält die Vorstellung, dass die allgemeine Akzeptanz des Giralgeldes auch darauf beruht, dass es zu jeder Zeit wieder in Bargeld umgewandelt werden kann, für abwegig. Darüber denke kein Geldnutzer nach, vielmehr werde von ihm Giralgeld gewohnheitsmäßig ohne weitere Überlegungen verwendet, einfach, weil das problemlos funktioniere.

Das stimmt zwar, aber unser Geldnutzer käme andererseits schon ins Grübeln, wenn er das Giralgeld auf seinem Bankkonto am Geldautomaten oder am Bankschalter in Bargeld, also Zentralbankgeld, umwandeln wollte und seine Bank ihm mitteilen würde, dass dies leider nicht mehr möglich sei.

Man sollte also nicht vergessen, dass das den Geschäftsbanken vom Staat eingeräumte Geldschöpfungsprivileg zur Produktion von bankeigenem Giralgeld an die Verpflichtung geknüpft ist, den Girokontoinhabern jederzeit die Abhebung ihrer Bankguthaben in Form von Bargeld zu ermöglichen. Auf diese Weise verschafft der Staat dem privaten Giralgeld der Geschäftsbanken erst die Eignung als allgemeines Zahlungsmittel – in der Denominierung des staatlichen Geldes.[8]

Richtig ist, dass die Akzeptanz des Giralgeldes so lange kein Problem ist, wie die Volkswirtschaft relativ störungsfrei läuft. Treten aber Störungen auf, etwa, wenn einzelne Banken oder das Bankensystem insgesamt von krisenhaften Entwicklungen betroffen sind – wie beispielsweise in den Jahren nach 2007 –, ändert sich das Bild mitunter sehr: Bei Turbulenzen im Finanzsektor, also zum Beispiel drohenden Bankenpleiten, kann es selbst bei bestehender Einlagensicherung zu einem Bank-Run, also einem Ansturm von Kunden auf die betroffenen Banken, oder zu einem Run auf das gesamte Bankensystem kommen, bei denen die Kunden versuchen, ihr Geld in Form von Bargeld abzuheben.[9]

In solchen Phasen zeigt sich dann sehr deutlich, dass Zentralbankgeld (hier in der Gestalt von Bargeld) und Geschäftsbankengeld eben doch nicht gleichwertig sind, sondern dem Zentralbankgeld eine Vorrangstellung zukommt.

Nur die Zentralbank ist bei einem Bank-Run dazu in der Lage, als „Lender of Last Resort“ zu agieren und den Banken zusätzliches Zentralbankgeld bereitzustellen, um so die Gefahr einer massenhaften Bankenpleite und damit letztlich einer Zerrüttung der Ökonomie abzuwenden. Denn eine Zentralbank kann – anders als eine Geschäftsbank – nie in ihrer eigenen Währung zahlungsunfähig werden.[10]

Bank-Runs müssen nicht immer dramatische Ausmaße annehmen: Als „begrenzten gesamtwirtschaftlichen Run“ (Ulrich Bindseil) kann man etwa die Situation Ende 2008 – nach der Pleite von Lehman Brothers – charakterisieren, als die Wachstumsrate der Banknotennachfrage in vielen Industrieländern Spitzenwerte erreichte.[11]

Nun ließe sich argumentieren, dass die Vorrangstellung des Bargeldes (als eines Bestandteils des Zentralbankgeldes) gegenüber dem Giralgeld schon in nicht allzu ferner Zukunft ein Ende finden könnte – nämlich dann, wenn es zur weitgehenden oder gar vollständigen Abschaffung des Bargeldes käme.

Doch diese Einschätzung wird sich wahrscheinlich als falsch erweisen. Denn immer mehr Zentralbanken – nach Angaben der „Bank für internationalen Zahlungsausgleich“ gegenwärtig rund 80 Prozent der von ihr befragten Zentralbanken – sind gegenwärtig mit der Arbeit an einer eigenen digitalen Zentralbankwährung, einer sogenannten „Central Bank Digital Currency“ (CBDC), befasst. Bei einer CBDC handelt es sich – etwas vereinfacht ausgedrückt – um ein digitalisiertes Bargeld, das von der EZB als „eine Verbindlichkeit der Zentralbank, die den individuellen Bürgern in digitaler Form verfügbar gemacht wird“[12], erklärt wird. Die CBDC wäre folglich zusätzlich zu physischem Bargeld und Reserven eine neue, dritte Form von Zentralbankgeld.

Wie genau das CBDC-System ausgestaltet sein wird – ob etwa die Zentralbank CBDC direkt (also ohne den Umweg über die Banken) oder mit den Banken als Mittler an die Kunden ausgibt – ist noch offen, wenngleich vieles für die zweite Variante spricht. Interessant ist in unserem Zusammenhang aber, dass vielfach die Befürchtung geäußert wird, eine digitale Zentralbankwährung könnte bei Anspannungen oder Krisen im Finanzsektor die Gefahr eines Bank-Run deutlich verstärken.[13] Denn CBDCs eröffneten Anlegern in solchen Situationen die Möglichkeit, ihre Einlagen bei Banken ganz schnell und ohne großen Aufwand in absolut sicheres Zentralbankgeld umzutauschen. In wenigen Sekunden könnten sie von zu Haus aus durch digitales Verschieben von dem einen ins andere Konto ihr Geld bei der Zentralbank in Sicherheit bringen, ohne sich um die mit der Aufbewahrung physischen Bargeldes verbundenen Risiken und Kosten Gedanken machen zu brauchen.

Auf die Frage, wie sich dieses Problem (zusammen mit anderen Problemen) entschärfen ließe, kann hier nicht eingegangen werden.[14] Wichtig ist hier nur, dass sich allein an der (berechtigten) Sorge um eine Beschleunigung und Verschärfung von Bank-Runs in Krisensituationen bei Einführung einer CBDC ablesen lässt, dass Zentralbankgeld (nun in der Form von CBDC) und Geschäftsbankengeld eben nicht auf der gleichen hierarchischen Stufe angesiedelt sind.

Steuerzahlungen

Paul Steinhardt meint, dass die „normalen“ Steuerzahler in der Regel nicht wissen und auch nicht wissen müssen, dass private Banken zwischen ihnen und dem Staat vermitteln, indem sie Steuerzahlungen in der Währung des Staates (in Reserven) quasi im Auftrag der Steuerzahler durchführen. Außerdem sei es unwahrscheinlich, dass die Begleichung der Steuerschulden eines Steuerpflichtigen daran scheitere, dass die beteiligte Geschäftsbank nicht an die erforderlichen Reserven herankomme.

Das ist beides richtig, ändert aber nicht das Mindeste an der Tatsache, dass Banken zwingend auf den Zugang zu Reserven angewiesen sind, denn ihre eigenen Bankeinlagen können nicht als Mittel zur Steuerzahlung benutzt werden.

Und davon unberührt bleibt vor allem die Tatsache, dass eine moderne Geldwirtschaft nur funktionieren kann, wenn das in ihr verwendete Geld bei den Bürgern Akzeptanz findet. Das von den Geschäftsbanken geschaffene Giralgeld allein kann aber eine solche allgemeine Akzeptanz nicht herstellen – es wird erst und nur dann akzeptiert und seine Zahlungsmitteleignung gesichert, wenn (und solange) die Währung des Staates etabliert ist.[15]

Dazu bedarf es eines souveränen Staates, der ein Rechengeld (money of account) wählt – Dollar, Yen, Pfund Sterling etc. –, Steuerpflichten in diesem Rechengeld auferlegt, Währung in dem Rechengeld emittiert und seine eigene Währung bei den Steuerzahlungen akzeptiert.[16] Die Bürger akzeptieren dann die Währung, weil sie diese benötigen, um Steuern zahlen zu können.[17] Daraus folgt dann logischerweise – wie oben bereits erwähnt –, dass der Staat zuerst die Währung emittieren muss, bevor Steuern entrichtet werden können.

Zahlungsausgleich

Steinhardt gesteht zwar zu, dass eine Bank für den Zahlungsausgleich mit anderen Banken Reserven, also Zentralbankgeld, benötigen kann. Seiner Meinung nach spielt jedoch „Zentralbankgeld unter heutigen Bedingungen dabei nur noch eine ganz geringe Rolle.“

Rein quantitativ betrachtet ist dies insofern korrekt, als Reserven nur dann erforderlich sind, wenn beim Zahlungsverkehr zwischen den Banken negative respektive positive Salden entstehen, wenn also über einen bestimmten Zeitraum eine Bank in der Summe mehr an Überweisungen an eine andere Bank vornimmt als die andere in umgekehrter Richtung.

Technisch läuft dies über das Verrechnungssystem der jeweiligen Zentralbank (im sogenannten „Real-Time Gross Settlement“) so ab, dass jede Überweisung unmittelbar nach der Anweisung vorgenommen wird. Verfügt eine Bank nicht über hinreichende Reserven auf ihrem Zentralbankkonto, kann sie einen mit notenbankfähigen Sicherheiten zu unterlegenden Innertageskredit in Reserven bei der Zentralbank aufnehmen, der am Ende des Geschäftstages wiederum in Form von Reserven zurückzuzahlen ist. Die Zentralbank agiert hierbei als Clearinghaus, das die Forderungen und Verbindlichkeiten der Banken saldiert und abrechnet.

Auf diese Weise können alle Überweisungen zu jeder Zeit durchgeführt werden und am Ende des Tages braucht nur der Saldo mit der Zentralbank ausgeglichen zu werden: Bei einem positiven Saldo werden einer Bank in entsprechender Höhe zusätzliche Reserven gutgeschrieben, bei einem negativen Saldo wird ein entsprechender Betrag abgezogen.[18] Ohne das Verrechnungssystem der Zentralbank wäre ein aufwendiger Ausgleich aller bilateralen Salden der Banken durch direkte Überweisungen von Reserven erforderlich.

Es ist jedoch problematisch, aus der gegenseitigen Auf- und Verrechnung von Forderungen und Verbindlichkeiten und dem daraus resultierenden geringeren Bedarf an Zentralbankgeld zu schließen, dass dem Zentralbankgeld keine Vorrangstellung (mehr) gegenüber dem Geschäftsbankengeld zukommt.

Ebenso wenig lässt sich diese Schlussfolgerung aus der Tatsache ableiten, dass sich die Banken wechselseitig Kredite gewähren, um den unmittelbaren Transfer von Reserven zum Zweck des Zahlungsausgleichs zu umgehen. Dazu gehört beispielsweise die Festlegung eines gegenseitigen Kreditrahmens, innerhalb dessen quasi eine automatische Kreditgewährung zum Interbankenzins stattfindet. Denn letztendlich wird hier der Zahlungsausgleich nur in die Zukunft verschoben, aber nicht aufgehoben. Die kreditnehmende Bank muss immer noch Reserven an die kreditgebende Bank zahlen, aber erst zu einem zukünftigen Zeitpunkt bei Fälligkeit des Kredits.

Das heißt: Selbstverständlich können die Clearingsalden, die aus der Aufrechnung der tagtäglich zwischen den Banken stattfindenden Kundenüberweisungen resultieren, auch durch gegenseitige Kreditlimite am Interbankenmarkt gestundet werden. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass die ultimative Form des Zahlungsausgleichs der Banken untereinander der Reserventransfer bei der Zentralbank bleibt.[19]

Interessanterweise zeigt sich die Sonderstellung des Zentralbankgeldes – ähnlich wie bei dem oben erwähnten Run auf Bargeld – besonders klar bei krisenhaften Störungen, wie Wolfgang Edelmüller völlig zu Recht schreibt. So sei einer von drei Wegen zur Regulierung des Zahlungsausgleichs die

„(w)echselseitige Stundung der Clearingsalden durch Interbankenlimite gegen Besicherung und Verzinsung, sodass ein Zahlungsausgleich durch Reserveübertrag […] erst bei Limitüberschreitung, -reduktion oder -streichung erfolgt, wodurch der Aufbau hoher, reservefreier Liquiditätsspielräume ermöglicht wird. Letzteres löst dann bei schockartigen Geldmarktstörungen einen Run auf die Notenbankliquidität („lender of last resort“) aus, um die gestundeten Netto-Clearing-Salden ultimativ durch Reserven zu schließen.“[20]

Das Gleiche gilt auch, wenn die Geschäftsbanken die Salden im Zahlungsverkehr mit anderen Banken durch sogenannte Repos (repurchase agreements) selbst ausgleichen, was zunehmend geschieht. Im Prinzip sind dies nichts anderes als Kredite, die durch Wertpapiere besichert sind. Hierbei bietet eine Bank mit einem (zu erwartenden) negativen Saldo den Verkauf von Wertpapieren an, die sie auf ihrer Bilanz hat, und verspricht, diese zu einem zuvor vereinbarten Preis zu einem zukünftigen Termin zurückzukaufen. Ein Ein-Wochen-Repo entspricht so beispielsweise einem besicherten Darlehen über eine Woche.[21]

Meines Erachtens ist es wichtig, zwei Dinge strikt auseinanderzuhalten: So verringern das beschriebene Clearing-System und die gegenseitige Kreditgewährung tatsächlich die Abhängigkeit der Banken von „ihrer“ Zentralbank. Die Vorrangstellung des Zentralbankgeldes wird davon jedoch nicht tangiert.

Fazit

Die theoretische Konzeption eines Staatssektors, der die Zentralbank und das Finanzministerium zu einer Einheit verbindet, welche die Währung emittiert, und die damit einhergehende Einordnung von Zentralbankgeld und Geschäftsbankengeld auf unterschiedlicher Hierarchieebene (mit einer Vorrangstellung des Zentralbankgeldes) stellen eine plausible und gut begründete Vorgehensweise der MMT dar.

Ob der Erkenntnisgewinn einer anderen Kategorisierung – so etwa der von Steinhardt vorgeschlagenen Zusammenfassung von Zentralbanken und Geschäftsbanken als „Geldproduzenten“ – tatsächlich höher ist, bliebe nachzuweisen. Skepsis ist zumindest angebracht.


[1] Wray 2015, S. 90-101; vgl. auch Fullwiler 2011
[2] vgl. Steinhardt 2015, S. 339f
[3] vgl. Tymoigne/Wray 2013
[4] Das heißt, die Fed kauft entweder sog. „Treasuries“ direkt vom Finanzministerium oder sie kauft diese indirekt, indem sie zuerst Primärhändlern durch endgültige (sog. „Outright-Geschäfte“) oder temporäre („befristete Transaktionen“) Ankäufe von Treasuries entsprechende Geldmittel zur Verfügung stellt. (Tymoigne 2016, S. 67-83)
[5] Vgl. z.B. McCulley 2009, S. 267f , Bassetto/Messer 2013, S. 7 oder Keister et al. 2015. Letztere schreiben: „There is a long tradition in monetary economics of focusing primarily on the finances of the consolidated public sector, which includes both the fiscal authority and the central bank. […] The consolidated approach has proved useful for studying a wide range of issues because it allows one to clearly state the economically meaningful constraints while abstracting from institutional details“ (Keister et al. 2015, S. 3).
[6] Die Einlagen, die Dritte bei der Zentralbank unterhalten, werden allgemein als „Reserven“ bezeichnet. „Bankreserven“ sind die Einlagen der Privatbanken bei der Zentralbank (ausgeschlossen sind hier also die Reserven des Finanzministeriums, das ebenfalls ein Konto bei der Zentralbank führt).
[7] Die Geldbasis umfasst das umlaufende Bargeld und die Guthaben der Banken bei der Zentralbank.
[8] (vgl. auch Edelmüller 2019, S. 93)
[9] Bank-Runs sind ein gemeinsames Merkmal von Bankenkrisen, was sich daran zeigt, dass 62 Prozent der Krisen mit kurzzeitigen starken Verringerungen der gesamten Einlagen einhergehen (Laeven/Valencia 2008, S. 19). Dass auch hochentwickelte Länder keineswegs sicher vor Bank-Runs sind, wurde spätestens im September 2007 in Großbritannien deutlich, als sich die Hypothekenbank Northern Rock einem Ansturm von Kunden ausgesetzt sah, die alle ihr Geld abheben wollten.
[10] Bei einer Zentralbank gibt es nie Liquiditätsengpässe in eigener Währung, weil sie die erforderliche Liquidität selbst schaffen kann. Da dies so ist, stellt für eine Zentralbank selbst eine Situation, in der sie ein negatives Eigenkapital aufweist, kein Problem dar – sie kann ohne jede Einschränkung auch mit negativem Eigenkapital ihre Funktion erfüllen. Die Zentralbank Tschechiens verzeichnete sogar 12 Jahre lang – nämlich zwischen 2002 und 2014 – ein negatives Eigenkapital und blieb trotzdem unbegrenzt handlungsfähig.
[11] Beispielsweise verzeichneten Euro-Banknoten von Oktober 2007 bis Oktober 2008 einen Anstieg um 13 Prozent – das liegt deutlich über dem vorausgehenden Trendwachstum von 8 Prozent (Bindseil 2014, S. 153; vgl. auch Deutsche Bundesbank 2009, S. 56f).
[12] EZB 2019, S. 3
[13] vgl. z.B. Rasch 2018, Mersch 2018, BIS 2018
[14] Bindseil schlägt ein zweistufiges CBDC-System vor, bei dem Anleger CBDC nur bis zu einem bestimmten maximalen Betrag in der ersten Klasse halten dürfen. Alles, was darüber hinausgeht, fällt der zweiten Klasse zu – mit deutlich geringerem Zinssatz, der in Zeiten niedriger Geldmarktzinsen klar in den negativen Bereich sinken dürfte. Damit soll die Wertaufbewahrungsmittel-Funktion der CBDC unattraktiv werden (Bindseil 2020).
[15] Vgl. dazu auch Edelmüller, der mit Recht feststellt: „Und so erhält auch das private Giralgeld des Geschäftsbankenapparats seine Zahlungsmitteleignung erst durch das staatliche Geld als Zahlungsmittel zwischen den konzessionierten Banken. Der liquiditätstechnische Rückhalt durch das Reserveangebot der Notenbank ist die notwendige Bedingung für Giralgeld als transaktionssicheres Zahlungsmittel mit allen ökonomischen Geldeigenschaften“ (Edelmüller 2019, S. 103).
[16] Befindet sich der Staat in einer existenziellen Krise und verliert seine Macht, Steuerpflichten aufzuerlegen und durchzusetzen, führt dies in der Regel dazu, dass das gesamte „normale Geld“ in einen chaotischen Zustand gerät. In diesem Fall werden oft z.B. fremde Währungen für private heimische Transaktionen verwendet. Abba Lerner führte dazu bereits 1947 völlig zu Recht aus: „Cigarette money and foreign money can come into wide use only when the normal money and the economy in general is in a state of chaos“ (Lerner 1947, S. 313).
[17] Steuern umfassen hier auch andere finanzielle Verpflichtungen dem Staat gegenüber wie etwa Gebühren und Abgaben.
[18] sehr gut und anschaulich erklärt von Paetz 2020, S. 125f
[19] Edelmüller 2019, S. 96
[20] Edelmüller 2019, S. 106
[21] vgl. Lavoie 2014, S. 205

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