Im April ist die Industrieproduktion Europas weiter ins Bodenlose gestürzt. Das Ausmaß der Finanz- und Wirtschaftskrise ist damit weit in den Schatten gestellt. Der Einbruch beschleunigt den strukturellen Niedergang der europäischen Industrie. Die Zahl lautet 15,5 %. Minus. Um ganze -15,5 % ging die Industrieproduktion im Euroraum im April bedingt durch die Corona-Pandemie zurück. Schon im März waren es -11,7 %. Es handelt sich um die mit Abstand größten monatlichen Rückgänge seit Beginn der Zeitreihe. Zum Vergleich: Die Rückgänge während der Finanzkrise Ende 2008 und Anfang 2009 lagen zwischen 3 % bis 4 %. Damit ist auch das Niveau von April 2009 – dem Tiefpunkt der Finanz- und Wirtschaftskrise von 2007-11 – bei weiten untertroffen. (Abbildung 1). Der Blick auf
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Im April ist die Industrieproduktion Europas weiter ins Bodenlose gestürzt. Das Ausmaß der Finanz- und Wirtschaftskrise ist damit weit in den Schatten gestellt. Der Einbruch beschleunigt den strukturellen Niedergang der europäischen Industrie.
Die Zahl lautet 15,5 %. Minus. Um ganze -15,5 % ging die Industrieproduktion im Euroraum im April bedingt durch die Corona-Pandemie zurück. Schon im März waren es -11,7 %. Es handelt sich um die mit Abstand größten monatlichen Rückgänge seit Beginn der Zeitreihe. Zum Vergleich: Die Rückgänge während der Finanzkrise Ende 2008 und Anfang 2009 lagen zwischen 3 % bis 4 %. Damit ist auch das Niveau von April 2009 – dem Tiefpunkt der Finanz- und Wirtschaftskrise von 2007-11 – bei weiten untertroffen. (Abbildung 1).
Der Blick auf die lange Zeitreihe seit 2007 zeigt aber auch einen langfristigen und durch die Corona-Krise nur fulminant beschleunigten Niedergang des industriellen Produktionsvolumens, das schon zuvor niemals mehr das Niveau von 2007 erreichen konnte.
Das drastischste Beispiel hierfür ist Italien. Die einstmals stolze Industrienation wurde sowohl von der Finanz- als auch der Corona-Krise besonders hart getroffen und leidet unter der Mitgliedschaft der Währungsunion. War dort der Einbruch der Industrieproduktion im März mit -29,6 % katastrophal, ging es im April nochmal um -14,3 % nach unten. Mit dem Monat Mai dürfte die italienische Industrie die Hälfte ihres Produktionsvolumens verloren haben – im Vergleich zum Vorkrisenmonat Februar wohlgemerkt. In der langen Zeitreihe ist der Rückgang noch wesentlich dramatischer. Lag die Industrieproduktion im August 2007 bei 133,4 Indexpunkten, waren es im März 2009 – zum Tiefpunkt der Finanz- und Wirtschaftskrise – 97,2 Punkte. Jetzt, im April 2020, sind es 60,4 Punkte
Aber auch Frankreich ist einmal mehr überdurchschnittlich hart getroffen: -16,9 % im März, -17,5 % im April. Das Land ist nach Italien der zweitgrößte Verlierer.
Deutschland, das bereits vor dem Shutdown wirtschaftliche Probleme hatte, kam im März im Vergleich zu den anderen Kernländern noch verhältnismäßig gut weg. Der Einbruch der Industrieproduktion betrug „nur“ -11,2%. Anders war dies im April, mit – 18,8 % war der Rückgang diesmal größer als in Frankreich und Italien. Auch hier hat die Tiefe des Einbruchs neue Dimensionen erreicht.
Großbritannien, das erst äußerst spät mit Maßnahmen gegen eine Ausbreitung von Covid-19 reagierte – die Industrieproduktion im Vereinigten Königreich ging im März nur um -4,2 % zurück – nähert sich dem Kontinent wieder an (Abbildung 2). Wir wiesen darauf hin, dass statistische Korrekturen und die Folgemonate abzuwarten bleiben, und so kam es auch: Mit -19,9 % fiel der Einbruch im April besonders dramatisch aus.
In Abbildung 2 ist besonders gut sichtbar, wie sehr die Corona-Pandemie die Auswirkungen der Finanz- und Wirtschafskrise bereits nach zwei Monaten (!) in den Schatten gestellt hat.
Diffuser und unübersichtlicher, wohl auch mangels valider Daten, ist die Lage in den nordischen Ländern. Im vergangenen Bericht verzichteten wir daher auf Schaubbilder. Glaubt man den nationalen Statistikbehörden, war der Rückgang der Industrieproduktion in Finnland und Norwegen überschaubar.
Interessant dagegen sind die Zahlen aus Schweden. Trotz „schwedischem Weg“ in der Pandemiebekämpfung, das Land verzichtete weitgehend auf einen Lockdown, ging es im April im Vergleich zum Vormonat um -16,4 % nach unten. Im März soll es, glaubt man den Daten, noch keinen Rückgang gegeben haben (Abbildung 3). Doch Schweden ist als Exportnation ähnlich wie Deutschland in besonderem Maße von der Entwicklung im Ausland abhängig. Dafür befindet sich Schweden nun laut WHO an der Spitze der Neuinfektionen in ganz Europa.
In Südeuropa ist die Lage in Griechenland nach wie vor unter Vorbehalt zu betrachten – die Daten nicht so aktuell wie von den statistischen Ämtern angegeben.
Trotzdem steht Südeuropa exemplarisch für den Niedergang der Industrieproduktion seit 2007. Das Niveau des Produktionsvolumens von damals werden Griechenland, Spanien und auch Portugal auf lange Sicht nicht mehr erreichen. Die Rezession der Finanz- und Wirtschaftskrise ging hier in eine lange Stagnationsphase über. Bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie hatte sich Südeuropa praktisch nicht von der vorangegangenen Krise erholen können.
Mit dem erneuten Einbruch im April in Spanien (-20,3 %) hat sich die Produktion in den letzten 13 Jahren nun mehr als halbiert. Für Portugal (-17,4 % im April) gilt ähnliches (Abbildung 4). Auf solch niedrigem Niveau befand sich die südeuropäische Wirtschaftsleistung weder zur Finanz- und Wirtschaftskrise noch in der Zeitspanne unserer statistischen Erhebungen seit 2005.
Schien nach ersten statistischen Erhebungen die Krise in den kleineren nördlichen Ländern weniger heftig eingeschlagen zu sein als in den europäischen Kernländern, ändert sich das im April (Abbildung 5). In den Niederlanden, schon seit Jahren mit einer schwachen industriellen Entwicklung, gibt es deutliche Korrekturen nach unten (-7,1 %). Belgien muss gar einen Rückgang um -16,5 % hinnehmen. Für Österreich liegen jetzt erst die Daten für März vor: -9,2 %. Anders als für die EWU insgesamt ist für diese Länder das Niveau von 2009 noch nicht erreicht.
Dass der allgemeine und stetige Aufschwung in den mittel- und osteuropäischen Ländern mit der Corona-Krise ein dramatisches Ende gefunden hat, gilt seit April umso mehr. Slowenien verzeichnete im April Produktionseinbußen um -16,9 %. Ungarn sogar -32 % (europäischer Spitzenwert in diesem Monat), womit das Niveau von 2009 untertroffen wurde – allerdings mit weitaus größerer Fallhöhe. Einen ähnlichen dramatischen Fall erlebte die Slowakei, binnen zwei Monate ging die Industrieproduktion um -47,5 % zurück.
Polen liegt noch deutlich über dem Produktionsniveau von 2009, was dem fast 10 Jahre andauernden Aufschwung zu verdanken ist. Im April ging es dennoch mit heftigen -24,7 % nach unten. (Abbildung 6).
In Bulgarien (-11,7 %) und Kroatien (- 5,7 %) wurde eine Dekade der Stagnation im April mit einem deutlichen Einbruch endgültig beendet (Abbildung 7). In Rumänien, dem einzigen der drei Balkanstaaten mit einem nennenswerten konjunkturellen Aufschwung bis 2018, brach die Produktion im April sogar um ganze -28 % ein. Damit ist Rumänien auf dem Balkan der große Verlierer.
Corona hat im März und April das Herz der europäischen Wirtschaft, die Industrieproduktion, in einem Ausmaß getroffen, das sich nur noch mit der Großen Depression vergleichen lässt. Es handelt sich wie gesagt um die größten jährlichen Rückgänge seit Beginn der Zeitreihe im Euroraum. Der Einbruch übertrifft die im April 2009 im Euroraum beobachteten Rückgänge von -21,3% zum Teil um das Doppelte. Insgesamt ist die Industrieproduktion im Euroraum und in der EU auf ein Niveau gesunken wie zuletzt Mitte der 1990er Jahre gesehen.
Abzuwarten bleibt noch die Entwicklung im Mai, der ebenfalls noch vom Shutdown betroffen ist. Auch in diesem Monat wird es abermals dramatische Zahlen geben, die die Dimension der Krise weiter verschärfen. Umso wichtiger wäre entschiedenes fiskalpolitisches Handeln seitens der EU und ihrer Mitgliedsstaaten. Doch der Recovery Plan der EU-Kommission und das Konjunkturpaket der Bundesregierung halten nicht, was sie versprechen und was angesichts dieser Krise geboten ist.