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Die offene Gesellschaft und ihre Schweiger

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Die Schweiger sind Deutschlands eigentliches Problem. Diejenigen, die es besser wissen müssten, aber aus Opportunismus oder ideologischen Gründen nicht das sagen, was den Bürgern und der Politik helfen würde, die Welt besser zu verstehen. Wenn Sie einmal verstehen wollen, was in Deutschland grundlegend schief läuft, dann sollten Sie das Interview lesen, das der Präsident der Deutschen Bundesbank, Jens Weidmann, der FAZ gegeben hat. Wenn Sie es gelesen haben, werden die meisten von Ihnen sagen: ja und, das Übliche, das, was man von einem Politiker heutzutage erwartet. Genau! Und das ist das Problem. In dem Interview ist alles das interessant, was nicht gesagt wird. Was müsste ein Bundesbankpräsident, der wirklich politisch unabhängig ist, in dieser Situation den

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Die Schweiger sind Deutschlands eigentliches Problem. Diejenigen, die es besser wissen müssten, aber aus Opportunismus oder ideologischen Gründen nicht das sagen, was den Bürgern und der Politik helfen würde, die Welt besser zu verstehen.

Wenn Sie einmal verstehen wollen, was in Deutschland grundlegend schief läuft, dann sollten Sie das Interview lesen, das der Präsident der Deutschen Bundesbank, Jens Weidmann, der FAZ gegeben hat. Wenn Sie es gelesen haben, werden die meisten von Ihnen sagen: ja und, das Übliche, das, was man von einem Politiker heutzutage erwartet.

Genau! Und das ist das Problem. In dem Interview ist alles das interessant, was nicht gesagt wird.

Was müsste ein Bundesbankpräsident, der wirklich politisch unabhängig ist, in dieser Situation den Bürgern sagen? Nun, er müsste natürlich zu der Frage Stellung nehmen, die von der FAZ tatsächlich gestellt wird, nämlich ob und welche Grenzen es für die staatliche Verschuldung gibt. Wörtlich fragt die FAZ und gibt damit ein gutes Stichwort:

„Schulden machen war noch nie so sexy wie heute. Es gebe keine Grenzen der staatlichen Verschuldung, sagen in der Krise selbst ernstzunehmende Leute. Dagegen kommt die schwäbische Hausfrau nicht mehr an.“

Darauf hätte ein parteipolitisch unabhängiger und aufgeklärter Bundesbankpräsident antworten müssen, dass Schulden nichts mit Sex zu tun haben und die Zeiten, in denen man mit der schwäbischen Hausfrau argumentieren konnte, leider schon lange vorbei sind. Haben Sie nicht selbst, hätte er dem FAZ-Herausgeber Gerald Braunberger fragen müssen, mehrfach geschrieben, die Zeiten hätten sich geändert, weil auf der ganzen Welt die Unternehmen als Schuldner ausfallen und zu Sparern geworden sind?

Was er hätte sagen müssen

Der Bundesbankpräsident hätte darauf hinweisen müssen, dass die Deutsche Bundesbank (eine Pionierleistung!) schon seit den fünfziger Jahren in jedem Jahr die Finanzierungssalden aller Sektoren in Ergänzung zur volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung berechnet (hier zum Beispiel) und man feststellen müsse, dass die traditionelle Rollenverteilung, bei der die privaten Haushalte aus Vorsorgegründen sparen und die Unternehmen die Schulden machen, die das Sparen überhaupt ermöglichen, nicht mehr existiert. Er hätte sagen müssen, dass das für eine große, relativ geschlossene Volkwirtschaft wie die Europäische Währungsunion zwingend bedeutet, dass der Staat bzw. die Staaten die Rolle des Schuldners übernehmen müsse(n), jedenfalls solange man keine politischen Instrumente habe (oder einsetzen wolle), um die Unternehmen wieder in die Rolle des Schuldners zurückzudrängen.

Insofern hätte er sagen müssen, fehlt der schwäbischen Hausfrau seit etlichen Jahren schon der Partner in der Privatwirtschaft, der ihre Ersparnisse überhaupt erst möglich macht. Die deutsche Lösung, hätte das Mitglied des EZB-Rates sagen müssen, das Schuldenmachen auf andere Länder zu verlagern, ist nicht als Vorbild für Europa oder die ganze Welt geeignet. Lohnsenkung in Europa würde zudem die Deflationsgefahr weiter vergrößern und der Rest der Welt würde europäische Überschüsse in einer deutschen Größenordnung niemals akzeptieren. Die „geizigen Vier“ und Deutschland müssten endlich die gesamtwirtschaftlichen Zusammenhänge begreifen, für deren statistische Erfassung sich die Bundesbank seit nunmehr siebzig Jahren große Verdienste erworben hat.

Doch das alles hat er nicht gesagt. Die Antwort von Jens Weidmann ist mehr als trivial:

„Das Bild von der schwäbischen Hausfrau wird oft falsch gedeutet. Die spart ja nicht als Selbstzweck, sondern um das Geld für Sinnvolles ausgeben zu können und auch für schlechte Zeiten vorzusorgen. Genau das ist hier der Fall. Es war sinnvoll, in normalen Zeiten für solide Finanzen zu sorgen. Und es ist genauso sinnvoll, jetzt in schlechten Zeiten den Handlungsspielraum zu nutzen, um auch durchaus kräftig das Ruder herumzureißen.“ 

Für ihn waren es offenbar „normale Zeiten“, als das größte Land der Europäischen Währungsunion durch Lohndumping (das die Bundesbank selbst vor einigen Jahren zugestanden hat) gewaltige Leistungsbilanzüberschüsse ohne Rücksicht auf die Partner machte und sich selbst und seinen Bürgern einredete, in solchen Zeiten könne die schwäbische Hausfrau getrost sparen.

Kann die schwäbische Hausfrau vorsorgen?

Dass die schwäbische Hausfrau vorsorgen will, ist selbstverständlich und muss man nicht betonen. Ob sie unter allen Umständen vorsorgen kann, das ist die Frage, um die es geht und bei deren Beantwortung eine große und volkswirtschaftlich bedeutende Institution wie die Bundesbank alle parteipolitischen Erwägungen hintanstellen und zur Aufklärung der Bevölkerung beitragen sollte.

Wenn jemand wie der Bundesbankpräsident zudem große europäische Verantwortung trägt, muss man vom ihm verlangen, auch als Deutscher Klartext zu sprechen und dem eigenen Land ins Gewissen zu reden, wenn es – wieder einmal – dabei ist, europäisches Porzellan zu zerschlagen. Wer jetzt die europäischen Schuldenregeln verteidigt und davon spricht, der „Steuerzahler“ müsse am Ende die Schulden bedienen und sogar zurückzahlen, wie Weidmann das im weiteren Verlauf des Interviews tut, schürt vorsätzlich die Unruhe in der Bevölkerung und in der Politik.

Niemand kann die jetzt in dieser Krise vom Staat anzuhäufenden Schulden jemals zurückzahlen, weil es die normalen Wachstumszeiten, wo der Staat sich leicht entschuldet, weil die Unternehmen investieren und sich dafür verschulden, nach allem, was wir wissen, der Vergangenheit angehören. Wer dennoch daran glaubt, muss erklären und offen diskutieren, auf welche Weise die Politik die Unternehmen wieder in die Verantwortung bringen kann. Tut er das nicht, muss man unterstellen, hier werde die Bevölkerung bewusst getäuscht.

Warum wird die Gesamtwirtschaft tabuisiert?

Warum ist es in Deutschland nicht möglich, den Sprung von der einzelwirtschaftlichen Ebene auf die Ebene der Gesamtwirtschaft zu machen? Warum kann man nicht sagen, dass es keine Ersparnis ohne Schulden gibt und die Konsequenzen offen diskutieren? In einer der Kernfragen, die praktisch für jeden Menschen von allergrößtem Interesse ist, versagen die Ökonomen im gesamten deutschsprachigen Raum kläglich. Ich werde immer wieder von klugen Menschen, die keine Ökonomen sind, gefragt, wie es sein könne, dass ein Fach, das gerne eine Wissenschaft wäre, die eigentlich interessante gesamtwirtschaftliche Dimension seines Untersuchungsgegenstandes einfach ausblenden kann.

Man muss sich auch nicht wundern, dass viele intelligente Menschen den Eindruck haben, es gebe eine Verschwörung der Entscheidungsträger, wenn die Entscheidungsträger sich beharrlich weigern, einfache logische Schritte nachzuvollziehen, die jeder Nicht-Ökonom in wenigen Minuten begreift. Kommen dann noch Journalisten hinzu, die so zart fragen, als ob sie mit jeder Frage ein rohes und äußerst wertvolles Ei unwiederbringlich zerstören könnten, kann man niemandem verdenken, sich für dieses Verhalten Erklärungen zu suchen, die jenseits dessen liegen, was „politisch korrekt“ ist.

Tatsächlich hängt das Versagen der Ökonomen mit der großen ideologischen Debatte zusammen, die mit dem Keynesianismus begann. Die Erweiterung des ökonomischen Denkens um die makroökonomische Diskussion, die u. a. von Keynes, Kalecki, Robinson, aber auch von Wilhelm Lautenbach vorangetrieben worden war, wurde nicht als wissenschaftliche Herausforderung angesehen, sondern als Angriff einer Staatsideologie auf die reine marktwirtschaftliche Lehre interpretiert, den man mit jedem möglichen Mittel parieren musste.

Rein gefühlsmäßig hatten die Verteidiger des marktwirtschaftlichen Dogmas Recht. Das gesamtwirtschaftliche Denken stellt die totale Marktlösung unmittelbar in Frage, weil der Staat immer Teil des Problems und Teil der Lösung ist. Auf der Basis dieser extrem schlichten Erkenntnis das Dogma aufzubauen, es sei besser die gesamtwirtschaftliche Dimension vollständig zu ignorieren als den Staat immerzu im Boot zu haben, zeigt eine dogmatische Härte, die in einer Wissenschaft nun einmal nichts zu suchen hat. Gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge zuzudecken oder gar zu verschweigen, ist fast einhundert Jahre nach dem Beginn des makroökonomischen Denkens ein Armutszeugnis ohnegleichen.

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