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Schuss vor den (Klima-)Bug

Summary:
Willi Koll war bis zu seinem Ausscheiden 2011 Ministerialdirigent in der Grundsatzabteilung des BMWI und des BMF. Er war langjähriges Mitglied im Wirtschaftspolitischen Ausschuss der EU und der OECD. In der Zeit nach der deutschen Vereinigung bis 1998 leitete er das Referat Grundsatzfragen der Mittelstandspolitik und das Referat Mittelstandspolitik im Leitungsstab Neue Länder im BMWI. Corona ist Klimawandel im Zeitraffer und eine starke Lektion. Die Lehre: das künftige Leben wird sich innerhalb klimafreundlicher Grenzen bewegen müssen. Es ist noch nicht lange her, als der Klimawandel und seine Begrenzung im Mittelpunkt von Politik und Gesellschaft standen. Nationale Klimapläne wurden begleitet vom „European Green Deal“ der EU-Kommission. Alle Gesetze sollten

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Willi Koll war bis zu seinem Ausscheiden 2011 Ministerialdirigent in der Grundsatzabteilung des BMWI und des BMF. Er war langjähriges Mitglied im Wirtschaftspolitischen Ausschuss der EU und der OECD. In der Zeit nach der deutschen Vereinigung bis 1998 leitete er das Referat Grundsatzfragen der Mittelstandspolitik und das Referat Mittelstandspolitik im Leitungsstab Neue Länder im BMWI.

Corona ist Klimawandel im Zeitraffer und eine starke Lektion. Die Lehre: das künftige Leben wird sich innerhalb klimafreundlicher Grenzen bewegen müssen.

Es ist noch nicht lange her, als der Klimawandel und seine Begrenzung im Mittelpunkt von Politik und Gesellschaft standen. Nationale Klimapläne wurden begleitet vom „European Green Deal“ der EU-Kommission. Alle Gesetze sollten „durchgrünt“, d.h. unter einen Klima-Vorbehalt gestellt werden. Dann kam Corona.

Mit großer Geschwindigkeit breitete sich das Virus über den gesamten Globus aus. Seine Auswirkungen und die Gegenmaßnahmen waren unmittelbar medizinischer, mittelbar ökonomischer und gesellschaftlicher Art. Wie schnell und dauerhaft sowohl die medizinischen als auch die wirtschaftlichen Aktivitäten wirken, ist derzeit noch nicht zu sagen. Was es gibt ist die Hoffnung, dass die Pandemie irgendwann doch vorbei sein wird – und sich nicht wiederholt.

Wie wird die Welt „nach Corona“ aussehen?

„Nichts wird mehr so sein, wie es einmal war!“ sind sich viele Stimmen einig. Psychologen und Soziologen bringen hier Zweifel an. Alte Verhaltensmuster seien tief eingefleischt; wenn die Ausnahmesituation vorbei sei, kämen sie wieder zum Zuge, eventuell sogar verstärkt durch „Nachholbedarf“.

Uneinigkeit besteht auch darüber, ob und inwieweit sich aus Corona für die Klimapolitik lernen lässt. Es gibt derzeit noch kein sicheres Wissen über wichtige Eigenschaften von Corona, so zum Beispiel über die Dauerhaftigkeit von Immunität, über mögliche Mutationen und einen wirksamen Impfstoff.

Das (Noch-)Nicht-Wissen über den Klimawandel ist jedoch angesichts seiner Komplexität weitaus größer. Das vorhandene spezielle und auch interdisziplinäre Wissen davon ist nicht null, vor allem angesichts der schon eingetretenen und absehbaren Schäden sowie unter der Erkenntnis leitenden Maxime „Was geschieht, wenn nichts geschieht“. Aber es bleibt hinter dem Wissen zurück, das notwendig wäre, um daraus eine sichere umfassende Prognose abzuleiten. Neben diesem grundsätzlichen Unterschied gibt es Unterschiede auch im Einzelnen:

  • Die Ursache: in beiden Fällen menschengemacht, „anthropogen“, bei Corona jedoch nicht willentlich, beim Klima zumindest grob fahrlässig.
  • Der Ansteckungsgrad: bei Corona bisher deutlich unter 100%, die Betroffenheit (Inzidenz) beim Klima: alle.
  • Die Intensität: bei Corona für viele tödlich; beim für immer mehr Menschen in ärmeren Ländern existenzzerstörend.
  • Die Anpassungszwänge: sie betreffen bei Corona sogar Grundrechte, sind aber hoffentlich temporär und einmalig – Wiederholungen nicht ausgeschlossen; beim Klimawandel sind die alltäglichen Einschnitte nicht so schockartig, dafür fortwährend, zunehmend und (wohl) nicht reversibel.
  • Impfstoffe wird es gegen Corona und auch bei möglichen Mutationen wohl geben. Deshalb kann beim Virus auf weitgehende Immunität gehofft werden, beim Klima sind weder „Impfstoffe“ noch „Immunität“ zu erwarten.
  • Arm und Reich, Jung und Alt: bei Corona sind eher die alten Menschen die Risikogruppe, beim Klima sind es die Armen und ärmeren Länder.
  • Entglobalisierung und nationale Abschottung: bei Corona vielleicht mit begrenzender Wirkung, beim Klima nicht möglich.
  • Verhaltensänderungen: bei Corona Rückfall in alte Muster nicht ausgeschlossen, beim Klima ist dauerhafte Anpassung gefordert – wenn am Ende überhaupt noch möglich.
  • Abstandsgebote, Kontaktsperren und Versammlungsverbote: bei Corona unumgänglich; beim Klima nicht.
  • Hier Gesichtsmasken und dort – Vollschutzkleidung, wie ansatzweise in Australien wegen des Ozonlochs in den 80ern und 90ern?

Wie sieht es bei der Wirtschaftstätigkeit aus?

  • Corona wird eine teilweise Umstrukturierung mit sich bringen. Das betrifft insbesondere den Gesundheitssektor. Aber auch internationale Vorleistungsketten und Fertigungstiefen werden neu bewertet werden.
  • Der Klimawandel erfordert indes einen Wandel der Strukturen in allen Bereichen von Produktion, Dienstleistung und Konsum hin zur (Netto-)Klimaneutralität.
  • Corona zwingt zu massiven Einbußen in vielen Bereichen, wenn auch „nur“ temporär. Eine Wiederaufnahme derselben Aktivitäten ist grundsätzlich möglich.
  • Der Klimawandel verlangt keinen plötzlichen, totalen Lockdown mit Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit, erlaubt aber kein „Weiter so“ auf Dauer, auch wegen der Gefahr plötzlicher Kipppunkte.

Indes gibt es – bei allem Unterschied – auch Erfahrungen mit Corona, die wichtige Handlungslinien einer Klimapolitik noch deutlicher werden lassen als bisher. Zu nennen sind insbesondere:

  • Der Umgang mit der Zeit: je länger man wartet, desto größer der Schaden und desto höher die Kosten von Prävention und Korrektur – falls überhaupt noch möglich.
  • Die Globalität der Wirkungen und damit die Globalität der Strategie unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Ausgangslage der Regionen.
  • Nationale Klimapläne und internationale Koordinierung und Kooperation.
  • Beispielgebende „Vorreiterrolle“ reicher Wirtschaftsräume – auch als bisherige Hauptverursacher – sowie Kompensation und Befähigung ärmerer Regionen zur Nachahmung.
  • Die Notwendigkeit von strukturellem Wandel und Anpassung jedes Einzelnen, in Gesellschaft und Wirtschaft.
  • Ein dauerhaft veränderter Ordnungsrahmen, innerhalb dessen sich wirtschaftliche Prozesse – Produktion, Dienstleistungen und Konsum – vollziehen. Ziel ist Klimaneutralität und Schadstoffreduzierung als verbindliche, scharfe Begrenzung und „Leitplanke“ wirtschaftlicher Einkommenserzielung und -verwendung.

Ein anderer Blick auf den Staat

Neubewertet werden dürfte vor allem die Rolle des Staates.

Sowohl in der Abwehr von Corona als auch bei der Bewältigung der Klimaproblematik ist der Einzelne ebenso machtlos wie gegen Gewalt und Krieg.

Für den Einzelnen als Konsumenten ist Konsum zulasten des Klimas kurzfristig und kurzsichtig sogar geldsparend. Dasselbe gilt für den Produzenten; hier wird die kostenlose Nutzung der Umwelt sogar zum Zwang, wenn die Konkurrenten es ebenso tun und er im (Kosten-)Wettbewerb überleben will. Die Bekämpfung des Klimawandels wie auch der Pandemie erfordert daher ein gezieltes Handeln des Staates.

Dabei geht es nicht um „Etatismus“ – also mehr Staat – sondern um einen erneuerten und von der Wissenschaft gut beratenen Staat. Ein im besten Sinne „moderner“ Staat, auf der Höhe der Probleme, mit – wenn erforderlich – auch starken Interventionen auf nationaler und internationaler Ebene zur Wahrung öffentlicher Güter, hier Gesundheit, dort gesundes Klima.

Dabei sind Verhältnismäßigkeit und Verfassungskonformität zu wahren. Effizienz und Effektivität der Interventionen müssen gewährleistet sein, auch durch wirksame Kontrollen und Sanktionen. Nicht zuletzt ist die Sozialverträglichkeit der Maßnahmen Voraussetzung für breite Akzeptanz und Solidarität.

Es geht um ein nachhaltiges Gleichgewicht zwischen privater und staatlicher Sphäre, zwischen Freiheit und deren staatlich gesetzten Grenzen.

Wie Klimawandel im Zeitraffer

Einer der größten, bisher nicht genannten Unterschiede zwischen Corona und Klima beinhaltet paradoxerweise eine der stärksten Lehren: Bei Corona kamen zeitgleich mit der Ursache die Wirkung – sprich: mit der Infektion sofort die Notwendigkeit massiver und leidvoller Anpassung an die geänderte Situation bis hin zu Todesfällen. Beim Klimawandel stehen wir noch mitten in den Ursachen; trotz massiver Vorboten sind die vollen Wirkungen noch unbekannt bzw. liegen in der Zukunft. Sicher ist nur: es wird sie geben.

Man kann Corona insofern auch als einen Klimawandel im Zeitraffer ansehen, in jedem Fall als einen mächtigen Schuss vor den Bug. Wenn Menschen vor allem aus Leid lernen, dann ist Corona bei allen Unterschieden eine starke Lektion: keine massive (Schadens-)Ursache ohne massive (Schadens-)Wirkung. Die Lehre: das künftige Leben wird sich innerhalb klimafreundlicher Grenzen bewegen müssen, um zu überleben.

Wird es dann nur ein Reagieren auf zunehmendes Reglementieren sein? Eine immer stärkere Einengung auf verbleibende Spielräume? Corona wird zu Recht als zeitweiser Verlust vieler Freiheiten und Aktivitäten erlebt, als Folge von auferlegten Zwängen.

Ein Wandel im Umgang mit Klima und Natur erfordert dagegen keine Verluste und Einengung, sondern Veränderungen, in einer „erzwungenen Freiwilligkeit“. Neues tritt an die Stelle von Überkommenem und Überholtem. Zugleich wird der Reichtum bewahrenswerter Natur erhalten. Der berühmte Ökonom Josef A. Schumpeter würde von „schöpferischem Chaos“ sprechen, dieses Mal nicht durch den Wettbewerb, sondern durch Umweltvorsorge befördert.

Geboten ist auch die Umkehr der Beweislast: zu beweisen ist die Unschädlichkeit jeden Eingriffs, nicht die Schädlichkeit. Wegen des begrenzten Wissens auch hier sollten Minimierung der Eingriffsintensität sowie sichere Reversibilität und Regenerativität Maßstab sein.

Es ist nicht die Natur, sondern die Ökonomie, die sich an die gebotene Ökologie anpassen muss und auch kann. Diese Anpassung muss so effektiv und effizient wie möglich gestaltet werden, in einer optimalen Kombination von Ordnungspolitik, marktwirtschaftlichen Instrumenten und sozialem Ausgleich. Einer ökologischen Marktwirtschaft muss eine marktwirtschaftliche Ökologie entsprechen.

Hier ist es hilfreich, sich wieder einmal zu erinnern, dass es Wandel – stetig oder sprunghaft – immer schon gegeben hat. Allein der Wandel in den letzten hundert oder zweihundert Jahren – auch wenn man Kriege ausklammert – hat eine neue Welt geschaffen, die Menschen gestaltet und an die sich die Menschen angepasst haben.

Ein globaler Gleichschritt in der Klimapolitik wäre wünschenswert

Der Unterschied zu früher wird sein, dass die Menschen den Wandel aktiv im Einklang mit Natur und Klima souverän gestalten statt ihn von kurzsichtigen und kurzfristigen primär ökonomischen Interessen fremdbestimmen zu lassen. Nicht ökologisches Handeln muss sich legitimieren, sondern ökonomisches Laissez-Faire. Dieser so gestaltete Wandel wird sich auch für die Wirtschaftsentwicklung als einzig nachhaltige Option erweisen.

Gleichzeitig kann und muss sich bei einer zielführenden Politik der ökologische Wandel ökonomisch so vollziehen, dass Stabilität und ein gewünschtes Niveau an Beschäftigung gewährleistet bleiben. „(Ökologische) Operation gelungen – (Ökonomischer) Patient tot“ wird niemand wollen und akzeptieren.

Wünschenswert und notwendig wäre ein globaler Gleichschritt in der Klimapolitik. Das Abkommen von Montreal 1997 samt Zusatzvereinbarungen zum Ausschluss von FCKW ist hier Beispiel und Erfolg zugleich. Was die Anpassung daran angeht, wird niemand FCKW im Kühlschrank vermissen. Wo globales Handeln noch fehlt, sind Vorreiter und Pioniere gefordert. Deren Wirkungen auf das Klima sind sicher geringer, als wenn alle dabei wären. Entscheidend ist deshalb, dass sie ein Beispiel geben, das schnell nachzuahmen ist, wenn auch die Nachzügler sich dem Klimaschutz nicht mehr verschließen können. Ein zeitig umgesetzter „Green Deal“ der EU könnte hier ein Vorbild sein.

Am Ende ist alle Einsicht mit der Frage verknüpft, ob es bei einem folgenlosen Erkennen bleibt oder ob ein breites Wissen auch ein entsprechend breites Wollen nach sich zieht. Motivation des Einzelnen durch Selbstbesinnung, Verantwortung und Mitgefühl sowie Solidarität in Raum und Zeit, d.h. mit den ärmeren, stark betroffenen Ländern und mit Enkeln und Urenkeln, Teilnahme der Bürgerinnen und Bürger auf allen Ebenen der politischen Willensbildung, um den Staat zu zielgerechtem Handeln zu motivieren, sind für einen Erfolg gefordert.

Was uns morgen unter dem Zwang massiv gestiegener Klimaschäden abverlangt wird, können wir heute noch einigermaßen freiwillig geben. Aber es wird schon Morgen.

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