Die Liste dringend notwendiger Investitionen ist lang. Doch wie kann der ›Gemeinwohl-Investor‹ aus seinem Schlaf geweckt werden? Benötigt man dazu einen charismatischen Führer? Oder eine nationale Katastrophe vom Ausmaß eines Krieges? Selbstregulierungskraft des Marktes über Angebot und Nachfrage und die an der volkswirtschaftlichen Produktion orientierte Steuerung der Geldmenge durch die Zentralbank – für Monetaristen ist das die Grundlage für eine stetige Aufwärtsentwicklung der Wirtschaft. Schon vor Corona schien den Zentralbanken weltweit jedoch die Munition zur Rezessionsbekämpfung ausgegangen zu sein. Wo liegt das Problem? Wenn die Privatwirtschaft beginnt, sich zu verlangsamen, würden die Zentralbanker gerne mehr Geld ausgeben, um sie wieder in Gang zu
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Ulrike Simon considers the following as important: Staatsschulden
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Die Liste dringend notwendiger Investitionen ist lang. Doch wie kann der ›Gemeinwohl-Investor‹ aus seinem Schlaf geweckt werden? Benötigt man dazu einen charismatischen Führer? Oder eine nationale Katastrophe vom Ausmaß eines Krieges?
Selbstregulierungskraft des Marktes über Angebot und Nachfrage und die an der volkswirtschaftlichen Produktion orientierte Steuerung der Geldmenge durch die Zentralbank – für Monetaristen ist das die Grundlage für eine stetige Aufwärtsentwicklung der Wirtschaft. Schon vor Corona schien den Zentralbanken weltweit jedoch die Munition zur Rezessionsbekämpfung ausgegangen zu sein. Wo liegt das Problem?
Wenn die Privatwirtschaft beginnt, sich zu verlangsamen, würden die Zentralbanker gerne mehr Geld ausgeben, um sie wieder in Gang zu bringen. Aber ihr monetäres Instrumentarium gibt ihnen hierzu nur eine einzige Möglichkeit: sie müssen die Privatwirtschaft dazu ermutigen, sich mehr Geld zu leihen, also Schulden zu machen. Die Privatwirtschaft wiederum wird dies nur dann tun, wenn ihre entsprechenden Produktions- und Ausgabenentscheidungen mehr Gewinne versprechen.
Der einzige Hebel, den die Zentralbank hat, um diese Gewinnberechnungen zu beeinflussen, ist die Verbesserung der Rentabilität der Unternehmen durch die Senkung der Zinssätze, und damit die Stimulierung von mehr Kreditaufnahme und mehr Geldschöpfung. Liegen also die Zinssätze bereits nahe bei Null, haben die Zentralbanker keine Munition mehr, wenn die Privatwirtschaft in großem Maßstab den Betrieb verlangsamt und Arbeitnehmer entlässt.
Aber wurden Zentralbanken denn nur gegründet und verwaltet, um den Interessen privater Unternehmen zu dienen, indem sie über das zinsgesteuerte Bankensystem ausschließlich für die Bedürfnisse gewinnorientierter Unternehmen Geld ausgeben? Sind diese Privatunternehmen nicht vielmehr Teil einer Volkswirtschaft, eines ›nationalen Unternehmens‹ also, welches viel größer als die Summe seiner Privatunternehmen ist? Umfasst dieses ›nationale Unternehmen‹ nicht vielmehr den Erfolg und das Wohlergehen einer gesamten Gesellschaft – nicht nur die Aspekte, die durch gewinnorientierte Investitionen angegangen werden können?
Zentralbanken sind nicht nur Instrumente der Privatwirtschaft
Die Prämisse der MMT ist es, dass Zentralbanken nicht nur Instrumente der Privatwirtschaft, sondern Instrumente eines Staatswesens sind. Das eingeschränkte monetäre Instrumentarium beruht aus dieser Sicht auf politischen Entscheidungen. In der Tat sind Zentralbanken grundsätzlich in der Lage, auch andere Kunden zu bedienen, den ›Investor-in-die-Bankenrettung‹ oder den ›Investor-in-Kriege‹, beispielsweise, und tun dies auch. Dem kollektiven, demokratischen Willen unterworfen könnten Zentralbanken auch den ›Investor-in-das-Gemeinwohl‹ finanzieren. Besonders dieser Kunde kann gesellschaftlichen Bedürfnissen gerecht werden, die die Privatunternehmen nicht erfüllen.
Unsere Gesellschaft ist mit einer Vielzahl dringender und sogar existentieller Aufgaben konfrontiert, die NICHT gewinnbringend sind und daher von privaten Unternehmen nicht als Investitionen getätigt werden – unabhängig davon, was die Zentralbanken mit den Zinssätzen machen. Dazu gehört die Sicherung eines gut ausgebauten öffentlichen Gesundheitssystems, das Abfangen der durch die Corona-Krise entstandenen sozialen Verwerfungen, die Schaffung bezahlbaren Wohnraums, der Ausbau öffentlicher Verkehrsmittel – und natürlich die Bewältigung der existentiellen Herausforderung des Klimawandels.
Wer wird diese Investitionen vornehmen? Privatunternehmen würden sehr gerne die notwendige Arbeit erledigen, wenn ihre Kosten gedeckt werden und ein Gewinn für sie herausspringt. Aber wer wird die privaten Unternehmen für die Durchführung der Aufgaben bezahlen? Wer wird die Investition tätigen?
Nur der ›Gemeinwohl-Investor‹ ist dazu in der Lage. Denn er als Einziger verlangt keine andere Rendite aus seiner Investition als die Erfüllung der dringenden Aufgaben. Der ›Gemeinwohl-Investor‹ kann in der Tat so viel von seinem investierten Geld ›verlieren‹, wie notwendig ist, um das zu erreichen, was getan werden muss. Genau das sei der philosophische Punkt der MMT, schreibt J.D. Alt in seinem Artikel ›Awakening the Investor-in-Whole-Society‹.
Geld zu ›verlieren‹ scheint nicht gerade eine gute Idee zu sein, und wir bekommen ja überall zu hören, dass noch unsere Urenkel für diese Verluste werden bezahlen müssen. Aber stimmt das auch? Genau betrachtet ist das Geld, das der ›Gemeinwohl-Investor‹ verliert, überhaupt nicht verloren, sondern wird von den Privatunternehmen und Bürgern verdient. Das Aktiv-Werden des ›Gemeinwohl-Investors‹ bringt in Wirklichkeit also einen doppelten Nutzen: dringende Aufgaben werden erfüllt, und Bürger sowie Unternehmen verdienen Geld mit der Erfüllung dieser Aufgaben. Dies ist die erste einfache und wesentliche Erkenntnis, die MMT den Menschen vermitteln will.
›Zukunftsgeld‹
Die zweite Erkenntnis ist ebenso einfach, erfordert aber einen schwierigeren Perspektivwechsel: Der ›Gemeinwohl-Investor‹ erhält das Geld, das er investiert, nur teilweise durch die Besteuerung der Bürger und Unternehmen. Es gibt auch keinen bevorzugten oder ›wirtschaftlich notwendigen‹ Teil seiner Investitionsmittel, der aus Steuern abgeleitet werden muss. Steuern spielen im sozio-ökonomischen System eine ganz andere Rolle – aber ihre Erhebung trägt zufällig zu den Investmentfonds des ›Gemeinwohl-Investors‹ bei. Der Rest (und vielleicht der größte Teil) dieser Gelder stammt aus einer Operation, die von der Zentralbank unterstützt und letztlich von ihr durchgeführt wird. Bei dieser Operation handelt es sich um die Ausgabe von ›Zukunftsgeld‹ durch ein Finanzministerium.
Als ›Zukunftsgeld‹ werden in der Regel ›Schatzanweisungen‹ bezeichnet – und der Perspektivwechsel der MMT zeigt, dass es aus drei einfachen Gründen unzutreffend ist, diese Finanzinstrumente als Staatsschulden oder Anleihen (d.h. als Versprechen, geliehenes Geld zurückzuzahlen) zu betrachten: Damit Schatzpapiere (zukünftiges Geld) zurückgezahlt werden können, muss das Finanzministerium (im Gegensatz zu Unternehmen oder Kommunen) keine zukünftigen Einnahmen erwirtschaften – und zwar aus dem zweiten Grund: Die Rückzahlung des zukünftigen Geldes wird von der Regierung garantiert – eine Garantie, die die Zentralbank bei Bedarf (und selbstverständlich) durch die einfache Ausgabe neuer Reserven umsetzt. Die Zentralbank allein hat die Befugnis und die Autorität, dies zu tun – genau so, wie sie neue Reserven ausgibt, wenn es notwendig ist, um die Transaktionen abzudecken, die die Privatwirtschaft über das Bankensystem durchzuführen wünscht.
Da dies immer geschehen wird, solange ein Land seine souveräne Regierung beibehält, sind die Schatzpapiere daher buchstäblich ›Zukunftsgeld‹ (im Gegensatz zu Unternehmens- oder Kommunalanleihen, die sich durchaus als uneinlösbar erweisen können). Diese beiden Erkenntnisse der MMT –
(a) die Ausgaben des Gemeinwohl-Investors sind nicht ›verlorenes‹ Geld, sondern verdientes Geld plus erledigte Aufgaben, und
(b) Schatzpapiere sind zukünftiges und kein ›geliehenes‹ Geld
– ändern nun drittens die Formel, mit der berechnet wird, was der ›Gemeinwohl-Investor‹ erreichen kann (und sollte).
Diese Formel erweist sich als völlig losgelöst von jeglicher Betrachtung von ›Geld‹. Um dringende und existentielle Bedürfnisse der gesamten Gesellschaft zu befriedigen – Bedürfnisse, die gewinnorientierte Privatunternehmen nicht erfüllen können – kann der ›Gemeinwohl-Investor‹ tatsächlich alles ›Geld‹ ausgeben, was notwendig ist. Statt sich um ›Geld‹ zu kümmern, geht es jetzt in erster Linie um die Verfügbarkeit realer Ressourcen – Arbeit, Fachwissen, Technologie, Energie, Rohstoffe und verarbeitete Materialien usw. –, die zur Erfüllung einer bestimmten Aufgabe eingesetzt werden müssen.
Stehen die erforderlichen Ressourcen nicht zur Verfügung, macht die Formel deutlich, dass sie mit keinem Geldbetrag gekauft werden können. Wenn die Ressourcen verfügbar sind, gibt es keinen Zwang zur ›Erschwinglichkeit‹, um sie für die Aufgabe einzusetzen. Und zukünftige Generationen werden weitaus mehr darunter leiden, wenn vorhandene Ressourcen nicht zukunftsgerecht eingesetzt wurden als unter einem ›Schuldenberg‹, der in Wirklichkeit keiner ist, sondern eher eine buchhalterische Auflistung des Geldwertes der erledigten Aufgaben.
Wie kann der ›Gemeinwohl-Investor‹ geweckt werden?
Die Frage ist: Wie kann der ›Gemeinwohl-Investor‹ aus seiner Benommenheit geweckt werden? Benötigt man dazu einen charismatischen Führer? Oder eine nationale Katastrophe vom Ausmaß eines Krieges?
Historisch gesehen wurden ›Investoren-in-das-Nationalunternehmen‹ auf diese Weise erweckt. Nach Pearl Harbor ist das in den USA gelungen. Auch unter Corona-Bedingungen wurden sie in unterschiedlichem Maße wach. Aber ob diese tatsächlich als ›Gemeinwohl-Investoren‹ wirksam werden, die die oben angesprochene Liste dringender Aufgaben angehen, ist fraglich. Fraglich ist auch, ob der ›Investor-in-das-Nationalunternehmen‹ unter dem alten Vorwand (die Urenkel müssen bezahlen) nicht schnell wieder in die Wüste geschickt wird, sobald sich die Wirtschaft wieder aus dem Tal herausbewegt.
Und im Rahmen der europäischen Währungsunion ist alles noch einmal komplizierter, weil die europäische Zentralbank ausdrücklich keinem kollektiven demokratischen Willen unterliegt, der sie zum ›Gemeinwohl-Investor‹ erwecken könnte. Der demokratische Wille verbleibt in den Nationalstaaten, die Geldpolitik wird durch Technokraten und ein wirtschaftswissenschaftlich zumindest umstrittenes geldpolitisches Regelwerk bestimmt.
J.D. Alt schließt seinen Artikel mit einem dringenden Appell: Wenn die Menschheit die Verantwortung dafür übernehmen will, dass die Erde – ungeachtet der Träume von Mars und Mond – ihr einziges Heim und ihr einziger Herd in einem unendlich kalten Universum ist, muss der ›Gemeinwohl-Investor‹ dauerhaft geweckt werden. Wir können nicht die Lungen unseres Sauerstoffsystems mit dem Argument abholzen und verbrennen, dass solche Aktionen für wirtschaftliche Entwicklung und soziale Besserung stünden.