Dirk Bezemer ist Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Groningen im Fachbereich Internationale Finanzentwicklung. Er war Forscher am Imperial College London und arbeitete unter anderem als Politikberater für die britische Regierung. Er informiert regelmäßig das Repräsentantenhaus und verfasst politische Berichte für die OECD, die Weltbank, die UNCTAD und das UNDP. Um Schulden abzubauen, werden Sparmaßnahmen und Zinserhöhungen in der Post-Corona-Wirtschaft von vielen als unumgänglich angesehen. Die Folgen einer solchen Politik wären katastrophal. Noch vor wenigen Monaten wurde die „monetäre Staatsfinanzierung“ als eine reizvolle aber auch gefährliche Option erachtet, die die Europäische Zentralbank (EZB) ergreifen musste, um die Inflation in
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Dirk Bezemer ist Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Groningen im Fachbereich Internationale Finanzentwicklung. Er war Forscher am Imperial College London und arbeitete unter anderem als Politikberater für die britische Regierung. Er informiert regelmäßig das Repräsentantenhaus und verfasst politische Berichte für die OECD, die Weltbank, die UNCTAD und das UNDP.
Um Schulden abzubauen, werden Sparmaßnahmen und Zinserhöhungen in der Post-Corona-Wirtschaft von vielen als unumgänglich angesehen. Die Folgen einer solchen Politik wären katastrophal.
Noch vor wenigen Monaten wurde die „monetäre Staatsfinanzierung“ als eine reizvolle aber auch gefährliche Option erachtet, die die Europäische Zentralbank (EZB) ergreifen musste, um die Inflation in Gang zu bringen. Diese Form der Finanzierung von Staatsdefiziten wird auch als “ Helikoptergeld“ bezeichnet – ein Begriff den der Wortkünstlers und Protagonist des Monetarismus Milton Friedman im Jahr 1969 in die Welt brachte.
Normalerweise verkauft die Regierung ihre Anleihen als Schuldverschreibungen an Investoren. Sie verwendet die Erlöse dann zur Finanzierung ihrer Ausgaben, soweit diese nicht durch Steuereinnahmen gedeckt sind. Damit wird das Haushaltsdefizit über den Markt finanziert. Tatsächlich fließt das Geld von den Investoren über die Regierung zu den von der Regierung gewählten Projekten. Die Geldmenge nimmt nicht zu.
Wenn die Regierung ihre Anleihen nicht an Investoren, sondern an ihre eigene Zentralbank verkauft, handelt es sich um eine monetäre Staatsfinanzierung. Die Zentralbank schafft dann neues Geld – anders als bei der Kapitalmarktfinanzierung. Es ist, so Friedman, als ob ein Helikopter vorbeifliegt und Geld verstreut, das von der Bevölkerung eifrig ausgegeben wird. Laut Friedman würde das Wachstum der Geldmenge zu Inflation führen. Daher ist die monetäre Staatsfinanzierung den meisten monetaristisch inspirierten Ökonomen ein Gräuel.
Über dieses Schreckgespenst gibt es viel zu diskutieren. Wenn das Geld aus dem Helikopter zur Produktion von Gütern und Dienstleistungen verwendet würde, könnten Geldwachstum und Wirtschaftswachstum Hand in Hand gehen; es gäbe dann keinen Inflationsdruck. Es stellt sich heraus, dass Friedmans Schlussfolgerung vor allem Ausdruck eines Misstrauens gegenüber der Regierung und einem entsprechend größeren Vertrauen in die Weisheit des Marktes war.
Marktvertrauen ist aber ebenso verfehlt. Auch ohne monetäre Staatsfinanzierung wächst die Geldmenge, und zwar schneller als die Wirtschaft. In der Eurozone ist die Geldmenge in den letzten zwei Jahrzehnten von 4 auf 12 Billionen Euro angestiegen (ein jährliches Wachstum von 5,9 Prozent), während das BIP nur von 1,7 auf 3 Billionen Euro (2,7 Prozent Wachstum pro Jahr) wuchs – weitgehend ohne monetäre Staatsfinanzierung. Ist es vielleicht der Markt, der monetäre Exzesse schafft?
Das Helikoptergeld schwirrt uns um die Ohren
Währenddessen schwirrt uns in Europa das Helikoptergeld um die Ohren. Ohne das Versprechen von Christine Lagarde, dass die EZB italienische Anleihen aufkaufen wird, wäre Italien nicht in der Lage, sie zu veräußern. Spanien, Frankreich, Griechenland, Portugal und Belgien, alle mit hoher Staatsverschuldung, werden bald in der gleichen Lage sein.
Und sie sind nicht die einzigen. Helikoptergeld ist jetzt eher die Regel als die Ausnahme. Außer in Staaten wie Weißrussland und Brasilien wird alles getan, um die Pandemie unter Kontrolle zu bringen. Das kostet viel Geld, und auf den Anleihemärkten ist dieses Geld nicht aufzutreiben. Die Anleger standen nicht Schlange, um indonesische oder kasachische Anleihen zu kaufen, und erwerben jetzt nur noch sichere, kurzfristige amerikanische und deutsche Anleihen. Deshalb schaffen jetzt Zentralbanken auf der ganzen Welt in großem Umfang das Geld, das ihre Regierungen brauchen.
Um die Schulden abzubauen, werden Kürzungen von vielen als unumgänglich angesehen. Andere plädieren für einen einmaligen Schuldenerlass – als Reaktion auf die einzigartigen Probleme, die die Pandemie verursacht hat. Einige glauben, dass bei so viel Geld Inflation unvermeidlich ist und werden für höhere Zinssätze plädieren, um sie zu verhindern. Doch in der fragilen Post-Corona-Wirtschaft können sich sowohl Sparmaßnahmen als auch Zinserhöhungen leicht als katastrophal erweisen.
Sobald sich der Staub dieser beispiellosen Operation gelegt hat, werden große Meinungsverschiedenheiten zu Tage treten. In dieser Debatte werden Gewissheiten der Ökonomik beschworen werden: Mehr Geld führt zu Inflation, bei hohen Schulden muss man sparen. Nur die Geschichte lehrt uns, dass solche Wahrheiten sowohl wackelig als auch zerstörerisch sein können.