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Verschwinden im Super Safe Space

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Die neue, von den lautstärksten Teilen der Linken besonders propagierte, Sozialutopie ist der Super Safe Space. Eine essentielle Ressource zu dessen Herstellung wird in der Wissenschaft vermutet. In den letzten Jahren zeichnete sich eine Spaltung der Linken ab: Ein vornehmlich jugendlich und akademisch geprägtes Milieu gab unter Einfluss des linken Neoliberalismus die Orientierung an sozialökonomischen Aufgaben und deren Lösung durch rationales Staatshandeln nach Maßgabe von Gleichheit und Solidarität auf. Ersetzt wurde sie durch – in symbolischen Räumen angesiedelte – identitätspolitischen Themen und einen gefühlten Kosmopolitismus. Jetzt scheint der nächste Bruch bevorzustehen. Als Katalysator dieser neuen Dissoziation – deren Trennlinien allerdings noch kaum

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Die neue, von den lautstärksten Teilen der Linken besonders propagierte, Sozialutopie ist der Super Safe Space. Eine essentielle Ressource zu dessen Herstellung wird in der Wissenschaft vermutet.

In den letzten Jahren zeichnete sich eine Spaltung der Linken ab: Ein vornehmlich jugendlich und akademisch geprägtes Milieu gab unter Einfluss des linken Neoliberalismus die Orientierung an sozialökonomischen Aufgaben und deren Lösung durch rationales Staatshandeln nach Maßgabe von Gleichheit und Solidarität auf. Ersetzt wurde sie durch – in symbolischen Räumen angesiedelte – identitätspolitischen Themen und einen gefühlten Kosmopolitismus.

Jetzt scheint der nächste Bruch bevorzustehen. Als Katalysator dieser neuen Dissoziation – deren Trennlinien allerdings noch kaum scharf ausgearbeitet sind – fungiert die Auseinandersetzung um das Corona-Virus bzw. die Politik, mit der die meisten Staaten auf dessen Erscheinen reagierten. Jene Linien genauer zu bestimmen, an denen sich die Lager trennen, dürfte entscheidend zur Klärung der diskursiven Lage beitragen, die gegenwärtig recht verworren erscheint. Eine Vierteilung scheint sich dabei abzuzeichnen, da die neue Trennungslinie orthogonal zur schon bestehenden verlaufen zu scheint.

Eine wesentliche Kraft, die die Trennung vorantreibt, geht von der Suche nach sicheren Räumen aus. Wobei Sicherheit zunächst im symbolischen Bereich gesucht worden war, mit einer im Zeichen von Corona praktizierten Politik der physischen Absperrung und Distanz. Diese erfuhr eine unverhoffte Verkörperung im zum zentralen Programmpunkt erhobenen Suche nach der biomedizinischen Immunisierung.

Ist es purer Zufall, dass die Liebhaber der symbolisch gereinigten Räume auch besonders nachdrücklich auf die Praktizierung jener Politik bestehen? Ist der Mundschutz die Fortsetzung der Sternchen und Pünktchen? Die Aussperrung des Virus durch soziale Isolation die Fortsetzung der Aussperrung vermeintlicher sexueller, rassischer, etc. Diskriminierung, wie sie – höchst symbolträchtig – mit der Überschreibung von Eugen Gomringers Gedicht avenidas an einer Fassade der Alice-Solomon-Hochschule stattfand?

Schon werden die letzten Spuren der Mohren getilgt und alles beseitigt, was an die rassistische Geschichte Europas und seiner Kolonien erinnern könnte. Demnächst wird jemand auf die Idee kommen, die Werke von Immanuel Kant und Karl Marx umzuschreiben, die doch sowohl das Wort ›Neger‹ als auch ›Rasse‹ in den Mund nahmen. Oder noch besser, Bach und Wagner ihres Antisemitismus wegen aus den Musikprogrammen zu bannen. Die Umbenennung der Richard-Wagner-Plätze und der Johann-Sebastian-Bach- Straßen inbegriffen.

Jetzt geht mit Mundschutz, Distanzierung und der Suche nach dem Impfstoff eine verschärfte Reinigung der Geschichte, des öffentlichen Raums und sogar des Grundgesetzes von den Spuren wirklicher oder nur vermeintlicher rassistischer Diskriminierung einher. Es geht jetzt offenkundig darum, einer virologisch und bakteriologisch gereinigten Gesellschaft auch einen sterilen Diskursraum vor einer symbolisch gereinigten Geschichte bereitzustellen — und alles was dazu nicht passt, als irgendwie eklig, verschwörungstheoretisch, querfrontverdächtig, rassistisch, faschistisch, etc. auszuscheiden.

Interessanterweise schließen sich diesem Bemühen auch Teile der Linken an, die der kulturalistischen, identitätspolitischen Strömung bisher eher fernstanden. Die neue, von den lautstärksten Teilen der Linken besonders propagierte, Sozialutopie ist der Super Safe Space. Eine essentielle Ressource zu dessen Herstellung wird in der Wissenschaft vermutet.

Was leistet Wissenschaft?

Eine Schlüsselrolle kommt – wenn man von den Äußerungen der, zumindest ihrer Medienpräsenz nach, dominierenden Teile der Linken ausgeht – dem Verhältnis zur ›Wissenschaft‹ zu. Mit ihrer Hörigkeit der Wissenschaft gegenüber pflegen sie ihre weitgehend kritiklose Unterstützung der Regierungspolitik in der Corona-Krise zu rechtfertigen. Für DIE LINKE und deren Bundestagsabgeordneten Lorenz Gösta Beutin ist klar, dass »wie beim Klimaschutz […] die Linke bei der Corona-Bekämpfung auf der Seite der Wissenschaft [steht]«. Auch im Berliner Marx-Engels-Zentrum, dessen Gründer Marianna Schauzu und Andreas Wehr ansonsten sicher nicht allzu viele Positionen mit Beutin teilen, gilt Wissenschaft als Wegweiser. Schauzu und Wehr tragen dies mit einer Emphase vor, in der Anklänge an die heroischen Zeiten mitschwingen, als der Sozialismus noch als ›Wissenschaftlicher‹ mit kapitalem ›W‹ firmierte:

»Angesichts der Herausforderungen der Corona-Krise wird es höchste Zeit, dass Linke, ob Anhänger der Partei DIE LINKE, Kommunisten oder Unorganisierte, endlich aufwachen und sich wieder ihres gemeinsamen Instruments der wissenschaftlichen Weltanschauung bedienen.«

Beide Positionen erwarten von der Wissenschaft mehr, als diese zu geben vermag. Wissenschaft ist keine Partei, deren Seite man einnehmen könnte. Ihrem normativen Gehalt nach, die mit ihrer faktischen Gestalt nicht zu verwechseln ist, verlangt sie nur die unvoreingenommene und kritische Beteiligung an der Suche nach Wahrheit.

Vor allem ist auch nicht klar, wer sagen könnte, was denn die Wissenschaft sagt. In der Debatte um das Corona-Virus etwa Virologe Prof. Drosten, dem andere Virologen widersprechen und der sich öffentlich zu einem Fachgebiet, der Epidemiologie, äußert, von dem er nach Auskunft von Epidemiologen nicht genug versteht? Oder das von einem weiteren Nichtepidemiologen, dem Tierarzt Prof. Wieler, geleitete Robert Koch-Institut, das eine weisungsgebundene Bundesbehörde ist? Am Ende etwa Frau Dr. Merkel, die Herren Spahn und Söder oder gleich CORRECTIV Faktencheck, das inzwischen die Rolle eines heimlichem Wahrheitsministeriums zu beanspruchen scheint?

Wissenschaft und Weltanschauung stehen in einem ausgeprägten Spannungsverhältnis. Um eine Weltanschauung zu fundieren, ist alles, was Wissenschaft liefert, zu fragmentarisch, zu ungewiss, zu vorläufig, zu unangepasst an die Alltagswahrnehmung. Umgekehrt ist die Weltanschauung meist wenig bereit, Lücken und Sprünge der Wissenschaft zu dulden oder ihren manchmal überraschenden Revisionen zu folgen. Eine Stimme aus der Wissenschaft bringt es auf den Punkt: ››Nur wenig bleibt im Laufe der Zeit als gesichertes Wissen übrig.«[1]

Denen, die sich unentwegt auf die Seite der Wissenschaft schlagen möchten, kann dabei schnell recht schwindlig werden. Zu den Risiken und Nebenwirkungen ihres Versuchs sollten sie, bei absenter Packungsbeilage, aber weder ihren Arzt noch ihren Apotheker, sondern besser die Wissenschaftstheorie befragen. Soll man nun unter den Virologen mehr Prof. Drosten oder mehr den Prof.es Streeck und Kekulé Gehör schenken? Oder sollte man vielleicht doch auch Epidemiologen wie die Prof.es Ioannidis, Bhakdi und Keil zurate ziehen? Oder vielleicht auch Fachärzte für Psychiatrie und Pädiatrie, die etwas über die Nebenwirkungen der Corona-Maßnahmen insbesondere auf die Gesundheit und Entwicklung von Kindern sagen könnten?

Die Liste der zu Befragenden ließe sich noch um einiges verlängern, wobei das Problem, die »Seite der Wissenschaft« zu lokalisieren, sich zusehends verschärfte. Vor allem: wer vielleicht dazu in der Lage ist, zu sagen, was, innerhalb eines beschränkten Gebietes, der Fall ist oder was dort, unter bestimmten Voraussetzungen, der Fall sein könnte, weiß noch längst nicht was zu tun sei. Dem Ethos der Wissenschaft würde ein Verfahren entsprechen, das versucht, ein möglichst umfassendes Bild der Lage zu gewinnen. Heißt: die diversen fachlichen Aspekte zu integrieren und eine Klärung kontroverser Position zuwege zu bringen — also genau das zu tun, was die Bundesregierung wie viele andere versäumte und die Medien nicht einforderten.

Ja, es gibt eine ansehnliche Reihe von gut bewährten wissenschaftlichen Ergebnissen. Doch reichen die weder aus, um eine Weltanschauung zu fundieren, noch dazu, das Handeln anzuleiten. Man muss keine Weltanschauung haben, doch können denkende Menschen nicht aufhören, nach dem Woher und Wohin der Welt zu fragen und danach, was ihre Stellung und Rolle darin ist bzw. sein soll.

Das tastende Erwägen dieser Fragen kann auch, abhängig vom dabei waltenden Wagemut, mehr oder weniger bewährte Stücke — mehr als Stücke können es nicht sein — aus den Beständen der Wissenschaften in Betracht ziehen. Doch geben diese allein auf jene Fragen keine Antwort. Um Heideggers kategorische Provokation zu zitieren: »Wissenschaft denkt nicht«.[2]

In Frage steht schon der Singular von Wissenschaft im emphatischen Sinne von die Wissenschaft. Es gibt deren eine wachsende Zahl von reichlich unzusammenhängenden und ganz unterschiedlichen Agenda folgenden Wissenschaften mit recht distinkten Kulturen, die sich gelegentlich und meist eher unvollständig unter dem symbolischen und organisatorischen Dach einer Universität zusammenfinden. Wer zudem nur ein wenig die Geschichte der Philosophie und der aus ihr hervorgegangenen Naturwissenschaften kennt, weiß, dass wissenschaftliche Weltanschauungen darin immer eine bedrohte Spezies darstellten. Die meisten davon konnten sich nicht lange halten und starben mit ihren letzten Vertretern aus.

Weltanschauungen wohnt zudem die Tendenz inne, das, was sie als die Welt fundierende, strukturierende und bewegende Prinzipien erkannt zu haben glauben, absolut zu setzen, um daraus vermeintlich universell gültige Normen abzuleiten. Als Tapete, mit der diverse Weltanschauungen ihre Innenwände dekorierten, die sie mit den Grenzen der Welt gleichsetzten, eigneten sich – wie Richard Lewontin[3] in einer Reihe von Rezensionen einschlägiger Werke zeigte – manche Ergebnisse und Wissensstände der Biowissenschaften besonders gut. Die Rassisten, Sozialdarwinisten und Eugeniker des 19. bis 21. Jahrhunderts vermochten und vermögen so durchwegs auf ein wissenschaftliches Weltbild verweisen, auch wenn der Verdacht nahe liegt, dass dabei eine bereits vorhandene Haltung die Selektion der Weltanschauung begünstigte bzw. begünstigt.

Doch genau hierin wird die Kluft deutlich, die Wissenschaft von Weltanschauung trennt. Und die auch im Falle der Linken klafft, die auf deren anderer Seite gerne dem Humanismus eine Stätte gäben.


[1] Fangerau, Heiner; Labisch, Alfons (2020): Pest und Corona: Pandemien in Geschichte, Gegenwart und Zukunft. Freiburg: Herder: 15
[2] Heidegger, Martin (1954): Was heißt Denken? In: ders.: Vorträge und Aufsätze. 10. Aufl., Stuttgart: Klett-Cotta, 2004: 127.
[3] Lewontin, Richard 2000: It Ain’t Necessarily so: The Dream of the Human Genome and other Illusions. New York NY: New York Review Books.

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