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Demokratie und die internationalen Beziehungen

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Der Logik muss sich auch die „demokratische Volkssouveränität“ beugen. Wer funktionierende internationale Beziehungen zwischen Staaten haben will, muss die demokratische Selbstbestimmung der Nationalstaaten zurückstellen gegenüber internationalem Recht oder internationalen Vereinbarungen. In die Diskussion um das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Politik der EZB werden Positionen eingebracht, die das Urteil des BVerfG in der Sache zwar ablehnen, die aber Sympathie dafür bekunden, dass ein nationales Gericht einer supranationalen Institution Grenzen aufzuweisen versucht. Martin Höpner, Paul Steinhardt und Andreas Nölke haben auf Makroskop eine gewisse Zustimmung zu dem Urteil des BVerfG erkennen lassen, weil sie die Rolle internationaler

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Der Logik muss sich auch die „demokratische Volkssouveränität“ beugen. Wer funktionierende internationale Beziehungen zwischen Staaten haben will, muss die demokratische Selbstbestimmung der Nationalstaaten zurückstellen gegenüber internationalem Recht oder internationalen Vereinbarungen.

In die Diskussion um das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Politik der EZB werden Positionen eingebracht, die das Urteil des BVerfG in der Sache zwar ablehnen, die aber Sympathie dafür bekunden, dass ein nationales Gericht einer supranationalen Institution Grenzen aufzuweisen versucht. Martin Höpner, Paul Steinhardt und Andreas Nölke haben auf Makroskop eine gewisse Zustimmung zu dem Urteil des BVerfG erkennen lassen, weil sie die Rolle internationaler Institutionen vor dem Hintergrund mangelnder demokratischer Legitimation grundsätzlich kritisch sehen. So schreibt Andreas Nölke:

„Ganz abgesehen davon, dass die EZB sich ihr Inflationsziel selbst gesetzt hat, ist ihre Tätigkeit aber seit Jahren – insbesondere seit der Finanzkrise 2007/2008 – weit von diesem technokratischen Mandat entfernt, insofern sie (gewollt oder ungewollt) in der Praxis die Rolle der ökonomischen Regierung Europas usurpiert hat. Auch die Tatsache, dass die eigentlich dafür legitimierten Instanzen die Rolle einer europäischen Wirtschaftsregierung nicht wirksam wahrnehmen, ändert nichts an der Tatsache, dass dieser Zustand aus der Sicht der demokratischen Volkssouveränität unerträglich ist.“

Hier liegen unserer Ansicht nach mehrere Missverständnisse vor, die es aufzuklären lohnt. Schon der erste Halbsatz des Zitats zeigt, wie schwer von außen zu beurteilen ist, was hinter den Kulissen der Politik in intensiven Diskussionen abläuft, in die auch die Notenbanken jederzeit eingebunden sind.

Man hat der Europäischen Zentralbank (EZB) zwar überlassen, das exakte Inflationsziel festzulegen. Aber es war auf der Ebene der demokratisch gewählten Politiker im Vorfeld der Gründung der EWU immer klar, dass es nur das deutsche Zwei-Prozent-Ziel sein könne. Die deutsche Politik hat sogar darauf beharrt, dass es etwas weniger als zwei Prozent sein sollen. Keine andere Notenbank dieser Welt wäre auf die Idee gekommen, statt eines einfachen Zwei-Prozent-Zieles ihr Ziel mit der komplizierten Formulierung „unter aber nahe bei 2 Prozent“ festzulegen – wäre nicht der deutsche Einfluss bei der Gründung der EZB so groß gewesen.

Das „technokratische Mandat“, von dem Nölke spricht, auf das sich die Arbeit einer Zentralbank beschränken könnte, gibt es in der realen Welt nicht. Jedenfalls nicht für eine Institution, die von den demokratisch gewählten Regierungen die Aufgabe übertragen bekommen hat, Preisstabilität herzustellen. Wir haben immer wieder klargestellt (hier zuletzt), dass der monetaristische Nexus von Geldmenge und Inflationsrate, den man für ein rein technokratisches Mandat bräuchte, nicht existiert.

Wenn sich die demokratisch legitimierten Entscheidungsträger bei der Entscheidung über die Unabhängigkeit einer Institution wie der Zentralbank in einem objektiven Irrtum darüber befunden haben sollten, was die tatsächlichen Wirkungen der Politik dieser Institution sind oder sein können, kann und darf das die Zentralbank nicht davon abhalten, das zu tun, was unter den jeweils herrschenden Bedingungen möglich und sinnvoll ist, um ihr Ziel zu erreichen. Man hat eine Feuerwehr gegründet, und siehe da, die Feuerwehr löscht Brände. Wer sagt, dass sie das nicht darf, weil das Löschen Kollateralschäden hervorruft, muss die Feuerwehr abschaffen oder der Feuerwehr erklären, wie man Brände löscht, ohne solche Schäden zu verursachen. Wer letzteres nicht kann und ersteres nicht will, sollte schweigen.

Der EZB die Usurpation (= widerrechtliche Anmaßung) der Rolle der „ökonomischen Regierung Europas“ vorzuwerfen, bedeutet zu unterstellen, dass die demokratisch legitimierten Politiker bei ihrer Entscheidung, eine gemeinsame und unabhängige Feuerwehr zu gründen, keine Idee davon hatten, was es bedeutet, einen Brand zu löschen. Man unterstellt dann, man habe zwar eine Feuerwehr gegründet, habe ihr aber nicht grundsätzlich das Recht gegeben, jederzeit die Menge Wasser zum Löschen einzusetzen, die sie im Brandfall für notwendig erachtet.

Wer deshalb im Brandfall zum Zweck der Legitimation erst einen demokratischen Abstimmungsprozess über die Löschwassermenge in Gang setzen will, der geht bewusst das Risiko ein, des Brandes gar nicht mehr Herr zu werden. Wer mehr will als nur die Änderung des Mandats der EZB, nämlich die Abschaffung der EZB bzw. des Euro, muss darlegen, wie er die Brände zu löschen gedenkt, die aus dieser Abschaffung selbst entstehen können.

Es nützt nun einmal nichts, nur abstrakt über eine optimale Feuerwehr nachzudenken, wenn man vor einer historisch gewachsenen, wenngleich verfahrenen Situation steht. Verfahren ist die Situation, weil die Brandschutzregeln nicht stimmen, d.h. die Verträge rund um die EWU fehlerhaft sind. Das Urteil des BVerfG hat nicht dazu beigetragen, die Situation übersichtlicher zu machen, weil es der Feuerwehr die Löschwasserschäden ankreidet, ohne auf die unzureichenden Brandschutzregeln hinzuweisen, die die Feuerwehr nicht zu verantworten hat.

Auch sollte man immer im Auge behalten, dass die demokratische Legitimation grundsätzlich nicht verhindert, dass Entscheidungen getroffen werden, die am Ende die Demokratie selbst zu Fall bringen können. Ein unkontrolliertes Auseinanderbrechen der Eurozone mit einem enormen Anstieg der Arbeitslosigkeit gäbe nicht nur in Deutschland extrem nationalistischen Kräften Auftrieb, sondern gefährdete die Demokratien in vielen Ländern. Was nützte es den Bürgern dann zu wissen, dass die Entscheidungen, die zum Ende der Demokratie führten, wenigstens demokratisch legitimiert waren?

Uns geht es nicht darum, einem TINA-Prinzip (There is no alternative) das Wort zu reden oder auf einen benevolenten Diktator in der Geldpolitik zu setzen. Allerdings gibt es eine Logik in den wirtschaftlichen Beziehungen zwischen demokratisch verfassten Staaten, die beim Aufstellen der institutionellen Regeln, unter denen diese Beziehungen ablaufen sollen, nicht übersehen werden darf. Diese Logik einmal grundsätzlich zu betrachten, lohnt sich – jedenfalls so lange, wie der globalisierten Wirtschaft kein demokratisch gewähltes globales Parlament gegenübersteht.

Die Logik internationaler Handelsbeziehungen

Wollen alle Demokratien der Welt Handel miteinander treiben, müssen sie sich offenbar auf allgemeine Handelsregeln einigen, die alle Parlamente diskutieren und beschließen können, womit der demokratischen Legitimation Genüge getan wäre. Schwierig wird es allerdings, wenn alle Parlamente der Welt dabei eine Politik ihrer jeweiligen Regierung absegnen bzw. einfordern, die in der Summe über alle Länder aus logischen Gründen nicht funktionieren kann.

Merkantilismus, also der Versuch von Ländern, absolute Vorteile im Handel zu haben und Handelsbilanzüberschüsse zu erzielen, ist der klassische Fall, bei dem es genau dann schiefgeht, wenn es alle versuchen. Dann nützt es nichts, dass merkantilistische Handelsregeln in allen Ländern demokratisch legitimiert worden sind, sie scheitern ganz unabhängig von ihrem politischen Zustandekommen.

Versuchen etwa alle Länder gleichzeitig, ihre Automobilindustrie mit hohen Subventionen zu fördern, schädigt das automatisch die Binnenwirtschaft, weil jeder Staat seine Mittel erfolglos verpulvert. Begreifen das alle nationalen Parlamente, finden sie es vermutlich sinnvoll, eine internationale Institution zu gründen, die dafür sorgt, dass einer solchen merkantilistischen Subventionspolitik von vornherein ein Riegel vorgeschoben wird.

Gründet man dann eine internationale Institution, die solchen Fehlentwicklungen entgegentritt, müssen die nationalen Regierungen und Parlamente dieser Institution Macht abtreten, damit sie ihre Funktion erfüllen kann. In Europa hat man sich beispielsweise – politisch vollständig von den nationalen Parlamenten legitimiert – darauf geeinigt, einen Binnenmarkt zu schaffen. Und man hat eine Institution (die Europäische Kommission) damit beauftragt, darüber zu wachen, dass die Mitgliedsländer die Mitgliedschaft nicht dadurch missbrauchen, dass die nationalen Regierungen ihren eigenen Unternehmen Vorteile gewähren, die den Wettbewerb in diesem Binnenmarkt verzerren. Das ist das europäische Beihilferegime, das der Kommission das Recht gibt, Mitgliedsländer zu bestrafen, die dagegen verstoßen.

Nun kann man darüber streiten, ob die Kommission ihr Mandat richtig ausfüllt. Man kann den Streit auch vor Gericht austragen, aber selbstverständlich nicht vor einem nationalen, sondern nur vor einem europäischen. Würden alle Mitgliedsländer darauf beharren, dass ihre nationalen Gerichte letztlich die europäischen Urteile in Frage stellen können, wäre das Handelsregime tot und wären damit auch alle Vorteile dahin, die das Regime vernünftigerweise eigentlich haben könnte.

Nun müssen Demokratien selbstverständlich nicht vernünftig sein. Die Verantwortlichen in jeder einzelnen Demokratie sollten sich nur im Klaren darüber sein, wie viel Unvernunft ihre Demokratie ertragen kann, bevor sie von den Bürgern fundamental in Frage gestellt wird.

Ein noch einschlägigeres Beispiel: Nehmen wir an, alle Länder der Welt versuchten, durch Druck auf die heimischen Löhne ihre nationale Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, also absolute Preisvorteile im internationalen Handel zu gewinnen, dadurch Handelsüberschüsse zu erzielen und so zu Wachstum zu gelangen. Alle Länder strebten also an, ihre Währung real abzuwerten, wie die Ökonomen das nennen. Logischerweise kann das nicht funktionieren. Denn die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes (= sein realer Wechselkurs) ist keine absolute Größe, sondern eine relative. Es kann sie immer nur im Verhältnis zu anderen Ländern geben (ein Wechselkurs besteht ja auch nicht aus nur einer einzigen Währung, sondern immer aus dem Verhältnis einer Währung zu mindestens einer anderen).

Wieder müsste man, wenn man klug wäre, feststellen, dass man eine Institution braucht, die versucht zu verhindern, dass die Länder eine solche Politik betreiben, die zwingend die Binnennachfrage auf der ganzen Welt schädigt und Deflation erzeugt. Und erneut käme es darauf an, dieser Institution Machtbefugnisse einzuräumen, die den nationalen Institutionen entzogen wären und einer internationalen Gerichtsbarkeit unterstünden.

Die Logik der monetären Beziehungen in Europa

Nicht anders ist es mit den monetären Beziehungen in Europa. Nachdem sich viele Länder in Europa in den 80er Jahren entschlossen hatten, ihre Inflationsziele dem deutschen Ziel anzupassen und feste Wechselkurse zur D-Mark anzustreben, war die Frage zu klären, ob in diesem System deutsche Geldpolitik mit europäischen Auswirkungen oder europäische Geldpolitik für Europa betrieben werden sollte.

Die meisten Länder setzten auf letzteres, weil deutsche Geldpolitik mit europäischen Auswirkungen für die Wirtschaft in Europa insgesamt nur durch Zufall das ein oder andere Mal passend sein konnte. Folglich hat man versucht, Deutschland zu überzeugen, ein solches geldpolitisches System ebenfalls mitzutragen, bei dem dann ein Teil der Wirtschaftspolitik von einer europäischen Institution übernommen würde.

Deutschlands demokratisch legitimierte Institutionen haben zugestimmt. Und sie haben auch zugestimmt, ja sogar darauf gedrängt, dass die europäische Geldpolitik von einer politisch unabhängigen Institution, der EZB, Tag für Tag exekutiert werden sollte. Um im Bild zu bleiben, die europäischen Partner haben eine europäische Feuerwehr gegründet, sie haben ihr auch den Zugang zum Wasser verschafft. Und Deutschland hat darauf gepocht, dass dieser Feuerwehr bei der Art und Weise, wie sie löscht, niemand hineinreden darf.

Gleichwohl, auch eine unabhängige Organisation auf europäischer Ebene muss man kritisieren können. Wer sie dafür kritisiert, dass sie beim Löschen Schäden verursacht, macht es sich jedoch zu einfach. Wer der Meinung ist, dass übermäßig viel Wasser beim Löschen verwendet wurde, muss das gut begründen. Jedenfalls kann man nicht vom Lösch-Schaden in einem Zimmer des brennenden Hauses darauf schließen, der Einsatz insgesamt sei unverhältnismäßig gewesen. Da muss man alle Wohnungseigentümer und Experten in Sachen Brandbekämpfung fragen, wenn man ernst genommen werden und zu einem ausgewogenen Urteil gelangen will.

Man kann trotzdem der Meinung sein, die EZB habe ihr Mandat überschritten und andere gravierende Fehler gemacht. Zum einen gibt es für diesen Meinungsaustausch ein regelmäßiges System der Berichterstattung und der Diskussion zwischen der EZB und den europäischen Institutionen. Was dort gesagt wird und wie die EZB ihre Maßnahmen rechtfertigt, ist öffentlich zugänglich. Zum anderen muss es für gravierendere Fälle von Klagen eine Gerichtsbarkeit geben, der diese unabhängige Institution unterworfen ist.

Aber selbstverständlich muss das ein Gericht auf europäischer Ebene sein und das ist der Europäische Gerichtshof (EuGH). Auch wenn man wie Martin Höpner der Ansicht ist, der EuGH habe in der Vergangenheit in vielen Einzelfällen vieles falsch gemacht, bleibt es doch unumstößlich, dass sich eine genuin europäische Institution wie die EZB nur auf europäischer Ebene rechtlich zu verantworten hat und sonst nirgendwo.

Man kann auch das ganze europäische Arrangement ablehnen, um nationale Souveränität zurückzugewinnen. Dann muss man aus der EU austreten und Autarkie anstreben. Wer keine Autarkie will, sollte vor dem Austritt auf die Schweiz schauen, um einschätzen zu können, wie souverän man durch einen solchen Schritt wirklich wird. Die Schweiz, ein Land, das sich für ungeheuer souverän hält, schwenkt immer wieder selbst im Detail auf europäische Linien ein, weil – in den Augen der gewählten Politiker – die wirtschaftlichen Vorteile den Verlust an Souveränität überwiegen.

Vor die gleiche Wahl ist das Vereinigte Königreich gestellt, und man wird sehen, dass in ein paar Jahren auch dort die wirtschaftliche Vernunft über die vermeintliche nationale Selbstbestimmung siegen wird.

Auch darf man sich angesichts dieser Zusammenhänge nicht der Frage verweigern, wie internationale Vereinbarungen bei genuin globalen Themen wie dem Klimaschutz  zustande kommen sollen, wenn man schon bei der Währungszusammenarbeit das Abtreten von Macht an supranationale Institutionen ablehnt.

Für die Bewältigung der Corona-Krise bleibt das Urteil des BVerfG eine schwere Hypothek, der wir nichts Positives abgewinnen können. Wer es „aus Sicht der demokratischen Volkssouveränität“ für dankenswert hält, dass der momentanen Machtfülle der EZB eine harte Grenze aufzuzeigen versucht wurde, der nimmt billigend in Kauf, dass die EZB dadurch mitten in der größten Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit geschwächt wurde. Kommt es wegen dieser Schwächung zu verringerter geldpolitischer Unterstützung und daher zu noch mehr krisenbedingter Arbeitslosigkeit in Europa, was zu befürchten ist, dürfte das die „demokratische Volkssouveränität“ ganz grundsätzlich gefährden.

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