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Lieferkettengesetz – wohin mit dem Schwarzen Peter?

Summary:
Politiker und Unternehmensvertreter schieben sich gegenseitig den Schwarzen Peter zu, was die Durchsetzung von Sozial- und Umweltstandards in anderen Ländern angeht. Übersehen wird, dass die Spielregeln des Unterbietungswettbewerbs insgesamt betrachtet werden müssen, um zu einer ausgewogenen Lösung zu gelangen. Das Lieferkettengesetz, das Bundesentwicklungsminister Gerd Müller und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil planen, stößt bei Unternehmensvertretern auf Ablehnung. Hauptbegründung: Man dürfe nicht haftbar gemacht werden für Dinge, die außerhalb des eigenen Einfluss- und damit Verantwortungsbereichs bei irgendwelchen Vorlieferanten stattfänden. Die Unternehmen könnten nicht die Rolle einer Hilfspolizei in Sachen Einhaltung von Sozial- und Umweltstandards in

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Politiker und Unternehmensvertreter schieben sich gegenseitig den Schwarzen Peter zu, was die Durchsetzung von Sozial- und Umweltstandards in anderen Ländern angeht. Übersehen wird, dass die Spielregeln des Unterbietungswettbewerbs insgesamt betrachtet werden müssen, um zu einer ausgewogenen Lösung zu gelangen.

Das Lieferkettengesetz, das Bundesentwicklungsminister Gerd Müller und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil planen, stößt bei Unternehmensvertretern auf Ablehnung. Hauptbegründung: Man dürfe nicht haftbar gemacht werden für Dinge, die außerhalb des eigenen Einfluss- und damit Verantwortungsbereichs bei irgendwelchen Vorlieferanten stattfänden. Die Unternehmen könnten nicht die Rolle einer Hilfspolizei in Sachen Einhaltung von Sozial- und Umweltstandards in anderen Ländern übernehmen. Stattdessen sei es Sache der Regierung, entsprechenden Einfluss auf andere Länder auszuüben.

Befürworter des geplanten Gesetzes führen an, international agierende Unternehmen achteten ja auch auf die Qualität ihrer Vorprodukte. Sie wüssten sehr wohl, unter welchen Bedingungen diese hergestellt würden, oder könnten es zumindest wissen, wenn sie denn wollten. Daher sei ihnen beim Einkauf ihrer Vorleistungen eine Sorgfaltspflicht zugunsten der Beschäftigten der Vorleistungsanbieter und in Hinblick auf den Umweltschutz bei der Produktion der Vorleistungen zuzumuten. Da sie diese Sorgfaltspflicht laut einer Studie nicht freiwillig erfüllten, müsse ein Gesetz her. Deutschland könne nicht glaubwürdig vom Ausland die Einhaltung bestimmter Mindeststandards einfordern, wenn diese gleichzeitig von deutschen Unternehmen durch ihr Einkaufsverhalten systematisch unterlaufen würden.

Beide Positionen klingen irgendwie plausibel. Wer hat recht? Gibt es ein Sowohl-als-Auch, das den Weg zu einer Kompromisslösung weist? Oder muss man eher von einem Weder-Noch sprechen, das einen ganz anderen Ansatz nahelegt?

Unterbietungswettbewerb – Motor der Marktwirtschaft

Betrachten wir zunächst den immer gleichen Mechanismus, der hinter technischen Innovationen und Investitionen genau so steht wie hinter Hungerlöhnen, ausbeuterischen Arbeitsbedingungen und der Belastung bis hin zur Zerstörung der Natur durch bestimmte Produktionsweisen. Es geht um den Unterbietungswettbewerb, der der Motor der Marktwirtschaft ist. Jedes Unternehmen versucht, seine Produkte so kostengünstig wie möglich – unter Einrechnung der Produktqualität – herzustellen, um entweder durch im Vergleich zur Konkurrenz niedrige Preise möglichst viel Nachfrage auf sich zu ziehen oder bei Preisen in gleicher Höhe wie die der Konkurrenz möglichst hohe Stückgewinne zu erzielen; oder eine Mischung beider Möglichkeiten.

Dieser Mechanismus steigert Produktivität und Wohlstand auf der Welt, wenn er sich auf Innovation und Investition stützt. Wenn die verbesserte Wettbewerbsfähigkeit hingegen darauf beruht, dass vereinbarte Mindeststandards beim Faktor Arbeit und der Umwelt unterlaufen werden, nehmen Produktivität und Wohlstand auf der Welt nicht zu. Denn beim Unterlaufen von Mindeststandards geht es nur um Umverteilung durch Verdrängung zulasten von Beschäftigten und Natur.

Dagegen bringen Innovation und Investition zwar auch eine Verdrängung und dadurch Umverteilung mit sich, aber sie vergrößern bzw. verbessern den zu verteilenden Kuchen – und zwar nicht auf Kosten der Natur oder der ihn ›backenden‹ Menschen, wenn bestimmte gesamtwirtschaftliche Regeln eingehalten werden.

Gefälle von Mindeststandards – Quelle gegenseitigen Abwärtskonkurrierens oder Aufholchance?

Überall dort, wo ein Gefälle zwischen den Sozial- und Umweltstandards von Staaten besteht, gibt es automatisch den Anreiz, dieses Gefälle auszunutzen: Unternehmen in Ländern mit höheren und damit die Produktion verteuernden Standards tendieren dazu, entweder ihre Produktion in Länder mit niedrigeren Standards zu verlagern oder von dort die systematisch billigeren Vorleistungen zu beziehen. Je nachdem, wie groß das daraus entstehende (wechselkursbereinigte) Kostengefälle ist und wie lang es anhält, kommt es über Jahre hinweg zu hohen Monopolgewinnen für die Unternehmen, die diesen Mechanismus nutzen, und zur Verdrängung von Unternehmen, die sich nicht so verhalten.

Haben Länder eine ungefähr gleich hohe Kapitalausstattung, sollten in ihnen die gleichen Mindeststandards bezüglich Arbeitsbedingungen und Umwelt gelten. Denn anderenfalls führt das Ausnützen eines Gefälles zwischen ihnen dazu, dass sich das Land mit den höheren Standards an das Niveau des Landes mit den niedrigeren nach unten anpassen muss. Länder, die sich einer solche Anpassung nach unten verweigern, verlieren Arbeitsplätze an das konkurrierende Land und die eigenen Unternehmen verschwinden vom Markt.

Die Alternative zum Anpassen nach unten heißt Handelsbeschränkungen, also Zölle auf Produkte aus dem Niedrig-Standard-Land. In einem Binnenmarkt wie der Europäischen Union müssen folglich gleiche Mindeststandards in allen Mitgliedsländern gelten.

Doch die Ausgangslage, die zur Planung eines Lieferkettengesetzes geführt hat, ist eine andere. Denn die gravierenden Unterschiede bei Sozial- und Umweltstandards bestehen gegenüber Ländern, die sich wegen eines sehr viel geringeren Kapitalstocks pro Erwerbstätigen nicht die gleichen Mindeststandards leisten wie wir. Bei geringerer Kapitalintensität der Arbeitsplätze arbeiten die Erwerbstätigen zwangsläufig weniger produktiv und ist daher der materielle Wohlstand geringer. Oft herrscht Armut, nicht selten regelrechte Not. Arbeitsbedingungen, die hierzulande unzulässig wären, können in einem armen Land Mindeststandards entsprechen und von den Menschen als erträglich angesehen werden, weil die Alternative meist Arbeitslosigkeit ohne Grundsicherung, also Hunger, heißt und damit noch schlechter ist. Belange der Umwelt müssen dort oft hinter dem täglichen Kampf ums Überleben zurückstehen.

Bedeutet das Ausnutzen des Gefälles von Mindeststandards gegenüber diesen ärmeren Ländern durch die Lieferketten deutscher Unternehmen eine Zementierung und womöglich Ausweitung der vergleichsweise schlechten Zustände? Gibt es Möglichkeiten, die Zustände zu verbessern, und, wenn ja, wie? Kann man den Ländern unsere Standards abverlangen – sei es durch das Einkaufsverhalten deutscher Unternehmen vor Ort, sei es durch politischen Druck auf die Regierungen dieser Länder?

Die Rolle der Lohnpolitik

Für die Länder mit den niedrigeren Standards führt der beschriebene marktwirtschaftliche Unterbietungswettbewerb zu mehr Arbeitsplätzen, aber eben zu den vergleichsweise schlechteren landesüblichen Bedingungen, und zu mehr Umweltschäden. Seine unmittelbaren und erst recht langfristigen Wohlstandseffekte und ihre Verteilung hängen wesentlich von der Wirtschaftspolitik in den entsprechenden Ländern und davon ab, unter welchen Bedingungen der internationale Handel stattfindet.

Wird durch Produktionsverlagerungen aus reicheren Staaten das Produktivitätsniveau eines ärmeren Landes im Durchschnitt erhöht, kann ein Aufholprozess in die Wege geleitet werden, der auch eine allmähliche Anhebung der Mindeststandards erlaubt. Gelingt es nämlich, das durchschnittliche Lohnniveau so zu steigern, wie es die Produktivitätsentwicklung (plus Zielinflationsrate) erlaubt (auch ››goldene Lohnregel‹‹ genannt), werden die Masseneinkommen gestärkt. Das wiederum hat positive Nachfrageeffekte, senkt die Arbeitslosigkeit und beeinflusst das Kräfteverhältnis am Arbeitsmarkt zugunsten der abhängig Beschäftigten. Das Durchsetzen besserer Arbeitsbedingungen fällt dann wesentlich leichter.

Zudem nehmen mit steigendem Wohlstand auch die Bereitschaft und die materiellen Möglichkeiten zu, sich um den Umweltschutz zu bemühen – ein im globalen Kontext von Jahr zu Jahr zweifellos immer dringenderes Ziel, wenn wir die weitere Erderwärmung stoppen wollen.

Ob das gelingt, hängt wesentlich davon ab, wieviel die Politiker des ärmeren Landes von Makroökonomie verstehen, d.h. ob sie einen solchen Prozess durch eine entsprechende Lohnpolitik in Gang setzen wollen und können. Egal ob die ausländischen (hier konkret: die deutschen) Unternehmen direkt vor Ort produzieren oder ››nur‹‹ Vorleistungen bei inländischen Produzenten nachfragen, sie können diesen Prozess unterstützen, indem sie mit gutem Vorbild vorangehen: Sie können die Löhne gemäß der goldenen Lohnregel (die sich auf die landesdurchschnittliche Produktivitätsentwicklung bezieht) erhöhen bzw. beim Einkauf von Vorleistungen entsprechende Preiserhöhungen akzeptieren und nicht durch ihre in der Regel vorhandene Marktmacht verhindern.

Wie wirken höhere Mindeststandards auf die Wirtschaft eines ärmeren Landes?

Doch die (deutsche) Politik macht es sich zu einfach, wenn sie glaubt, es genüge, die Unternehmen (gemeint sind wieder die deutschen) auf bestimmte höhere Standards bei den bezogenen Vorleistungen zu verpflichten, um dem ärmeren Land rasch(er) zu besseren Arbeitsverhältnissen und Umweltschutz zu verhelfen, um nicht zu sagen: sie ihm aufzuzwingen. Man muss sich klar machen, dass der Druck, den ausländische Unternehmen auf inländische Unternehmen eines ärmeren Landes ausüben, nämlich ohnehin schon sehr hoch ist, und zwar von mehreren Seiten:

Zum einen können die aus Sicht des ärmeren Landes ausländischen (also z.B. deutschen) Unternehmen als Produzenten durch die von ihnen importierten Maschinen mit hoher Produktivität auftreten und so den inländischen Unternehmen (in dem ärmeren Land) auf deren eigenem Markt harte Konkurrenz bieten, falls sie Dinge produzieren, die auch dort nachgefragt werden. Denn in der Regel haben die inländischen Unternehmen kurzfristig nicht die Möglichkeit, die Kapitalausstattung ihrer Arbeitsplätze entsprechend zu erhöhen – es fehlt meist an der Finanzierung und dem Knowhow.

Der Aufholprozess benötigt Zeit, während der sich die vorhandenen Strukturen mit der niedrigeren Arbeitsproduktivität schrittweise verändern sollten. Geht man hier beim Durchsetzen höherer Arbeits- und Umweltstandards rasant zu Werke, können inländische Anbieter möglicherweise gar nicht mehr Schritt halten. Ganze Branchen könnten auf diese Weise weitgehend in die Hände ausländischer Unternehmen geraten, was die Abhängigkeit eines ärmeren Landes vom Wohlwollen eben dieser ausländischen Unternehmen erhöht – eine Art Neokolonialismus, den die Lieferkettenbefürworter sicher nicht beabsichtigen.

Doch auch wenn die ausländischen Unternehmen in einem Bereich produzieren, der hauptsächlich dem Export des ärmeren Landes dient, wird Druck auf die Unternehmen dort ausgeübt. Die hohe Produktivität der ausländischen Produzenten erschwert es den inländischen, selbst als Exporteure auf den Weltmärkten Fuß zu fassen, zumal sie normalerweise nicht über die internationalen Verbindungen verfügen, die weltweit agierenden Konzernen zur Verfügung stehen und ihnen Marktmacht verleihen. Höhere Standards verschärfen das Problem hier ähnlich wie auf den inländischen Märkten.

Wie sieht es beim Einkauf von Vorleistungen in ärmeren Ländern aus? Man könnte ja argumentieren, dass ausländische Unternehmen, die nur als Vorleistungsnachfrager, nicht aber als Produzenten in ärmeren Ländern auftreten, die vorhandenen Produktionsstrukturen nicht bedrohen, sondern durch deren gute Auslastung allmählich zu verändern helfen. Wieso sollte dann die Vorschrift schaden, nur bei den Anbietern des ärmeren Landes einkaufen zu dürfen, die höhere Standards einhalten?

Stellen wir uns einen inländischen Textilproduzenten in einem ärmeren Land vor, der sowohl für den inländischen Markt als auch für ausländische Firmen, darunter deutsche, produziert. Will er im Fall eines Lieferkettengesetzes seinen Umsatz mit den deutschen Firmen nicht verlieren, muss er in bessere Arbeitsbedingungen und umweltschonende Produktionsprozesse investieren und – je nach Ausgestaltung des Lieferkettengesetzes – möglicherweise auch höhere Löhne zahlen als bislang.

Das verteuert seine Produkte. Auch wenn die deutschen Firmen die entsprechende Preissteigerung (per Gesetz zwangsweise) akzeptieren, verliert die Firma voraussichtlich andere ausländische Kunden und ziemlich sicher Nachfrage auf dem heimischen Markt. Denn das durchschnittliche Lohn- und damit Einkommensniveau erlaubt den inländischen Konsumenten nicht, sich Produkte mit den gleichen Umwelt- und Sozialstandards zu leisten, die deutsche Politiker und möglicherweise auch viele deutsche Verbraucher für angemessen halten, selbst wenn nun einige Beschäftigte in der besagten Firma des ärmeren Landes besser verdienen.

Ergebnis: Der Textilproduzent müsste zweigleisig fahren (eine Billigproduktionsschiene und eine höherwertige), um die bisherigen Kunden zu halten. Das ist vollkommen unrealistisch, weil es unpraktikabel und damit zu teuer wäre, zweierlei Produktionsstrukturen zu betreiben. Auch kämen deutsche Abnehmer in Erklärungsnöte, kauften sie dann doch bei einem Produzenten ein, der sich nicht durchgehend an deutsche Vorstellungen von Mindeststandards hielte.

Also müsste sich der Textilproduzent entscheiden: entweder hochwertige Produktion für die deutschen Abnehmer (und sonst kaum jemanden) oder Produktion nach den üblichen niedrigen Maßstäben für die anderen Abnehmer. Der Textilproduzent würde sich wohl oder übel nach der Marktgröße entscheiden, also im Zweifel gegen den deutschen Markt und seine höheren Standards. Damit wäre für die Menschen in dem ärmeren Land nichts gewonnen.

Zwischenfazit: Die Dinge sind nicht so einfach, wie sie scheinen. Sie zum Besseren zu wenden, erfordert neben dem guten Willen eine internationale gesamtwirtschaftliche Sicht, die den Faktor Zeit angemessen berücksichtigt. Alle Überlegungen, die sich nur auf einen kleinen Ausschnitt der Wirtschaft einzelner Länder konzentrieren und sowohl die Bandbreite und Verflechtung der Märkte als auch den Faktor Zeit und damit die Dynamik verschiedener ineinander greifender Prozesse übersehen, werden den Problemen nicht wirklich gerecht.

Die Rolle der Wechselkurse

Wie bereits erwähnt, ist die gesamtwirtschaftliche Lohnpolitik für einen nachhaltigen Aufholprozess eines ärmeren Landes wichtig. Darüber hinaus gibt es eine zweite Größe, die eine zentrale Rolle spielt: der Wert der Währung des ärmeren Landes gegenüber dem Rest der Welt. Das liegt eigentlich auf der Hand, geht es beim Thema Lieferkettengesetz doch um den internationalen Handel. Und für den spielen nun einmal internationale Preise die entscheidende Rolle, die sich aus den inländischen Preisen in Verbindung mit der jeweiligen Höhe der Wechselkurse ergeben.

Umso erstaunlicher ist, dass man zu diesem Bereich bei der Diskussion um das Lieferkettengesetz praktisch nichts hört. Wird auf den Devisenmärkten die Währung eines ärmeren Landes eine Zeitlang überbewertet, z.B. weil das Land durch hohe Nominalzinsen eine unerwünscht hohe Inflationsrate zu senken versucht, gleicht das zunächst einem Mühlstein um den Hals der inländischen Unternehmen – sie müssen auf den heimischen Märkten mit ››zu billigen‹‹ Importen konkurrieren und auf den ausländischen Märkten selbst ››zu teuer‹‹ anbieten.

Bricht die Überbewertung irgendwann und – wie das leider oft der Fall ist – schlagartig zusammen, verbessern sich zwar die Exportchancen der inländischen Unternehmen sofort, nur müssen dann erst die Strukturen (wieder) aufgebaut werden, mit denen sich diese Chancen realisieren lassen. Dieser Vorgang kostet Zeit und benötigt Vertrauen von Investoren, die tatsächlich in die Realwirtschaft investieren und nicht reine Finanzjongleure sind. Nach einer oder sogar mehrerer Achterbahnfahrten des Wechselkurses ist ein solches Vertrauen aber nicht so einfach (zurück-)zugewinnen.

Was ein ärmeres Land daher braucht, um einen kontinuierlichen Aufholprozess zu organisieren, sind neben einer vernünftigen inländischen Lohnpolitik faire Wechselkursbedingungen. Die kann das Land nicht selbst herstellen kann, sondern ist zu deren Verwirklichung auf große internationale Partnerländer bzw. deren Zentralbanken angewiesen. Denn um überschießende Abwertungen zu verhindern und die eigene Währung überzeugend gegen Spekulanten verteidigen zu können, fehlen einem ärmeren Land normalerweise die Devisenreserven. Ungerechtfertigte Aufwertungen kann das Land zwar selbständig verhindern, indem es an den Devisenmärkten seine eigene Währung verkauft. Aber dazu muss es den politischen Mut aufbringen, sich gegen die höchst problematische Doktrin freier Devisenmärkte zu stellen, die von vielen internationalen Institutionen vertreten wird.

Die beste Entwicklungshilfe in diesem Zusammenhang ist daher, die Währung eines aufholenden Landes langfristig zu stabilisieren. Der reale effektive Wechselkurs eines aufholenden Landes – also der Wechselkurs unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Preisentwicklungen zwischen dem Inland und seinen Handelspartnern – sollte so gesteuert werden, dass die Währung gleichmäßig leicht unterbewertet ist. Das verschafft dem Land einen gewissen Wettbewerbsvorteil im internationalen Handel, mit dessen Hilfe es sich einen angemessenen Platz auf den Weltmärkten erarbeiten kann.

Dass von einer leichten Unterbewertung auch ausländische Unternehmen profitieren, die vor Ort mit ihrer ›mitgebrachten‹ hohen Produktivität produzieren und eine solche Unterstützung gar nicht nötig hätten, muss man hinnehmen. Kommen Importzölle hinzu, die die Produktion in dem aufholenden Land solange (nämlich nach und nach abnehmend) schützen, bis sie behutsam insgesamt auf international konkurrenzfähige Technologien umgestellt ist, stünde einer Angleichung von Mindeststandards auf das hohe Niveau westlicher Industrieländer letzten Endes nichts mehr im Wege.

Deutsche Unternehmen und deutsche Politik im Glashaus

Die Frage ist also, was die aufholenden Länder dazu bewegen könnte, eine solche Wirtschaftspolitik zu verfolgen. Und genau an dieser Stelle wird es interessant. Die Regierungen ärmerer Staaten schauen sich nämlich an, was die reicheren Länder so treiben, aus denen die Investitionen stammen und die die billigen Vorleistungen nachfragen. Und sie stellen folgendes fest:

Das ökonomisch angeblich so erfolgreiche Deutschland, das sich mit einem Lieferkettengesetz um die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltschutz in anderen Teilen der Welt bemühen möchte, toleriert seit Jahren das Unterlaufen seiner eigenen Mindeststandards bei Arbeitsbedingungen und Umweltschutz durch inländische Unternehmen – sei es bei der Fleischproduktion, beim Spargelstechen, bei Paketdienstleistern, im Pflegebereich, im Baugewerbe oder in der Automobilindustrie. Die Politik schaut lange Zeit systematisch weg, um die schwarzen Schafe nicht sehen zu müssen, und kommt ihrer Pflicht, geltende Regeln durchzusetzen oder, wo nötig, zu verschärfen, oft (wenn überhaupt) erst nach, wenn skandalöse Zustände medienwirksam aufgedeckt werden.

Und deutsche Unternehmensvertreter, so nehmen es die Regierungen der ärmeren Länder wahr, argumentieren regelmäßig mit der Wettbewerbsfähigkeit, die verloren ginge, wenn Standards verbindlich wären, gar verschärft und obendrein durch Kontrollen streng durchgesetzt würden. Das ist sicher nicht die Ansicht aller deutscher Unternehmer. Aber die Zahl der schwarzen Schafe ist beachtlich und vor allem hinreichend groß, den sich an anständige Spielregeln haltenden Produzenten das Leben schwer zu machen.

Obendrein stellen die ärmeren Länder fest, dass die goldene Lohnregel, die ihnen bei der Gratwanderung zwischen Wohlstandssteigerung und dem Aufholen ihres Landes durch ausländische Investitionen und ausländische Nachfrage helfen soll, in Deutschland seit Jahren nicht eingehalten wird. Sie sehen, dass der deutsche Staat Rahmenbedingungen geschaffen hat, die inländischer Lohnzurückhaltung Vorschub leisten und auf diesem Weg Deutschlands internationale Wettbewerbsfähigkeit erhöht haben – eine Wettbewerbsfähigkeit, die sich in realer Unterbewertung niederschlägt, die wiederum durch eine Währungsunion vor Aufwertung an den Devisenmärkten relativ geschützt ist. Sie erfahren, dass deutsche Unternehmen ihren inländischen Beschäftigten bei Lohnverhandlungen mit dem Abwandern in Niedriglohnländer drohen und einer Anhebung des (offenbar leicht zu unterlaufenden) Mindestlohns regelmäßig ablehnend gegenüberstehen mit dem Hinweis, sie wirke arbeitsplatzgefährdend.

Was schlussfolgern die Regierungen ärmerer Länder mit Niedriglöhnen, schlechten Arbeitsbedingungen und geringen Umweltstandards daraus? Vermutlich, dass ein Land mit einer an der Produktivitätsentwicklung orientierten Lohnpolitik im internationalen Handel auf Dauer nicht wird mithalten können. Dass sich reiche Länder de facto an niedrigere Mindeststandards in puncto Arbeit und Umwelt nach unten anpassen werden. Dass man ihnen deshalb lieber nicht in umgekehrter Richtung entgegenkommen sollte, um den eigenen Produktionsvorteil nicht noch schneller zu verlieren. Und dass wohl keine Hoffnung besteht, über eine faire Wechselkurspolitik rational mit einem Land zu beraten, das die eigenen Währungspartner durch Unterbewertung ausnutzt, obwohl es ihnen technologisch doch nicht unterlegen ist.

Gut gemeint reicht nicht

Es darf bezweifelt werden, dass unter solchen Vorzeichen die Forderung nach Einhaltung von Mindeststandards im Ausland auf Verständnis oder gar Zustimmung treffen wird – gleichgültig ob sie per Gesetzeszwang von deutschen Unternehmern oder per Diplomatie von deutschen Politikern vorgetragen wird. Ganz zu schweigen davon, dass wie gesagt unklar ist, ob sie überhaupt zielführend wirken würde. Wer in dem Gezerre um das Lieferkettengesetz den Schwarzen Peter zieht und wer ››gewinnt‹‹, Unternehmen oder Politik, ist vergleichsweise uninteressant, weil das Werkzeug selbst unangemessen ist zur Lösung der vielschichtigen Probleme, um die es geht.

Das Lieferkettengesetz ist sicher gut gemeint. Ob deutsche Unternehmen durch die Einhaltung hoher Standards beim Einkauf ihrer Vorleistungen eine Vorbildfunktion für Konkurrenten aus anderen Ländern übernehmen könnten oder wegkonkurriert würden, ist schwer vorherzusagen. Viel wichtiger wäre der Blick darauf, dass für eine tatsächlich erfolgreiche Entwicklungspolitik ein grundlegendes Verständnis internationaler Makroökonomie nötig ist, das es nur unter Einbeziehung der gesamtwirtschaftlichen Lohnentwicklung und der Wechselkurskonstellation der verschiedenen Länder gibt. Die engen Bahnen der neoliberalen Freihandelsdoktrin, in denen Unternehmensvertreter argumentieren, helfen keinen Schritt weiter.

Umgekehrt stellen jedoch wenig glaubwürdige Korrekturen an der Oberfläche deutscher Wirtschaftspolitik keine ernst zu nehmende Alternative dar, sie haben vor allem Feigenblattcharakter: Man fühlt sich besser beim Einkauf, ohne dass an den wesentlichen Pfeilern eines ungerechten internationalen Handelssystems spürbar etwas verändert worden wäre.

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