Die Rechtfertigung des Berliner Innensenators für das Demo-Verbot gegen die Corona-Politik der Regierung erinnert an Georg Büchners „Dantons Tod“. Der Liberalismus frisst gerade auch seine eigenen Kinder. Der Protest gegen staatlich verfügte Einschränkungen unserer im Grundgesetz verbürgten Grundrechte sind sicher nicht alle mit virologischen Überzeugungen über die Harmlosigkeit des Coronavirus zu erklären. Sie sind auch nicht nur – und vielleicht noch nicht einmal vorrangig – von einer zutiefst empfundenen demokratischen Werthaltung motiviert. Was aber immer die Motive der Protestierenden sind, sie haben das Recht, ihre möglicherweise auch unqualifizierten Meinungen ohne Angst vor jeder Form von Repression kund zu tun. Wo aber sind die Grenzen der freien
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Die Rechtfertigung des Berliner Innensenators für das Demo-Verbot gegen die Corona-Politik der Regierung erinnert an Georg Büchners „Dantons Tod“. Der Liberalismus frisst gerade auch seine eigenen Kinder.
Der Protest gegen staatlich verfügte Einschränkungen unserer im Grundgesetz verbürgten Grundrechte sind sicher nicht alle mit virologischen Überzeugungen über die Harmlosigkeit des Coronavirus zu erklären. Sie sind auch nicht nur – und vielleicht noch nicht einmal vorrangig – von einer zutiefst empfundenen demokratischen Werthaltung motiviert. Was aber immer die Motive der Protestierenden sind, sie haben das Recht, ihre möglicherweise auch unqualifizierten Meinungen ohne Angst vor jeder Form von Repression kund zu tun.
Wo aber sind die Grenzen der freien Meinungsäußerung? Darf man zum Beispiel, so fragte einst Wolf Biermann, Politiker „mit weniger schmeichelhaften Tiernamen belegen“? Darf man sie als Ratten, Schmeißfliegen oder Krokodile beschimpfen?
Biermann bejahte diese Frage. Den „Unteren“ stehe dieses Recht aus dem einfachen Grund zu, weil sie die „Machtlosen“ sind. „Wenn aber die Oberen, die die Macht haben“, so Biermann weiter, „uns Schmeißfliegen nennen, ist das äußerst gefährlich, weil die ja auch die ganz große Fliegenklatsche dazu haben“.
An diese Zeilen Biermanns musste ich denken, als ich mit ungläubigem Staunen die Rechtfertigung des Berliner Innensenators Andreas Geisel von der SPD zum Verbot der Corona-Demonstration in Berlin las.
Bevor ich mein Staunen – besser Entsetzen – begründe, sei vorausgeschickt, dass ich keineswegs das Verbot, wie etwa Tobias Riegel, per se für skandalös halte. Ein Verbot einer Demonstration ist unter den gegebenen Umständen demokratisch legitimiert, weil es auf der Basis per se nicht zu beanstandender prozeduraler Regeln zustande gekommen ist. Dieses Urteil ist vollkommen unabhängig davon, was man über die Gefahr des Virus und die beschlossenen Maßnahmen zu seiner Eindämmung denkt.
Das Verbot mit Bezug auf den Infektionsschutz zu begründen, ist daher aus einer demokratietheoretischen Perspektive nicht zu beanstanden. Sicher, solche Entscheidungen sind immer mit Ermessenfragen verbunden. Von Verwaltungswillkür allerdings muss man sprechen, wenn gleichzeitig Demonstrationen gegen die Proteste der Corona-Politik erlaubt werden. Eine regierungsfreundliche Demonstration zu erlauben und eine regierungskritische Demonstration zu verbieten, liegt nicht mehr im Ermessen einer Verwaltung.
An dieser Stelle hätte die Politik – in diesem Fall die Senatsverwaltung für Inneres in Berlin – entschieden intervenieren müssen. Entweder hätten alle Demonstrationen genehmigt oder alle verboten werden müssen. Stattdessen reagierte der Innensenator mit einer Rechtfertigung dieser Entscheidung, die frappant an Denunziationen eines Franz-Josef Strauß erinnern. Der hatte seine politischen Gegner, die mit ihren verbalen Angriffen wahrlich nicht zimperlich waren, als „rote Ratten“, „Schmeißfliegen“ und „Dreckschweine“ verunglimpft. Er hatte sogar „mutige Bürger“ dazu aufgerufen, „die roten Ratten dorthin zu jagen, wo sie hingehören – in ihre Löcher.“
Auf diesen Vorfall bezogen sich die Überlegungen Biermanns und er hat recht. Wenn ein Herrschender so redet, dann wird es gefährlich. Das ist auch dann nicht anders, wenn der entsprechende Herrschende nicht Franz-Josef, sondern Andreas heißt und seine politische Heimat nicht die CSU, sondern die altehrwürdige SPD ist.
Aber ist dieser Vergleich nicht an den Haaren herbeigezogen? Wo hat denn Andreas Geisel sich einer Wortwahl bedient, die an die von Franz-Josef Strauß erinnern lassen? Zur Beantwortung dieser Frage lesen wir am besten, was Geisel gesagt hat:
„Ich bin nicht bereit ein zweites Mal hinzunehmen, dass Berlin als Bühne für Corona-Leugner, Reichsbürger und Rechtsextremisten missbraucht wird. Ich erwarte eine klare Abgrenzung aller Demokratinnen und Demokraten gegenüber denjenigen, die unter dem Deckmantel der Versammlungs- und Meinungsfreiheit unser System verächtlich machen“.
„Wir dürfen nicht zulassen, dass Berlin zu einem großen Campingplatz für vermeintliche Querdenker und Verschwörungsideologen gemacht wird.“
Zuzugestehen ist, dass Geisel nicht wie Strauß Tiervergleiche bemüht. Auch ruft er nicht „mutige Bürger“ zu politischen Hygienemaßnahmen auf. Aber was er gesagt hat, gibt noch mehr Anlass, an die Worte von Bertolt Brecht zu erinnern:
„Ihr aber lernet, wie man sieht, statt stiert und handelt, statt zu reden noch und noch.
So was hätt einmal die Welt regiert!
Die Völker wurden seiner Herr, jedoch das keiner uns zu früh da triumphiert –
Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“
Denn Geisel bezeichnet Gegner der Corona-Politik gleich als „Faschisten“ und „Leugner“, was Tiervergleiche noch als direkt harmlos erscheinen lässt. Und wer Geisel in seinen infamen Aussagen nicht folgen will, wird aus dem Kreis der „Demokratinnen und Demokraten“ ausgestoßen.
Strauß‘ Aussagen haben damals einen medialen und politischen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Der Spiegel war dabei an vorderster Front. Dagegen wird Geisel vom Spiegel heute mit der folgenden Frage „konfrontiert“:
„Wie erklären sie sich die Anfälligkeit von Teilen der Bevölkerung für krude Verschwörungsideologien?“
Und als wäre es nicht schon genug, dass Geisels Frontalangriff auf unsere freiheitliche-demokratische Grundordnung vom Spiegel mit einer solchen Frage bemäntelt wird, lässt man ihn ohne jeden Widerspruch die ganz große Fliegenklatsche auspacken:
„Wenn das Verbot hält, wird wohl trotzdem versucht werden zu demonstrieren. Deswegen haben wir bereits Tausende Polizistinnen und Polizisten zusammengezogen, um das Verbot durchzusetzen. Wenn das Verbot kippt, werden wir harte Auflagen machen und diese durchsetzen“
An dieser Stelle vor dem autoritären Liberalismus zu warnen, wäre eine Verharmlosung der Situation. Die geradezu gespenstische mediale Stille im Angesicht eines solchen politischen Skandals macht deutlich, dass der liberale Autoritarismus bereits die Oberhand gewonnen hat.