In den USA wird zur Zeit so ziemlich alles falsch gemacht, was man falsch machen kann. Kommt es jetzt noch in der Breite zu Lohnkürzungen, ist ein Szenario wie in der großen Depression von 1929 nicht mehr ausgeschlossen. Aber auch in Deutschland wird die Bedeutung stabiler Löhne nicht begriffen. Ein Lehrstück in Sachen falscher wirtschaftspolitischer Weichenstellungen kann man derzeit in den USA erleben. Die Unternehmen tun nämlich wieder einmal, was sie partout nicht lassen können: Sie kürzen die Löhne. Wie hier anschaulich berichtet wird, werden in den USA im Zuge dieser vom Staat unmittelbar verursachten Krise nicht nur viele Millionen Arbeitnehmer vor die Tür gesetzt, sondern vielen weiteren Millionen werden die Löhne gekürzt, weil die Arbeitslosigkeit hoch
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In den USA wird zur Zeit so ziemlich alles falsch gemacht, was man falsch machen kann. Kommt es jetzt noch in der Breite zu Lohnkürzungen, ist ein Szenario wie in der großen Depression von 1929 nicht mehr ausgeschlossen. Aber auch in Deutschland wird die Bedeutung stabiler Löhne nicht begriffen.
Ein Lehrstück in Sachen falscher wirtschaftspolitischer Weichenstellungen kann man derzeit in den USA erleben. Die Unternehmen tun nämlich wieder einmal, was sie partout nicht lassen können: Sie kürzen die Löhne. Wie hier anschaulich berichtet wird, werden in den USA im Zuge dieser vom Staat unmittelbar verursachten Krise nicht nur viele Millionen Arbeitnehmer vor die Tür gesetzt, sondern vielen weiteren Millionen werden die Löhne gekürzt, weil die Arbeitslosigkeit hoch ist.
Das ist, wie in dem Bericht richtig dargestellt, fatal. Weil die amerikanische Wirtschaft mehr als irgendeine andere auf Konsum angewiesen ist, führt die Kürzung der Löhne unmittelbar zu einem Konsumrückgang, der wiederum unmittelbar die Unternehmen insgesamt schädigt. Wird aus der Lohnkürzung ein Massenphänomen – und wer wollte das bei „frei entscheidenden“ Unternehmen verhindern? – sind die Lohnkürzungen der direkte Weg in die Deflation und eine wirklich kaum noch zu beherrschende Krise.
Wie in der großen Depression
Dieses Unternehmensverhalten ist genau das, was in der großen Depression der 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts in vielen Ländern einschließlich Deutschlands die Krise dramatisch verschärft hat: Wegen der Massenarbeitslosigkeit kürzten die Unternehmen damals die Löhne, was die Massenarbeitslosigkeit verschärfte und die Deflation vorantrieb. Es ist mehr als tragisch, dass mehr als einhundert Jahre später der relevante Zusammenhang noch immer nicht verstanden wird.
Friederike Spiecker und ich haben vergangene Woche schon darauf hingewiesen, dass auch in Deutschland bis weit in die Gewerkschaften hinein die Neigung besteht, wegen der schwierigen Lage der Wirtschaft auf Lohnerhöhungen zu verzichten. Das ist genau der gleiche Fehler wie in den USA, nur die Dimension ist eine andere. Wenn die Unternehmen, wie man das dieser Tage landauf landab hören kann, kräftig auf die Kostenbremse treten, lösen sie nichts anderes aus als einen solchen gefährlichen deflationären Mechanismus.
Entlassungen sind in der Tat – so hart sie für den jeweils Betroffenen sein mögen – gesamtwirtschaftlich besser als Lohnkürzungen. In diesem Fall ist geteiltes Leid nicht halbes Leid, sondern sozusagen doppeltes. Ein Unternehmen, das für die gesamte Belegschaft die Löhne um zehn Prozent kürzt, richtet volkswirtschaftlich größeren Schaden an als ein Unternehmen, das seine Lohnsumme dadurch um zehn Prozent kürzt, dass es zehn Prozent der Belegschaft entlässt. Dem vollständigen Lohnverlust der zehn Prozent der Entlassenen stehen nämlich 60 Prozent staatliche Unterstützungsleistung entgegen, während bei der Lohnkürzung für die gesamte Belegschaft niemand entschädigt wird. Greifen die betroffenen Arbeitnehmer nicht auf ihre Ersparnisse zurück, wird die Lohnkürzung in vollem Ausmaß nachfragewirksam und damit im negativen Sinne arbeitsplatzwirksam. Die Lohnkürzung vernichtet unmittelbar Arbeitsplätze und zwingt im zweiten Schritt die Unternehmen dazu, die Preise nach unten anzupassen, womit der Arbeitslosigkeit die Deflation folgt.
Die Unternehmen insgesamt können die Kosten nicht drücken…
Das Prinzip dahinter ist eigentlich leicht zu verstehen, hat aber immer noch nicht den Weg in den allgemein akzeptierten Kanon der Volkswirtschaftslehre gefunden, obwohl es von überragender Bedeutung ist. Unternehmen, die ihre Kosten senken, vermindern immer sofort und unmittelbar die Erträge anderer Unternehmen. Da die betroffenen Unternehmen dazu tendieren, das Gleiche zu tun, weil auch sie Verluste fürchten, kommt es zu einer Spirale nach unten, die keine Grenze kennt.
Die Unternehmen schaufeln sich mit der Kostensenkung ihr eigenes Grab, wenn nicht wenigstens ein mächtiger Akteur dagegenhält und auch dann seine Ausgaben nicht kürzt (sondern besser noch erhöht), wenn er selbst von Kürzungen der anderen Akteure betroffen ist. Das kann offenbar nur der Staat sein, der die programmierte Erfolglosigkeit der unternehmerischen Versuche versteht und ihnen energisch entgegentritt.
… und ihre Mittel niemals verausgaben
Umgekehrt gilt aber auch, dass Unternehmen, die mit vollen Händen Geld ausgeben, immer wieder nur die Hände anderer Unternehmen füllen. Der Unternehmenssektor als Ganzes ist ein Goldesel, dessen Vorräte niemals zu Ende gehen. Wenn sich die Unternehmen per Saldo verschulden und investieren, können sie einen Boom auslösen, der ebenfalls nur dann ein Ende findet, wenn er via steigende Löhne in Inflation mündet und den Staat – diesmal in Form der Notenbank – auf den Plan ruft, die mit Zinserhöhungen den Boom abwürgt.
Was kann ein aufgeklärter Staat tun?
Ein aufgeklärter Staat kann natürlich, schon lange bevor die Katastrophe eintritt, einschreiten und versuchen, die Unternehmen von ihrem sinnlosen Tun abzuhalten. Insbesondere in der heutigen deflationären Situation, wo dem Staat das einfache Mittel der Anregung über niedrige Zinsen und weitere Zinssenkungen nicht mehr zur Verfügung steht, dürfen auch andere Interventionen nicht von vorneherein tabu sein. Der Staat könnte ohne weiteres eine Lohnvorgabe machen, die den Unternehmen untersagt, die Löhne in der Krise in irgendeiner Weise nach unten anzupassen. Er kann jedoch ein Unternehmen, das auf einem Markt agiert, nicht gleichzeitig daran hindern, sein Personal zu verringern, wenn dem Unternehmen das Wasser bis zum Halse steht.
Daraus folgt einerseits, dass der Staat durch direkte staatliche Nachfrage die Lage für alle Unternehmen verbessern kann. Doch für die staatliche Nachfrage gibt es Grenzen. Einerseits kann der Staat nicht wirklich alle Bereiche der Volkswirtschaft bedienen, sondern ist meistens extrem baulastig, weil er sich auf die öffentliche Infrastruktur konzentriert. Andererseits ist der Staat oft nicht schnell genug, um einen tiefen Einbruch rechtzeitig abzufangen.
Aus diesem Dilemma gibt es aber einen einfachen Ausweg: Der Staat kann all denen, die in einer solchen Krise arbeitslos werden, eine extrem großzügige Lohnersatzleistung, also Arbeitslosengeld zahlen.
Großzügige Arbeitslosenversicherung als Lösung
Würde der Staat allen Arbeitslosen zwei Jahre lang 70 bis 80 Prozent ihres letzten Verdienstes zahlen, erleichterte er einerseits die Lohnverhandlungen und andererseits würde er besser als mit jeder anderen Maßnahme die Nachfrage stützen, ohne die vorhandenen Produktionsstrukturen vollkommen in Frage zu stellen.
Was häufig übersehen wird: Man kann die vorhandenen Produktionsstrukturen nicht friktionslos durch neue austauschen – und zwar nicht nur den „Maschinenpark“, sondern ebenso die Arbeitskräfte mit ihrem Knowhow. Der Umstrukturierungsprozess braucht Zeit und wird begleitet von Arbeitslosigkeit. Gerade in Zeiten ohnehin hoher Arbeitslosigkeit ist das eine massive zusätzliche Belastung für die Arbeitnehmer, denen man hohe räumliche Mobilität und hohe Flexibilität hinsichtlich ihrer Anpassungsfähigkeit bei Qualifikation und Berufsfeld abverlangt in einer Zeit, wo die Chance, einen Arbeitsplatz zu finden, gering ist.
Ohne weiteres umsetzbar ist diese Lösung in allen großen relativ geschlossenen Wirtschaftsräumen. Insbesondere für die USA gilt, dass der Exportanteil mit unter 15 Prozent so klein ist, dass es entscheidend auf die Binnennachfrage ankommt (Abbildung 1). Aber auch für die EWU insgesamt, wo die Exporte etwa zwanzig Prozent des BIP erreichen, kann nur eine solche Maßnahme massive Arbeitsmarktprobleme verhindern.
Deutschland ist mit seinem riesigen Leistungsbilanzüberschuss und seiner extremen Exportabhängigkeit in einer viel schlechteren Ausgangsposition als der Rest der EWU oder die USA (Abbildung 2). Niemand kann die ausfallende Exportnachfrage ersetzen, weder die inländischen privaten Haushalte noch der Staat.
Diese Struktur ist einfach nicht zukunftsfähig, wenn nicht ein Wunder geschieht, das die Importeure auf der ganzen Welt in die Lage versetzt, schon bald wieder die Güter zu kaufen, die Deutschland vor der Corona-Krise angeboten hat. Doch dieses Wunder wird es nicht geben, weil schon jetzt klar ist, dass der Schock in praktisch allen Ländern massive Verwerfungen bei Einkommen und Gewinnen nach sich gezogen hat und noch weiter ziehen wird. In Deutschland, mehr als in jedem anderen vergleichbaren Land, sind auch bei großen makroökonomischen Gegenmaßnahmen Millionen Jobs wegen der exportlastigen Struktur nicht mehr überlebensfähig.
Es ist höchste Zeit, dass die deutsche Politik daraus Konsequenzen zieht und die Umstrukturierung hin zu einer größeren Bedeutung der Binnennachfrage aktiv vorantreibt. Die politische Unterstützung für eine Lohnpolitik, die sich von der aktuellen Krise nicht beeindrucken lässt, ist dabei die wichtigste Maßnahme.